Eine Gänseart breitet sich aus: Eigentlich sind Nilgänse bei uns nicht heimisch. Heute liegt ihr Bestand bei über 7.500 Brutpaaren. - Foto: Frank Derer
Nilgans im Fokus
Wie gehen wir mit der neuen Art um?
Die Nilgans zählt nicht zur heimischen Vogelwelt Deutschlands. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet liegt – wie der Name vermuten lässt – in Afrika südlich der Sahara und Ägypten entlang des Nils. Die derzeitigen europäischen Vorkommen gehen auf Aussetzungen und Gefangenschaftsflüchtlinge im 20. Jahrhundert insbesondere in Großbritannien und den Niederlanden zurück. Sie gilt damit als sogenanntes Neozoon, also eine (definitionsgemäß: nach der Entdeckung Amerikas) mit menschlicher Hilfe angesiedelte Art.
Problematik invasiver Arten
Die Ankunft von neuen Arten ist nicht immer unproblematisch, da sie dem über lange Zeit austarierten Gleichgewicht in der heimischen Natur erheblichen Schaden zufügen können und zum Aussterben regionaler und lokaler Arten zugunsten weniger mit Menschenhilfe global expandierender Allerweltsarten führen können. Man stelle sich zum Beispiel die Ankunft eines Pilzes vor, der alle europäischen Eichen zum Absterben bringen könnte. In anderen Teilen der Welt gibt es solche Pilze. Ein anderes Beispiel ist die Pazifische Auster, die in der Nordsee die heimische Auster verdrängt hat, oder der Amerikanische Signalkrebs, der den Europäischen Flusskrebs an den Rand des Aussterbens bringt.
Um solchen Gefahren zu begegnen, hat die EU im Jahr 2014 eine Richtlinie „über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ beschlossen. Ein Neozoon gilt dabei nur dann als invasiv, wenn zwei Bedingungen gleichzeitig gegeben sind: Die Art muss das Potential für eine Ausbreitung über große Gebiete besitzen und gleichzeitig das Potential für die Verursachung erheblicher Schäden aufweisen. Nur bei einem sehr kleinen Teil eingeschleppter Arten können beide Aspekte mit „Ja“ beantwortet werden.
Für jede Art müssen diese Fragen zunächst in einer Risikobewertung beurteilt werden. Auf deren Basis treffen die Mitgliedsländer der EU eine politische Entscheidung, welche Arten auf die sogenannte Unionsliste potentiell invasiver Arten gesetzt werden, zu denen dann jeder Mitgliedstaat einen Maßnahmenplan entwickeln muss. Diese Liste wurde zuletzt 2017 von 37 auf 49 Arten erweitert. Dabei landete erstmalig auch die Nilgans als „potentiell invasive Art“ auf der Liste.
Invasiv oder nicht-invasiv?
Damit ist jedoch weder geklärt, ob die Nilgans wirklich invasiv ist, noch, welche Maßnahmen Deutschland zum Umgang mit der Nilgans zu treffen hat.
Eine mögliche Schädlichkeit und damit Invasivität der Nilgans wird meist darin vermutet, dass die Nilgans andere Wasservogelarten verdrängen könnte, wobei ihr häufig nachgesagt wird, dass sie in Nestnähe besonders aggressiv sei. Diese Befürchtung führte wohl auch dazu, dass die Nilgans auf der „Unionsliste“ gelandet ist, obwohl weder die dieser Entscheidung zugrundeliegende EU-Risikobewertung noch eine entsprechende Bewertung des Bundesamts für Naturschutz für Deutschland eindeutige Belege für die Verdrängung anderer Arten verzeichnen konnten. Neueste Studien, zum Beispiel aus Hessen, sprechen eher dafür, dass sich Nilgänse ohne nachweisbare negative Effekte auf andere Arten in neuen Gebieten ansiedeln.
Aufgrund der Listung der Nilgans in der „Unionsliste“ muss Deutschland nun einen Managementplan zum Umgang mit der Nilgans erstellen. Zuständig dafür sind die Bundesländer, die sich dafür entschieden haben, diesen Prozess gemeinsam durchzuführen. Dafür wurde inzwischen eine deutschlandweite öffentliche Konsultation zu allen Unionsarten, die in Deutschland von Bedeutung sind, durchgeführt. Die Ergebnisse befinden sich derzeit noch in der Ausarbeitung. Aufgrund des Fehlens klarer Hinweise auf eine tatsächliche Schädlichkeit für die biologische Vielfalt und das damit verbundene ökologische Gleichgewicht ist es unwahrscheinlich, dass dieser Plan eine aktive Bestandsreduzierung der Nilgans vorsehen wird.
Jagd und Bestandsmanagement: zwei verschiedene Paar Schuhe
Da die Jagd auf Nilgänse in derzeit neun Bundesländern erlaubt ist, muss man davon ausgehen, dass jährlich etwa fünfzehn- bis zwanzigtausend Nilgänse in Deutschland geschossen werden. Dass sich die Nilgans weiter verbreitet, verhindert dieser enorme Jagddruck jedoch nicht. Denn die reguläre Jagd hat bei sich dynamisch ausbreitenden Neozoen kaum einen Effekt auf die weitere Bestandsentwicklung. Vor diesem Hintergrund wirkt das jüngst vom Deutschen Jagdverband in die Medien getragene Argument, die Jagd sei notwendig, um eine weitere Ausbreitung der Nilgans zu verhindern, als fadenscheiniges Vehikel für deren Forderung nach einer bundesweiten Bejagung der Art.
Nach Ansicht des NABU ist die Jagd lediglich dann gerechtfertigt, wenn es um eine sinnvolle Nutzung des bejagten Tieres geht und die Jagd dabei nachhaltig ist, sich also nicht negativ auf die Bestände der bejagten oder anderer Arten auswirkt. Zur Jagdbarkeit einer Art gehört auch, dass sich die Jägerschaft im Sinne der Hege um den Erhalt gesunder Bestände der bejagten Arten kümmern muss. Damit scheidet die reguläre Jagd als Methode zur Reduzierung eines Bestandes aus.
Für die Bejagung der Nilgans ist eine sinnvolle Nutzung der erlegten Tiere, nämlich der Verzehr als Wildfleisch, denkbar und naheliegend. Auch ist eine Bejagung ohne Gefährdung der Bestände der Art offensichtlich möglich und es gibt keine dem entgegenstehenden rechtlichen Bedenken aufgrund der EU-Vogelschutzrichtlinie. Daher kann sich der NABU grundsätzlich eine Bejagung der Nilgans vorstellen. Diese dürfte aber erst nach Abschluss der Brutzeit erfolgen und müsste beendet sein, bevor nicht jagdbare nordische Gänsearten sich auf dem Durchzug oder als Wintergäste unter die lokalen Brutvorkommen mischen. Damit müsste sich die Jagdsaison auf die Nilgans auf den engen Zeitraum vom 20.8. bis zum 10.9. beschränken.
Als einziges Argument für eine Bejagung der Nilgans zählt für den NABU dabei jedoch die sinnvolle Nutzung der Vögel. Die Freigabe zur Jagd mit dem Argument einer beabsichtigten Bestandsreduktion – wie in einigen Bundesländern gefordert - lehnt der NABU klar ab, weswegen er in einigen Bundesländern gegen die Einrichtung von Jagdzeiten auf die Nilgans eintritt. Die reguläre Jagd ist für das überregionale Bestandsmanagement einer Art weder geeignet noch gedacht.
Aus Sicht des NABU ist daher das Wildtiermanagement klar von der Jagd abzugrenzen. Beim Wildtiermanagement geht es um die Vermeidung von Schäden, die durch bestimmte Arten verursacht werden können. Es kann mit Hilfe jagdlicher, aber auch nicht-jagdlicher Methoden durchgeführt werden und kann lokale Maßnahmen aber auch die flächendeckende Reduktion von Beständen oder im Extremfall die komplette Beseitigung von Arten zum Inhalt haben. Die Anforderungen zur Planung und Genehmigung entsprechender Maßnahmen sind sehr hoch. Zunächst sind Schäden nachzuweisen, deren relevantes Ausmaß zu quantifizieren, der ursächliche Zusammenhang mit entsprechenden Art zu beweisen und das Fehlen schonender Alternativen aufzuzeigen. Sollten dann tatsächlich Maßnahmen des Wildtiermanagements notwendig sein, sind diese üblicherweise nach dem Naturschutzrecht zu genehmigen und haben nichts mit der regulären Jagd zu tun, auch wenn bei der Umsetzung jagdliche Methoden zum Einsatz kommen können. Insbesondere im Rahmen der Prüfung möglicher Maßnahmen zu den potentiell invasiven Arten der „Unionsliste“, findet dieser Bewertungsprozess derzeit statt.
Fazit
Aufgrund des derzeitigen Erkenntnisstands ist die ökologische Schädlichkeit der Nilgans in Deutschland für den NABU als gering bis nicht vorhanden einzustufen, so dass ein aktives deutschlandweites Bestandsmanagement mit dem Ziel einer Verringerung des Bestandes weder notwendig noch zu rechtfertigen ist.
Eine Bejagung der Nilgans lässt sich lediglich mit dem Wunsch nach Nutzung dieser Gänse zur Gewinnung von Fleisch als Nahrung begründen, eine Bejagung mit dem Ziel einer Bestandsreduktion ist abzulehnen. Die derzeit in neun Bundesländern gültigen Jagdzeiten für die Nilgans hält der NABU für entschieden zu lang, da dadurch die Gefährdung ziehender nordischer Gänsearten nicht ausgeschlossen werden kann.
Probleme mit Nilgänsen in Parks und Schwimmbädern oder auf landwirtschaftslichen Flächen rechtfertigen ebenfalls in keinem Fall überregionale Maßnahmen, mit dem Ziel den Bestand von Nilgänsen zu reduzieren. Auch im Einzelfall vor Ort dürfte es nahezu unmöglich sein nachzuweisen, dass die gezielte Tötung von Nilgänsen gerechtfertigt, alternativlos und zielführend wäre, da eine Reihe von alternativen Maßnahmen zur Verfügung steht, deren Effektivität zunehmend nachgewiesen wird.
Weitere Informationen über die Nilgans
Verbreitung in Afrika, Deutschland und Europa
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Nilgans liegt in Afrika südlich der Sahara und Ägypten entlang des Nils. Allerdings gab es auch im 17. Jahrhundert noch natürliche Vorkommen auf dem Balkan. Die afrikanischen Bestände der Art sind rückläufig. Die derzeitigen europäischen Vorkommen gehen dagegen auf Aussetzung und Gefangenschaftsflüchtlinge im 20. Jahrhundert insbesondere in Großbritannien und den Niederlanden zurück. In Europa gibt es mittlerweile etablierte Populationen der Nilgans in sechs Ländern und sie breitet sich dynamisch weiter aus.
In Deutschland wurde die erste Brut 1981 nahe der niederländischen Grenze festgestellt. Seit 1985 brütet die Nilgans dauerhaft in Deutschland. Für die Zeit um 2000 wurde für das ganze Land ein Gesamtbestand von 250 bis 300 Brutpaaren angegeben, für den Zeitraum 2005-2009 gibt der deutsche Brutvogelatlas ADEBAR bereits einen Bestand von 5.000 bis 7.500 Brutpaaren an. Seitdem kann von einem weiteren deutlichen Anstieg der Brutpaarzahlen ausgegangen werden.
Der Schwerpunkt der aktuellen Verbreitung in Deutschland befindet sich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, die Ausbreitung erfolgt von dort in alle Richtungen. Die Nilgans brütet inzwischen in allen deutschen Bundesländern ebenso wie in Polen und Dänemark.
Aktueller Schutzstatus
Als ursprünglich nicht-heimische Art genießt die Nilgans nach der EU-Vogelschutzrichtlinie und dem Bundesnaturschutzgesetzt nicht den besonderen gesetzlichen Schutz, der allen anderen wildlebenden Vogelarten zusteht. Es gilt jedoch weiterhin der allgemeine Artenschutz, der das Fangen, Verletzen oder Töten dieser Tiere ohne vernünftigen Grund verbietet.
Jagd auf Nilgänse in Deutschland
Derzeit ist die Nilgans in neun Bundesländern regulär jagdbar, darunter in allen Bundesländern mit größeren Brutbeständen. Die jeweils zulässige Jagdsaison ist mit 3,5 Monate in Baden-Württemberg bis zu 6,5 Monaten in Nordrhein-Westfalen sehr ausgedehnt. In Rheinland-Pfalz ist zudem der Abschuss von Jungvögeln ganzjährig außerhalb der EU-Vogelschutzgebiete erlaubt.
Da die Jagd bis heute für „Wildgänse“ auf Bundesebene keine artspezifischen Streckenzahlen erhebt (ein eklatanter Widerspruch zu den Jagdbedingungen der EU-Vogelschutzrichtlinie), ist es nicht möglich genau zu sagen, wie viele Nilgänse bereits heute jedes Jahr geschossen werden. Insgesamt sind es pro Jahr deutschlandweit etwa 95.000 „Wildgänse“ aller Arten. Für Nordrhein-Westfalen jedoch liegt eine artspezifische Strecke vor. Dort wurden im Jahr 2016/17 9.360 Nilgänse geschossen. Deutschlandweit muss man daher heute von etwa 15.000 bis 20.000 geschossenen Nilgänsen ausgehen – eine enorme Zahl im Vergleich zum Brutbestand von nur bis zu 7.500 Paaren im Jahr 2009.
Konflikte in Parks, Schwimmbädern und Feldern
Außer möglichen ökologischen Schäden werden häufig Probleme mit der Verkotung von Park- und Liegewiesen in Schwimmbädern oder landwirtschaftliche Schäden durch auf Feldern und Wiesen grasende Nilgänse als Argumente für eine Invasivität der Nilgans angeführt. Die landwirtschaftlichen Schäden dürften sich bei genauer Betrachtung als ökonomisch irrelevant herausstellen. Falls nicht, stehen eine Reihe nicht-lethaler Methoden zur Verfügung, um Nilgänse von bestimmten anfälligen Kulturen fernzuhalten.
Dem Problem auf den städtischen Liegewiesen ist mit der regulären Jagd ohnehin nicht beizukommen, da die Jagd im besiedelten Raum verboten ist, da dieser grundsätzlich als „befriedeter Bezirk“ jagdfrei ist. Eine verstärkte Jagd auf die Nilgans in der freien Landschaft sorgt sogar eher dafür, dass sich Nilgänse außerhalb der jagdfreien Brutzeit, also insbesondere zur sommerlichen Mauser, verstärkt auf jagdfreien Gewässern im Siedlungsraum konzentrieren.
Ein gezielter Abschuss von Nilgänsen in Problemgebieten (also ein Wildtiermanagement) ist ebenfalls nicht zielführend, da freiwerdende Plätze sehr schnell von nachrückenden Nilgänsen besetzt werden, ganz abgesehen davon, dass Abschüsse im Siedlungsraum gefährlich sind und von der Öffentlichkeit kaum akzeptiert werden. Stattdessen haben sich nicht-lethale Lenkungsmaßnahmen als effektiv erwiesen, um Nilgänse von Liegewiesen fernzuhalten, wie u.a. aus einem aktuellen Gutachten aus der Stadt Frankfurt am Main hervorgeht.
Diese Maßnahmen reichen von einem Fütterungsverbot, der Schaffung attraktiver Ausweichflächen, über eine Langgrasbewirtschaftung von Teilen einer Liegewiese oder die Schaffung von niedrigen Sichtbarrieren für die Gänse bis zur Anlage von Gänsezäunen. Im Frankfurter Ostpark war die Errichtung einer Gänsebarriere zwischen Liegewiese und Gewässer eine effektive Lösung, da die Nilgänse Flächen ohne direkte Rückzugsmöglichkeit zum sicheren Gewässer aus Angst vor Feinden nicht nutzen.
Probleme mit Nilgänsen im Bereich von Liegewiesen oder auf landwirtschaftlichen Flächen rechtfertigen daher aus Sicht des NABU ebenfalls keine bestandsreduzierenden Maßnahmen im Rahmen eines Wildtiermanagements. Auch in Einzelfällen dürfte es nahezu unmöglich sein nachzuweisen, dass die gezielte Tötung von Nilgänsen gerechtfertigt, alternativlos und zielführend wäre.
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