Karsten Matschei hat einen Wachtelkönig gefangen - Foto: Sebastian Hennigs
Auf der Suche nach dem Wiesenknarrer
Paradies für Wachtelkönige in Brandenburg
Es ist ein schwülwarmer Abend im Juni, und ich fahre mit dem Wagen durch schattige Alleen im Osten Deutschlands. Mein Ziel: Niederfinow im nordöstlichen Brandenburg. Dort bin ich am Rande der kleinen Ortschaft verabredet. Hinter der Feuerwache warten bereits Karsten Matschei und Volker Hastädt auf mich. Beide sind im NABU in Berlin und Brandenburg aktiv und möchten heute Nacht mit mir Wachtelkönige, auch bekannt als Wiesenknarrer oder Wiesenralle, fangen und beringen. Erst soll es in die Wiesen östlich des Ortes gehen, in denen ein Ornithologe aus der Region in den letzten Tagen zwei Exemplare des seltenen Vogels nachgewiesen hat. Mit dem Geländewagen fahren wir in der Dunkelheit über zugewachsene Wege bis in das Zentrum der ausgedehnten Feuchtwiesen. Dort, wo der Weg endet, müssen wir zu Fuß weiter. Es bildet sich immer mehr Nebel über den feuchten Wiesen, und ständig tauchen im Licht der Lampen die leuchtenden Augen diverser Tiere wie Reh und Fuchs auf. Als wir bereits 500 Meter vom Fahrzeug entfernt sind, hören wir das merkwürdige Krächzen zweier Wachtelkönige in der Wiese vor uns.
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Karsten Matschei und Volker Hastädt beringen den Wachtelkönig - Foto: Sebastian Hennigs
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Karsten Matschei und Volker Hastädt notieren die Maßen des Wachtelkönigs - Foto: Sebastian Hennigs
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Wachtelkönig - Foto: Sebastian Hennigs
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Wachtelkönige sind meist eher zu hören, als zu sehen - Foto: Sebastian Hennigs
Wachtelkönig landet im Handkescher
Unser Ziel ist erreicht. Am Rande einer dichten Binsenfläche legen wir unser gesamtes Gepäck ab. Neben den Beringungsmaterialien sind vor allem die Taschenlampen, ein Kescher und eine laute Klangattrappe die wichtigsten Utensilien. Schnell wird ein optimaler Fangplatz in der Wiese gesucht, an dem die Vegetation nicht so dicht ist und sich Karsten mit Kescher und Klangattrappe gut positionieren kann. Bei der Klangattrappe handelt es sich um ein Abspielgerät, das den charakteristischen Ruf des Wachtelkönigs wiedergibt und somit dem echten Wachtelkönig den Eindruck vermittelt, es wäre ein Eindringling in seinem Revier unterwegs. Bereits nach den ersten Sekunden Abspielzeit sieht Volker, der die Wiese großflächig überblickt, im Lichtschein seiner Lampe, wie der Wachtelkönig in schnellem Tempo zielgerichtet auf uns zukommt. Es bewegen sich zwar nur ein paar Halme, aber diese verraten genau, wo er gerade unterwegs ist. Geblendet von der Taschenlampe tritt er unmittelbar vor Karsten und der Klangattrappe aus der Wiese heraus und landet innerhalb von Sekunden direkt im Handkescher. Keine fünf Minuten später ereilt den zweiten Wachtelkönig dasselbe Schicksal. Auch er landet vorsichtig in einem Stoffbeutel und soll anschließend beringt werden. Neben einer Altersbestimmung werden auch wichtige Körpermaße und das Gewicht ermittelt, bevor die Tiere mit einem Ring der Vogelwarte Hiddensee wieder in die Freiheit entlassen werden. In dieser Saison waren es bereits die Wachtelkönige Nr. 9 und 10.
Nur zu hören, nicht zu sehen
Bereits seit 2014 sind Karsten Matschei und Volker Hastädt in Sachen Wachtelkönig aktiv. Oft sind sie südöstlich von Berlin in den Rieselfeldern bei Deutsch Wusterhausen unterwegs. Hier ist in den Jahren seit der Einstellung der in der Region ehemals weitverbreiteten Rieselfeldwirtschaft ein richtiges Paradies für den Wachtelkönig entstanden. Anders als viele andere Wiesen werden die Flächen hier nicht im Frühsommer gemäht, sondern bleiben bis in den Spätsommer hin unbewirtschaftet. „Das kommt den Wachtelkönigen sehr entgegen, denn die meisten vom Wachtelkönig besiedelten Wiesen in unserer Kulturlandschaft werden ausgerechnet dann gemäht, wenn sie gerade erst mit der Brut begonnen haben“, sagt Karsten Matschei.
Wachtelkönige kommen erst relativ spät gegen Mitte Mai aus ihren Winterquartieren in Afrika zurück und sind dann im Vergleich zu vielen anderen heimischen Vogelarten deutlich in Verzug. „Da man sie in der Regel aufgrund ihrer versteckten Lebensweise immer nur hört, aber nicht sieht, weiß man nicht, wie viele Wachtelkönige auch wirklich hier brüten. Einen deutlichen Verbreitungsschwerpunkt stellt aber Brandenburg dar“, erklärt Volker Hastädt.
Brutnachweise könnten Leben retten
Doch das Wachtelkönigparadies im Berliner Umland ist in Gefahr. Immer wieder gibt es Pläne, die großen ungenutzten Wiesenflächen der Rieselfelder bei Deutsch Wusterhausen wirtschaftlich zu nutzen. Waren es vor einiger Zeit noch Pläne, großflächig Kurzumtriebsplantagen anzupflanzen oder Windkraftanlagen aufzustellen, gibt es inzwischen die Absicht, hier mit Photovoltaik-Anlagen Geld verdienen zu können. Karsten Matschei und Volker Hastädt versuchen durch ihre Beringungen und entsprechende Wiederfänge nachzuweisen, welche überregionale Bedeutung die Rieselfelder für die europaweit geschützten Wachtelkönige besitzen. Dafür waren sie 2016 überall dort in Brandenburg unterwegs, wo Wachtelkönige durch ortsansässige Ornithologen festgestellt wurden. „Ein Höhepunkt unserer Arbeit war der Nachweis eines rund zwanzig Tage alten, noch flugunfähigen Jungvogels bei uns in den Rieselfeldern. Solche sicheren Brutnachweise sind ganz selten“, sagt Karsten Matschei. Für den Erhalt und Schutz des Wachtelkönigs opfern Matschei und Hastädt zahlreiche Nächte ihrer Freizeit ‒ immer auf der Suche nach den krächzenden „Crex crex“-Rufen. Dann, wenn die meisten anderen Menschen bereits den Tag auf dem Sofa ausklingen lassen.
Sebastian Hennigs (Nh 1/17)
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