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Der Rothirsch im Porträt
Der „König des Waldes“ ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil der europäischen Landschaft. Majestätisch wirkt nicht nur seine Größe, sondern auch das jedes Jahr aufs Neue wachsende Geweih. Nach seinem Abwerfen im Februar ist es pünktlich zur Brunftzeit im September wieder komplett und kommt im Kampf gegen die männlichen Rivalen zum Einsatz. Dann gilt es, mithilfe des bekannten Röhrens möglichst viele Hirschkühe zur Fortpflanzung um sich zu scharen und immer wieder zu verteidigen. Diese ungefähr zwei Wochen andauernde Phase führt beim Rothirsch zu Verlusten von bis zu 30 Prozent des Körpergewichts. Kein Wunder also, dass er den Sommer mit möglichst wenig Bewegung, aber viel Fett anfressen verbringt und im Winter den Energiesparmodus einlegt.
Soziale Bande mit Biss. Die meiste Zeit des Jahres zeichnet sich Rotwild durch ein zurückgezogenes, soziales Zusammenleben in nach Geschlechtern getrennten Rudeln aus. In den weiblichen Familienverbänden bestimmt eine ranghohe, erfahrene Leitkuh über Fress-, Flucht- und Zugverhalten der Gruppe. Männliche Hirsche verlassen mit der Geschlechtsreife das Rudel ihres Muttertiers und finden eigene, die sich jeweils zur Brunft wieder auflösen. Je nach Rückzugsmöglichkeiten und Nahrungsangebot können Rudel aus drei bis zweihundert Tieren bestehen. Ursprünglich war das Rotwild in offenen Landschaften anzutreffen und ernährte sich hauptsächlich von Gräsern und Kräutern. Typisch war ebenso ein ausgeprägtes Wanderverhalten, vor allem zwischen Winter- und Sommergebieten, um auch bei Frost und Schnee an genügend Nahrung zu kommen.
Die früher unkontrollierte Jagd sowie der Siedlungs- und Straßenbau drängten die Tiere aber immer weiter in den Wald. Aktuell bleiben dem Rotwild in Deutschland nur noch rund 28 Prozent seiner ursprünglichen Lebensräume. Um den Energiebedarf mit rein pflanzlicher Ernährung (zehn bis fünfzehn Kilogramm täglich) decken zu können, greifen sie auf alles zurück, was verfügbar ist: Baumrinde, Triebe, Knospen, Feld- oder Baumfrüchte. Das führt zu Waldschäden und Ernteeinbußen, Konflikten mit Forst- und Landwirtschaft und immer wiederkehrenden Phasen von Reduktionsabschüssen. Seit den fünfziger Jahren gibt es einen deutschen Sonderweg im Rotwildmanagement. Viele Bundesländer legen staatliche Rotwildbezirke fest, in denen die Tiere nur nach einem kontrollierten Abschussplan mit Schonzeiten gejagt werden dürfen.
Inselpopulationen. Auch wenn Rotwild in Deutschland nicht vom Aussterben bedroht ist – aktuell wird der Bestand auf rund 200.000 Stück geschätzt –, ist die Verdrängung in die circa 140 Rotwildbezirke problematisch. „Hirsche sind verantwortlich für den genetischen Austausch zwischen Populationen, ihr natürliches Wanderverhalten stellt die genetische Vielfalt sicher“, so Dr. Sebastian Hoffmann. Der Biologe forscht zum Wanderverhalten sowie zu genetischen Veränderungen des Rotwilds durch menschlichen Einfluss. Die über ganz Deutschland verteilten, durch Straßen und Städtebau zerschnittenen Bezirke verhindern oder erschweren Wanderbewegungen; queren Hirsche als „rotwildfreier Bezirk“ definiertes Gelände, laufen sie Gefahr, geschossen zu werden.
In einer DNA-Studie von bis zu 200 Jahre alten Geweihen einer lokalen Rotwildpopulation in Neuwied wies Hoffmann nach, dass bereits zurückliegende Reduktionsabschüsse und unregulierte Jagdphasen vor allem um die Zeit der Revolution 1848/49 und der Weltkriege zu einem Verlust der genetischen Vielfalt bis hin zum Verschwinden ganzer Bestände führten. Für den weiteren Fortbestand braucht es heute mehr denn je ein stabiles Vorkommen an Junghirschen, um genetische Inzucht und Fehlbildungen zu vermeiden und anpassbar für künftige Herausforderungen wie klimatische Veränderungen zu bleiben.
Störungsempfindliche Leitart. Aber nicht nur Flächenzerschneidung und Rotwildmanagement erzeugen Stress bei den auf Ruhe, genügend vorhandene Nahrung und Partner angewiesenen Tieren. Auch erhöhtes Tourismusaufkommen in Wäldern sorgt für weitere Verdrängung, in einem Ausmaß, das auch Hoffmann überraschte. In einem Feldversuch stellten er und sein Team Kameras an Wanderwegen auf, um Anzahl und Frequenz passierender Menschen zu messen. Gleichzeitig verfolgten sie per Besenderung das Wanderverhalten der Hirsche. „Schon eine einzige Person pro Woche, die ein Rotwildgebiet streift oder betritt, reicht aus, dass dieses es um mindestens 300 bis 500 Meter meidet.“
Im Spannungsfeld wirtschaftlicher Interessen auf der einen und dem Naturschutz auf der anderen Seite braucht es insgesamt einen bewussteren, sensibleren Umgang mit Rotwild. Lebensräume weiter qualitativ und quantitativ zu verschlechtern, erhöht den Druck auf die Tiere und somit Verbissschäden und Konflikte. Der NABU fordert in seinem Bundeswildwegeplan die Aufhebung der staatlich verordneten Rotwildgebiete und die Vernetzung von Lebensräumen. Dies würde sowohl das natürliche Wanderverhalten wieder ermöglichen als auch der genetischen Verarmung vorbeugen. Zudem könnte gezielte Besucher*innenlenkung in Wäldern helfen, Ausgleich und Ruhe für die Tiere zu schaffen. Das würde auch anderen störungsempfindlichen Arten wie Wolf, Luchs oder Wildkatze zugutekommen, die ähnliche Bedürfnisse an ihre Lebensräume stellen.
Lisa Gebhard (Artikel aus „Naturschutz heute“ 4/21)
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