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Der Marderhund hat sich bei uns längst fest etabliert
In der japanischen Kultur ist der Marderhund seit Jahrhunderten fest verwurzelt, bei uns muss er seinen Platz erst noch finden. Während die japanische Mythologie den Tanuki als ein freundliches Wesen beschreibt, dem der Schalk im Nacken sitzt, gilt das mit Fuchs und Hund verwandte Pelztier in Mitteleuropa als unerwünschter Eindringling. Dabei hat der Mensch seine stille Expansion von Fernost nach Mitteleuropa zumindest eine Zeitlang tatkräftig unterstützt. Heute ist der Marderhund bundesweit heimisch.
Für die Pelztierjagd ausgesetzt
Die eigentliche Heimat des Marderhundes umfasst Südost-Sibirien, den Osten Chinas, Nord-Vietnam und Japan. Wegen ihres dichten Winterfells, das in der Pelzindustrie begehrt ist, wurden im 19. Jahrhundert erstmals Marderhunde diesseits des Urals eingebürgert. Doch vor allem die Jahre 1929 bis 1955, als von der Ukraine im Süden bis Karelien im Norden an 44 Orten knapp 10.000 Exemplare ausgesetzt wurden, um sie für die Pelzindustrie bejagen zu können, beförderten die weitere Ausbreitung gen Westen. 1960 erreichten die auch Enok genannten Tiere Deutschland; der erste Abschuss eines Marderhundes auf deutschem Boden ist für 1962 verbürgt.
Marderhunde sind etwa fuchsgroß, wirken mit ihren eher kurzen Beinen jedoch deutlich untersetzter als ihr europäischer Verwandter. Ihr Fell ist rot- bis schwarzbraun mit dichter Unterwolle und langem Deckhaar. Oft werden sie mit dem Waschbären verwechselt, einem anderen Zuwanderer, der wie sie eine Gesichtsmaske mit dunklen Augenbinden und grauem Backenbart trägt. Doch im Gegensatz zum Waschbären ist die Gesichtsmaske des Marderhundes an der Nase geteilt. Die Tiere werden im Schnitt zwischen fünf und acht Kilo schwer. Anders als Haushunde bellen Marderhunde nicht, sondern geben klagende bis winselnde Laute von sich. Bei Gefahr wird geknurrt.
Fürsorglich und gleichberechtigt
Die Zuwanderer aus Fernost leben bevorzugt in feuchten, vielfältig strukturierten Flachlandgebieten mit Feldern, Kleingewässern, Sumpfwiesen und unterholzreichen Wäldchen: In den Mittelgebirgen trifft man sie vor allem in den Flusstälern an, wo sie busch- und schilfbewachsene Ufer besiedeln.
„Marderhunde sind äußerst anpassungsfähige Tiere und auch bei der Wahl ihrer Unterkunft wenig anspruchsvoll“, berichtet der Marderhund-Experte Frank Wörner: „Meist geben sie sich mit aufgelassenen Fuchs- und Dachsbauten zufrieden.“ Dort ziehen sie auch ihre Jungen groß, die nach der Paarung im Februar/März und einer Tragzeit von etwa 60 Tagen zur Welt kommen. Die Elterntiere bleiben lebenslang zusammen und kümmern sich auf sozusagen gleichberechtigter Basis gemeinsam um ihre Welpen.
Pilze, Früchte und Aas
Ein Wurf Marderhunde besteht aus acht bis zehn, manchmal sogar zwölf Welpen, von denen allerdings nur wenige überleben. Diese seien jedoch bereits nach etwa zehn Monaten geschlechtsreif, erläutert Wörner: „Das hat zur rasanten Verbreitung der Tiere beigetragen.“ Zumal natürliche Fressfeinde wie Luchs, Wolf und Bär in Mitteleuropa selten geworden sind. Zwar gebe es keine Bestandszahlen, doch die Jagdstrecke zeige das Ausmaß der Verbreitung, sagt der Zoologe: „Im Zeitraum von 1998 bis 2008 hat sich die Zahl erlegter Marderhunde von etwa 3.250 auf über 35.0000 mehr als verzehnfacht.“ Im Jagdjahr 2018/19 wurden über 29.000 Tiere geschossen.
Trotz der vielen in freier Wildbahn lebenden Marderhunde bekommt man nur äußerst selten einen von ihnen zu Gesicht. „Sie leben im Verborgenen, meiden den Menschen und gehen erst in der Dämmerung auf Futtersuche“, berichtet Wörner. Marderhunde sind Allesfresser mit breitem Futterspektrum. Untersuchungen des Mageninhalts getöteter Tiere ergaben einen hohen Anteil pflanzlicher Nahrung, vor allem Pilze, Beeren, Eicheln und Kastanien; zudem Insekten, Eier und Jungvögel sowie – insbesondere bei älteren Tieren – Frösche, Mäuse und Maulwürfe. Der Anteil an Aas war durch die Bank hoch. Demnach gehen Marderhunde nicht gezielt auf die Jagd, sondern durchstreifen ihr Revier eher als Sammler. Mit gesenkter Schnauze durchstöbern sie Büsche, Unterholz und Gewässerufer.
Bedrohung oder Bereicherung?
Weil das Nahrungsspektrum des Marderhundes dem von Fuchs und Dachs gleicht, wird ihm oft unterstellt, er verdränge seine heimischen Nahrungskonkurrenten. Zudem gilt er nach EU-Vorgaben als eingeschleppte Art, die möglichst streng kontrolliert werden soll. Eine Einschätzung, der Frank Wörner widerspricht. „Das Gros des Nahrungsspektrums von Fuchs, Dachs und Marderhund steht praktisch unbegrenzt zur Verfügung“, argumentiert er: „Wie sollte da eine Art die andere verdrängen?“ Zudem konzentrierten sich Marderhunde bei der Futtersuche nicht auf bestimmte Tier- und Pflanzenarten, sondern seien als Allesfresser mit dem zufrieden, was die Natur gerade biete.
Auch für den Menschen sind die scheuen Räuber keine Gefahr. Zwar trügen die Tiere die gleichen Parasiten in sich wie der Fuchs, könnten also den Fuchsbandwurm oder die Tollwut übertragen, doch sei das Infektionsrisiko gering, versichert Wörner. „Zudem ist Deutschland seit 2008 tollwutfrei.“ Der Zoologe plädiert für mehr Toleranz im Umgang mit dem Neubürger – zumal es für Ausrottung längst zu spät sei: „Die heimische Tierwelt wird sich mit dem Marderhund arrangieren müssen. Warum betrachten wir ihn nicht einfach als Bereicherung der Artenvielfalt?“
Hartmut Netz (Naturschutz heute 2020)
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