Wildschwein - Foto: Michael Wimbauer/www.naturgucker.de
Im Schlaraffenland
Bei uns gibt es immer mehr Wildschweine. Was macht die Tiere so erfolgreich?
Im Germanien von heute würden sich Asterix und Obelix vermutlich pudelwohl fühlen. Zwar hat die Zahl der Römerlager abgenommen, doch Wildschweine, bekanntlich die Nahrungsgrundlage der beiden gallischen Comic-Helden, gibt es mehr denn je.
Doch woran liegt das? Immerhin wurden in den vergangenen zehn Jahren deutschlandweit mehr als 6,3 Millionen Stück Schwarzwild geschossen. „Das ist viel zu wenig“, sagt Oliver Keuling, Biologe am Institut für Wildtierforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, der sich auf Wildschweine spezialisiert hat. Die Jäger kämen einfach nicht mehr nach.
Ganzjahres-Sex und junge Mütter
„Unsere Wildschweine leben im Schlaraffenland“, erläutert Keuling, der selbst jagt. Das Klima werde milder und der Tisch sei das ganze Jahr über reich gedeckt: „Passt die Nahrungsgrundlage, steigt die Vermehrungsrate automatisch.“ Jungtiere, auch Frischlinge genannt, würden dann oft schon im ersten Lebensjahr geschlechtsreif.
Für gewöhnlich paaren sich Wildschweine im Winter. Die Paarungszeit beginnt bei uns im November und endet im Januar. Darauf sind Bachen, also ältere weibliche Tiere, hormonell gepolt, erläutert Keuling. Bei Frischlingsbachen ist das anders: Sie haben eine nur schwach ausgeprägte hormonelle Steuerung seien das ganze Jahr über paarungsbereit.
Aufschwung dank Raps und Mais
Nach einer Tragzeit von etwa vier Monaten – und damit bei den älteren Tieren pünktlich zum Beginn der Rapsblüte im April und Mai – bringt jede Bache im Schnitt sechs Junge zur Welt. Raps sei in dieser Zeit eine ideale Nahrungsquelle, sagt der Biologe: „Raps ist energie- und proteinreich, also genau das, was säugende Bachen brauchen.“
Jungtiere bleiben bei der Mutter bis die nächste Frischlingsgeneration zur Welt kommt. Die Mutterfamilie ist die kleinste soziale Einheit. Manchmal blieben die weiblichen Frischlinge des Vorjahres mitsamt ihrem eigenen Nachwuchs jedoch auch weiter bei der Mutter. Das sind Verbände von zehn bis zwanzig Tieren, die von der Urmutter als Leitbache geführt werden. „Innerhalb der Rotte bildet sich eine lose Hierarchie, an deren Spitze unangefochten die Leitbache steht“, erklärt Keuling. Die vorjährigen Frischlingsmännchen schließen sich dagegen in eigenen Rotten zusammen.
Vorsicht, wenn die Bache faucht!
Wildschweine gehen dem Menschen nach Möglichkeit aus dem Weg. Wer durch den Wald spaziert und sich dabei unterhält, wird keinem Wildschwein begegnen. Nur im Frühjahr, wenn die Frischlinge gerade zur Welt gebracht und noch hilflos sind, kann es zur Konfrontation kommen. Eine Bache, die das Gefühl hat, sie müsse ihren Nachwuchs verteidigen, reagiert mit Fauchen und Drohgebärden; ein Angriff ist möglich. Dann heißt es Ruhe bewahren und sich langsam zurückziehen.
Wildschweine, deren keilförmiger Schädel fast ansatzlos in einen massigen Rumpf übergeht, sind mit einem kräftigen Gebiss bewehrt. Mit Schulterhöhen bis zu einem Meter und Gewichten bis 200 Kilo zählen sie zu den größten Wildtieren hierzulande.
Fressen, was vor die Schnauze kommt
Ist der Raps verblüht und sind die Jungen groß genug, um mit der Rotte mitlaufen zu können, geht es zur Sommerfrische ins Maisfeld, wo die Tiere oft bis zur Ernte im Herbst bleiben. Maisfelder seien für Wildschweine zum zusätzlichen Lebensraum geworden, berichtet Keuling. „Im Mais finden sie alles, was sie brauchen: Nahrung, Deckung, Schutz vor Wind und Wetter.“
Im Herbst zieht es die Rotten dann wieder in den Wald. Dort gibt es jetzt Eicheln und Bucheckern, die Idealnahrung des Wildschweins. Insbesondere in Mastjahren, wenn die Bäume üppig Früchte tragen, kommen fast alle Tiere gut durch den Winter. Wildschweine sind Allesfresser. Für die Nahrungssuche, bei der ihnen ihre feine Nase hilft, durchwühlen sie den Boden nach Früchten, Knollen, Pilzen, Würmern, Schnecken und Insektenlarven; sie fressen allerdings auch die Gelege bodenbrütender Vögel und räubern Kaninchenbauten aus.
Mit ihrer Art der Nahrungssuche steigern sie die Artenvielfalt im Wald, denn in umgewühlten Böden keimen mehr Samen als in unberührten. Zudem tragen Wildschweine durch Samen, die im Winterfell hängenblieben und anderswo zu Boden fielen, zur Verbreitung vieler Pflanzenarten bei.
Vorbild Asterix und Obelix
Durch das Leben in freier Wildbahn, wo die Tiere sich ständig bewegen und nur fressen, was die Natur bietet, ist Wildschwein eine klimaneutrale Alternative zu Fleisch aus dem Supermarkt. Die radioaktive Belastung des Wildbrets, seit Tschernobyl ein Thema, sei mittlerweile nur noch regional ein Problem, sagt Oliver Keuling: „Betroffen sind vor allem Mittelgebirgsregionen in Süddeutschland.“
Wie Studien zeigen, ist Wildschwein-Fleisch gesund. Der Anteil wertvoller 0mega-3-Fettsäuren liegt mit 14 bis 21 Prozent ähnlich hoch wie bei Lachs. Das müssen Asterix und Obelix irgendwie geahnt haben. Im Lauf der Comic-Serie verspeist Obelix nachweislich 125 Wildschweine – die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.
Hartmut Netz (Naturschutz heute 2020)
Die Afrikanische Schweinepest ist in Deutschland mittlerweile endemisch. In Landwirtschaftskreisen herrscht weiterhin Unruhe. Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Viruserkrankung. Mehr →
In seinem Positionspapier bekennt sich der NABU ausdrücklich zu einer naturverträglichen Jagd – vorausgesetzt, sie entspricht den Kriterien der Nachhaltigkeit und den ethischen Prinzipien. So muss das erlegte Tier zum Beispiel sinnvoll genutzt werden. Mehr →
Verwandte Themen
Während die „echten“ Hirsche das ganze Jahr über vorwiegend in Rudeln zusammenleben und eher an das Leben in der baumlosen Steppe angepasst sind, sind Rehe Wald- und Buschtiere und leben meist einzeln. Mehr →
Faszination Rothirsch: Das größte heimische Wildtier nach dem Wisent ist so imposant wie scheu, nur selten bekommen Menschen es zu sehen. Dennoch steht es wie kaum ein anderes Tier im Spannungsfeld von Naturschutz und wirtschaftlichen Interessen. Mehr →
Seit einigen Jahren zieht es immer wieder einzelne Elche aus Osteuropa nach Deutschland. Die Lebensbedingungen sind - insbesondere im dünnbesiedelten Brandenburg mit seinen Feuchtwiesen und Moorwäldern - ideal. Werden Elche bald wieder sesshaft in Deutschland? Mehr →
Das Vorbild des „Osterhasen“ ist bedroht: Besonders die intensive Landwirtschaft und der Verlust des Lebensraums machen dem Feldhasen schwer zu schaffen. Wir brauchen eine umwelt- und naturverträgliche Landwirtschaft in Europa. Damit auch der Feldhase bei uns wieder zuhause sein kann. Mehr →
Auf der Beliebtheitsskala von uns Menschen rangieren Eichhörnchen ganz oben. Dazu tragen sicher ihre koboldhafte Gestalt mit fingerartigen Zehen an den kurzen Vorderbeinen sowie ihre tollkühnen Kletterkünste und das Männchenmachen bei. Mehr →
Seit 30 Jahren setzt sich der NABU für den Schutz der Wölfe in Deutschland ein. Die erste Euphorie über die Rückkehr des ausgerotteten Tieres rief vermehrt Wolfsgegner*innen auf den Plan. Der NABU will zwischen Mensch und Tier vermitteln. Mehr →