Koexistenz zwischen Mensch und Schneeleopard
Forschung für den Schutz von Schneeleoparden und Lebensgrundlagen in Nepal
Im Nar Phu-Tal gibt es häufig Konflikte zwischen Schneeleoparden und Menschen. Während Viehhalter*innen um ihre Lebensgrundlage fürchten, werden Schneeleoparden Vergeltungstötungen zum Verhängnis. Ein Projekt sucht Wege hin zur friedlichen Koexistenz.
Das Tal liegt im Norden Nepals und im Herzen des größten Naturschutzgebiets des Landes: dem Annapurna Nationalpark. Seine 7.629 Quadratkilometer umfassen nicht nur einen der berühmtesten Achttausender der Welt, den Annapurna, sondern auch eine Vielzahl an Flora und Fauna. Über 100 Säugetierarten und 3.400 Pflanzenarten sind hier zuhause. 65 dieser Arten sind endemisch. Sie gibt es nur hier und sonst nirgendwo auf der Welt.
Im Reich der Achttausender
Von grünen Tälern auf 800 m bis hinauf zu ganzjährig schneebedeckten Gipfeln auf 8.000 m Höhe – die Region bietet so vielfältige Lebensräume verschiedenster Höhenlagen und klimatischer Bedingungen wie nur wenige neben ihr.
Und zwischen diesen Extremen: die kleinen Dörfer Phu und Nar. Die Siedlung Nar umfasst rund 65 Haushalte und liegt auf einer Höhe von 4.200 m – über 1.000 m höher als Deutschlands höchster Berg, die Zugspitze. Schon seit vielen Generationen leben die Dorfbewohner*innen von Viehzucht und treiben ihre Nutztierherden entlang der Gebirgslandschaften rund um das Dorf. Ihre Heimat teilen sie sich mit Wildtieren wie dem Schneeleoparden. Leider ist ihre Beziehung zu den wilden Großkatzen kompliziert, denn diese bedrohen ihre Existenzgrundlage.
Ein geteilter Lebensraum
Das Nar Phu-Tal ist dünn besiedelt und verfügt über gute Bestände an natürlich vorkommenden großen Säugetieren, wie Blauschafen, Himalaya-Tahren und Himalaya-Wollhasen, den Beutetieren des Schneeleoparden. Trotzdem kommt es hier immer wieder zu gravierenden Aufeinandertreffen von Schneeleoparden und Menschen. Einer der Gründe dafür liegt in der Zerschneidung der natürlichen Lebensräume der Schneeleoparden. Häufig überschneiden sich die Weideflächen der Menschen mit den Jagdgebieten der Schneeleoparden. Angriffe auf das Vieh der Dorfgemeinschaft sind die Folge.
In Nepal leben schätzungsweise nur noch 350 bis 500 Schneeleoparden – mit abnehmender Tendenz. Um sowohl die gefährdeten Schneeleoparden als auch die Lebensgrundlage der lokalen Gemeinschaften langfristig zu schützen, ist es entscheidend, das Verhalten der Schneeleoparden und deren sensible Beziehung zu den Menschen besser zu verstehen. Mit dem Projekt „Mensch und Schneeleopard – Koexistenz im Nar-Tal“ arbeiten der NABU und die Universität Wageningen gemeinsam daran, diese Wissenslücke zu füllen und Strategien für eine friedliche Koexistenz zu entwickeln.
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Befragung eines Dorfbewohners im Nar Phu-Tal in Nepal - Foto: Ashok Subedi
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In Nepal leben nur noch 350 bis 500 Schneeleoparden – mit abnehmender Tendenz - Foto: Andy Fabian
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Seit vielen Generationen leben die Dorfgemeinschaften im Nar Phu-Tal von der Viehzucht - Foto: Ashok Subedi
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Für Nutztiere, wie Schafe und Ziegen, werden im Nar Phu-Tal traditionelle Ställe genutzt. Jedoch können Schneeleoparden leicht in diese einbrechen - Foto: Om Gurung
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Mit Hilfe von Yaks pflügen die Dorfbewohner*innen ihre Felder, um darauf zum Beispiel Gerste und Kartoffeln anzupflanzen - Foto: Ashok Subedi
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Im Reich der Achttausender: Schneeleoparden sind perfekt an die schroffen Bergregionen Nepals angepasst - Foto: Ashok Subedi
Citizen Science im Himalaya
Das Projekt verfolgt einen innovativen Ansatz: Die lokale Bevölkerung wird aktiv in die Forschung einbezogen. Dafür wurde ein digitales System entwickelt, welches für alle Teile der Bevölkerung zugänglich ist – zum Beispiel über das Smartphone. Darin können die Dorfbewohner*innen Angriffe auf Weidetiere durch Schneeleoparden und ihre genauen Verluste festhalten. Außerdem können sie damit Spuren von Schneeleoparden, wie Pfotenabdrücke, Futterreste, Fellstücke oder Kot, dokumentieren. Alle Daten werden gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet, um Brennpunkte für Konflikte zwischen Menschen und Schneeleopard zu identifizieren und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten.
In der ersten Projektphase wurde mit Hilfe von Umfragen die technische Ausstattung der Dorfgemeinschaft sowie deren bisherige Erfahrungen mit Schneeleoparden festgestellt. Demnach verfügten alle Befragten über ein Mobiltelefon und ein Großteil gab an regelmäßig das Internet und Social Media zu nutzen. Mit dieser vergleichsweise hohen digitalen Kompetenz und technischen Ausstattung ist es möglich, die Idee des Citizen Science in die Tat umzusetzen.
Bewusstsein und Beteiligung wachsen
2022 ging das Projekt in die nächste Runde. Gemeinsam entwickelten die Dorfgemeinden, die Schutzgebietsverwaltung, das Forscherteam der Universität Wageningen und der NABU einen Plan für die kommenden vier Jahre, um dauerhaft Wissen über die seltene Großkatze und ihren Schutz in der Annapurna-Region zu sichern.
Inzwischen kann das Projekte erste Erfolge verzeichnen. 2023 wurden acht Schneeleoparden-sichere Ställe gebaut. Workshops zur Nutzung der App wurden mit der Bevölkerung vor Ort durchgeführt und Bewusstsein für das Projekt gestärkt. Und die App wird angenommen: Mehr als 80 Nachweise von Schneeleoparden wurden mittlerweile in die App eingetragen; 16 Mal wurde von der „Livestock Depredation Form“ in der App Gebrauch gemacht, um Kompensationszahlungen zu erhalten. Über das jeweilige „Snow Leopard Conservation Subcommittee“ in beiden Dörfern werden diese Kompensationszahlungen einfach und unbürokratisch ausgezahlt.
Bericht: Dramatischer Vorfall im Dorf Phu
Vor allem in kleinen Bergdörfern wird immer wieder von Schneeleoparden berichtet, die Nutztiere der Menschen angreifen. Wie gravierend solche Vorfälle für die lokale Bevölkerung sein können, zeigt ein Bericht von Wissenschaftler Kamal Thapa: Im April 2021 wurden im Dorf Phu in einer Nacht 44 Ziegen und Schafe von einem Schneeleoparden getötet - ein schwerer Verlust für die Dorfbewohner*innen. Der Schneeleopard wurde in einem Stall gefangen. Nur mit viel Durchhaltevermögen und unter Versprechung von Kompensationen, konnte der Wissenschaftler die Dorfgemeinschaft überreden, den Schneeleoparden wieder in die Freiheit zu entlassen.
Fakten zum Projekt
Projektname
Mensch und Schneeleopard – Koexistenz im Nar Phu-Tal
Projektregion
Nar Phu-Tal, Nepal, District Manang
Laufzeit
Phase 1: 2018-2021
Phase 2: 2022-2024
Projektpartner*innen
Das Projekt ist eine Kooperation zwischen NABU und Wageningen University & Research. Das Projektteam dankt den lokalen Gemeinden des Nar Phu-Tals und dem National Trust for Nature Conservation (NTNC) für ihre Unterstützung.
Finanzierung
Finanziert aus Spendengeldern zum Schneeleopardenschutz des NABU.
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