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Reichlich Nahrung für Wiesel und Turmfalke
Wie mit „Mäusejahren“ umgehen?
Mäusealarm in Niedersachsen: Wo sonst saftig grüne Wiesen das Landschaftsbild prägen, dominierten im vergangenen Frühjahr vielerorts kahl gefressene braune Kraterlandschaften. Sichtbare Folge einer Massenvermehrung der Feldmaus. Auf den Wiesen wimmelte es von Mäusen. Ein Schlaraffenland für Mäusebussarde, die im Sitzen Beute machten; eine Katastrophe für die Landwirt*‘innen, auf deren Wiesen buchstäblich kein Gras mehr wuchs.
Feldmäuse durchwühlen den Boden und fressen das Gras samt Wurzeln ab. Danach ist Wüste. Rund 150.000 Hektar Wiesen und Weiden waren betroffen – etwa ein Fünftel der gesamten Grünlandfläche Niedersachsens.
Kräftige Ausschläge
Etwa alle drei bis fünf Jahre vermehren sich die Nager explosionsartig. Mehr als 2000 Tiere leben dann auf einem Hektar. 2004, 2007, 2012 und 2015 waren in Deutschland solche Mäusejahre – mit jeweils unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten. Im vergangenen Jahr traf es neben Niedersachsen vor allem Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
So schnell, wie sich die Feldmaus vermehrt, so schnell brechen ihre Bestände auch wieder ein. Für die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe ist es dann allerdings zu spät. Die Grasnarbe ist zerstört, der Boden durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Nutzpflanzen wie Klee, Raps oder Wintergetreide sind angeknabbert und verkümmern, sodass sich die Ernte meist nicht mehr lohnt.
Leibspeise für Falke und Wiesel
Mit ihrem unterirdischen Wühlen durchlüften Feldmäuse den Boden, mit ihrem Kot düngen sie ihn. Zudem verteilen sie Pflanzensamen und sind unverzichtbare Nahrung für Mauswiesel, Rotmilan, Turmfalke und Schleiereule.
Als ausgesprochene Steppentiere siedeln Feldmäuse in der offenen, landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft. Dort leben die neun bis zwölf Zentimeter großen Nager, die sich von der Hausmaus durch kleinere Ohren, einen kürzeren Schwanz und einen etwas plumperen Körperbau unterscheiden, in dichten Kolonien. Die zur Unterfamilie der Wühlmäuse gehörenden Tiere haben ein kurzhaariges, graubraun gefärbtes Fell und zählen in Deutschland zu den häufigsten Säugetierarten.
Fluchtwege freihalten
Als Unterschlupf graben Feldmäuse Baue, die etwa 20 Zentimeter unter der Erdoberfläche liegen und bis zu einem Dutzend Eingangsröhren haben. Die Eingänge sind über ein oberirdisches, viele Meter langes, kahl gefressenes Wegenetz erreichbar. „Feldmäuse sind Fluchttiere“, erläutert Jens Jacob, Wissenschaftler am Julius-Kühn-Institut in Münster, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. „Bei Gefahr bringen sie sich über ihre Laufpfade schnell in Sicherheit“, führt der Biologe aus, der die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Feldmausmanagement leitet, ein Gremium, das nachhaltige Methoden zur Mäusebekämpfung entwickelt.
Ihre mit wenigen Monaten in freier Wildbahn vergleichsweise geringe Lebenserwartung gleichen Feldmäuse durch eine außerordentliche Fruchtbarkeit aus. Weibchen sind bereits im Alter von 13 Tagen geschlechtsreif. Nach einer Tragzeit von im Mittel 21 Tagen bringen sie fünf bis acht Junge zur Welt. Die frisch geborenen Jungmäuse sind nackt und blind und wiegen im Schnitt nur anderthalb Gramm.
Frühwarnsystem für Mäusejahre
Jungtiere und ihre Mütter bilden Familienverbände, die sich nach drei Wochen wieder auflösen. Bei großer Populationsdichte bleiben die Verbände jedoch bestehen, und es bilden sich Nestgemeinschaften, in denen die weiblichen Tiere ihre Jungen gemeinsam aufziehen.
Trotz intensiver Forschung sei es bislang nicht gelungen, die Gründe für die zyklischen Massenvermehrungen der Feldmaus aufzuklären, räumt Jens Jacob ein: „Klar ist nur, dass neben Witterung und Futterverfügbarkeit noch andere Faktoren eine Rolle spielen.“ Seine Arbeitsgruppe hat ein Frühwarnsystem für Mäusejahre entwickelt. „Das hilft den Betrieben einzugreifen, solange der Mäusebefall noch gering ist“, sagt Jacob. Fraßschäden ließen sich damit zumindest begrenzen.
Bekämpfung mit und ohne Gift
Droht eine Massenplage, greifen betroffene Betriebe oft zur chemischen Keule. Gängig ist das Ausbringen von vergifteten Weizenkörnern, die mit der sogenannten Legeflinte direkt in die Mäuselöcher gelegt werden. Zinkphosphid, der dabei eingesetzte Giftstoff, sei für Fressfeinde ungefährlich, versichert Jacob. „Das Mittel wird im Körper zu Phosphorwasserstoff umgesetzt, der schnell ausgast“, erläutert er. „Einer Eule, die eine vergiftete Maus frisst, passiert nichts.“ Haselmäusen oder Feldhamstern, die von den Giftkörnern selbst fressen, allerdings schon. Deshalb ist der Gifteinsatz gesetzlich eingeschränkt.
Das Problem sei, dass fast alles, was der Feldmaus schade, auch vielen anderen Arten schade, sagt Jacob. Deshalb plädiert er für möglichst chemiefreie Bekämpfung. Ackerbaubetriebe hätten die Möglichkeit, Mäusenester mit dem Grubber, einem Gerät zum pfluglosen Auflockern des Bodens, zu zerstören, schlägt er vor. Zudem ließen sich mit Sitzkrücken – das sind auf Masten angebrachte Querstangen – Greifvögel zur Mäusejagd auf die Felder locken.
Eine andere Lösung könnte sein, die Massenvermehrung der Feldmäuse generell zu verhindern. Jacobs Arbeitsgruppe experimentiert gerade mit verschiedenen Methoden. Die Forschung ist allerdings ganz am Anfang. Es wird also noch dauern mit dem Verhütungsmittel für Feldmäuse. Turmfalken und Wiesel freut das.
Hartmut Netz (Naturschutz heute 2022)