Unauffällig: Eingang zu einem Feldhamsterbau - Foto: Tim Mattern
Tod im Kornfeld
Der Feldhamster droht auszusterben – weltweit
Deutschland sucht den Feldhamster. Wer im sächsischen Landkreis Nordsachsen einen Bau des streng geschützten Nagers findet, wird mit 50 Euro belohnt. Die Hamstersuche ist Auftakt einer Strategie zur Arterhaltung. Denn Feldhamster, noch bis in die 80er Jahre als Plage verschrien, sind selten geworden. Nicht nur in Nordsachsen, sondern in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet vom Elsass über Osteuropa bis an den Fluss Jenissei in Sibirien.
Im Juli 2020 wurde der kleine Nager auf der weltweiten Roten Liste in die höchste Kategorie gestuft. Er gilt jetzt als unmittelbar vom Aussterben bedroht. Ohne wirksamen Schutz könnte er in 30 Jahren endgültig verschwunden sein.
Rückgang um 99 Prozent
Der Feldhamster ist ein etwa meerschweinchen-großer Geselle mit gelbbraunem Fell, nacktem Schwanz, scharfen Zähnen und geräumigen Backen. In der EU ist er bereits seit den 90er Jahren streng geschützt. Erst im vergangenen Jahr hat ihm der Europäische Gerichtshof nochmals den Rücken gestärkt. Demnach dürfen auch verlassene Baue, so die Möglichkeit besteht, dass ihre Bewohner zurückkehren, nicht angetastet werden. Genutzt hat es nichts. Die Zahl der Hamster in Deutschland, die auf hiesigen Äckern einst millionenfach vorkamen, sei seit den 50er Jahren um 99 Prozent gesunken, schätzt Stefanie Monecke vom Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Aktuell befindet sich die Art im Prozess des Aussterbens“, stellt die Biologin fest.
Wissenswertes im Feldhamster-Steckbrief
Der Feldhamster (Cricetus cricetus) gehört zu den Nagetieren. Er wird auch Europäischer Hamster genannt. Sein Aktionsraum ist mit bis zu 2,5 Hektar eher klein. Neben ausreichend Nahrung und Deckung ist für den Feldhamster vor allem die Bodenbeschaffenheit von entscheidender Bedeutung. Um seine weitverzweigten Baue graben zu können, braucht der Feldhamster tiefgründige Böden. Optimal sind Löss- und Lehmböden mit niedrigem Grundwasserspiegel. Dieser sollte mindestens 1,2 Meter unter der Erdoberfläche liegen – sonst läuft der Bau voller Wasser.
Größere Vorkommen an Feldhamstern gibt es nur noch in der Mitte Deutschlands, nämlich in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. In West- und Süddeutschland – in NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern – sind lediglich kleinere lokale Populationen erhalten.
Von Oktober bis einschließlich März halten Feldhamster Winterschlaf. Alle 5 bis 14 Tage wachen sie auf und müssen dann etwas fressen – daher ist es für Feldhamster so wichtig, ausreichend Vorräte anzulegen. Nachwuchs bekommen sie Ende Mai bis Mitte Juni.
Auf dem Speiseplan des Feldhamsters stehen Feldpflanzen aller Art. Daneben erbeuten sie aber auch kleine Tiere wie Insekten und Regenwürmer. Im Juli beginnen sie damit, Vorräte für den Winter anzulegen. Sie „hamstern“ Getreide, Wildkrautsamen, Hülsenfrüchte sowie Stücke von Rüben und Kartoffeln. Um einen Winter überstehen zu können, benötigt ein Feldhamster ein bis zwei Kilogramm Nahrung.
Feldhamster sind vor Jahrtausenden aus Osteuropa eingewandert. Im Zuge der sich ausbreitenden Landwirtschaft spezialisierten sich die einstigen Steppenbewohner auf Getreidefelder, wo sie Schutz und Nahrung finden. Dort graben sie weitverzweigte, bis zu zwei Meter tiefe Baue, mit Schlafhöhle, Toilette, mehreren Vorratskammern und Fallröhren von der Oberfläche, in die sie bei Gefahr kopfüber abtauchen.
Einst Hassobjekt der Bauern
Ihre Vorratskammern füllen die Hamster mit Getreide. Etwa zwei Kilogramm Körner braucht ein Feldhamster, um den Winter zu überstehen. Damit wurde er zum Hassobjekt der Bauernschaft, die dabei jedoch übersah, dass die Grabtätigkeit der Tiere sowie im Bau zurückgebliebene Fäkalien und Vorräte der Bodenfruchtbarkeit zugutekommen.
Doch aus der anfangs so erfolgreichen Spezialisierung an den Lebensraum Kornfeld ist in den vergangenen Jahrzehnten eine verhängnisvolle Abhängigkeit geworden. Das Problem ist nicht die Landwirtschaft an sich, sondern ihre zunehmende Industrialisierung. Wo früher kleine Äcker mit unterschiedlichen Feldfrüchten einen bunten Teppich bildeten, erstrecken sich heute oftmals Monokulturen mit Mais und Weizen, die um ein Vielfaches größer sind als der Lebensradius der Hamster.
Viele Tiere litten unter Mangelernährung, erläutert Monecke. Doch insbesondere der Mangel an Vitamin B3, auch Niacin genannt, kann fatale Verhaltensstörungen zur Folge haben: Hamsterweibchen verlieren den Mutterinstinkt und fressen ihre Jungen, heißt es in einer Studie der Universität Straßburg. Zudem ermöglichen schnellreifende Getreidevarianten immer frühere Ernten, sodass Feldhamster, die sich erst im Oktober in den Winterschlaf zurückziehen, oft schon im Juli ohne jegliche Deckung dastehen – ein gefundenes Fressen für Uhu, Rotmilan und Mäusebussard.
Zu spät aus dem Winterschlaf
Hinzu kommt der Flächenfraß, dem in Deutschland tagtäglich 60 Hektar wertvollen Bodens zum Opfer fallen. Neue Wohn- und Gewerbegebiete werden oft auf Ackerland gebaut und lassen den Lebensraum des Feldhamsters schrumpfen; neue Straßen zerschneiden die Landschaft und zerstückeln seine Siedlungsflächen. „Eine gesunde, sich selbst erhaltende Population mit fünf bis acht Individuen pro Hektar benötigt mindestens 20 Hektar unzerschnittene Feldfläche“, schätzt Stefanie Monecke. Noch kleinere Populationen litten unter Inzucht und genetischer Verarmung.
Doch all das ist es nicht allein, was dem Feldhamster, einem engen Verwandten des als Haustier beliebten Goldhamsters, die Luft abdrückt. „Das größte Problem ist die stetig sinkende Fortpflanzungsrate“, sagt Monecke. Die Wurfgröße habe kontinuierlich abgenommen, von acht bis zehn Jungtieren in den 1950er Jahren auf drei bis vier heute, berichtet sie: Auch die Zahl der Würfe habe sich verringert: „Noch bis in die 80er Jahre haben Hamsterweibchen zwei bis drei Würfe pro Jahr zur Welt gebracht. Heute sind es nur noch ein bis zwei.“
Die Tiere kämen zu spät aus dem Winterschlaf, führt die Biologin aus. „Früher war der Winterschlaf bereits Anfang April beendet. Heute erwachen sie oft erst Mitte bis Ende Mai.“ Damit verschiebe sich jedoch der Beginn der Paarungszeit in den Sommer und der für die Arterhaltung besonders wichtige Frühjahrswurf bleibe aus, erläutert sie: „Im Frühjahr geborene Hamster werden noch im gleichen Jahr geschlechtsreif und zeugen selbst Junge.“
Kunstlicht stört die innere Uhr
Der Grund für das späte Erwachen ist unklar. Doch die Biologin hat eine Spur: „Möglicherweise bringt die wachsende Lichtverschmutzung die innere Jahresuhr des Feldhamsters durcheinander.“ Sie steuere den Schlaf-wach-Rhythmus der Tiere und werde jedes Jahr aufs Neue gestellt, erläutert sie. „Das passiert im Sommer, wenn die Tage langsam wieder kürzer werden.“ Künstliche Lichtquellen könnten diesen Prozess stören, so die These der Wissenschaftlerin, die jedoch noch belegt werden muss. Die Hochstufung der Tiere in der Roten Liste könnte weitergehende Forschungen ermöglichen, hofft Monecke. Das sei bitter nötig: „Um den Feldhamster steht es steht Spitz auf Knopf.“
Hartmut Netz (Naturschutz heute 2021)
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