Siebenschläfer - Foto: Kirstin Salzgeber/www.naturgucker.de
Kleine Kobolde
Nach acht Monaten Winterruhe werden die Siebenschläfer wieder munter
Nicht weit vom Forsthaus, in dem ich lebe, steht die alte Grenzeiche. Schon vor Jahren hatte ein Buntspecht seine Bruthöhle in den starken Stamm hineingebaut – fast in Augenhöhe - und den Nachwuchs großgezogen. Später wechselten häufig die Besitzer der Höhle. Mal waren es Kohlmeisen, dann wieder Stare mit ihrer Brut und im vergangenen Jahr hängte ein kleiner Hornissenschwarm sein Wabennest darin auf.
Kurzporträt Siebenschläfer: Ein ausgeschlafener Kletterer
Die meisten kennen den Begriff Siebenschläfer nur von einer alten Bauernregel, die besagt, dass das Wetter am 27. Juni ausschlaggebend sei für die nächsten sieben Wochen. Siebenschläfer gehören zur Familie der Bilche und haben bei einem Gewicht von 70 bis 120 Gramm eine Körperlänge von 13 bis 18 Zentimetern – ohne Schwanz.
Mit seinem 11 bis 15 Zentimeter langen, buschigen Schwanz und der außerordentlichen Kletterfertigkeit erinnert der Siebenschläfer an ein kleines Eichhörnchen, wobei die Oberseite grau und die Unterseite scharf abgegrenzt weiß gefärbt ist. Die Ohren sind rund und fast nackt. Charakteristisch ist der schmale dunkle Ring um die stark vorquellenden schwarzen Augen. Der Siebenschläfer ist ein Dämmerungs- und Nachttier und somit seltener tagsüber aktiv. Als nächtlicher Poltergeist macht er durch laute Geräusche wie Schreien und Quieken vom Dachboden aus auf sich aufmerksam.
Siebenschläfer passen sich dem jahreszeitlichen Nahrungsangebot gut an. Von pflanzlicher Kost bis hin zu Insekten, Vögeln, Eiern und – wo erreichbar – menschlicher Nahrung wird fast alles aufgenommen. Im Spätsommer suchen die Siebenschläfer bevorzugt nach Eicheln und Bucheckern, eine wichtige Nahrung zum Aufbau von Fettreserven für den bevorstehenden langen Winterschlaf.
Jetzt sind es quirlige Blaumeisen, die schon seit Tagen emsig die Höhle mit Futter anfliegen. Doch heute sind sie nicht besonders fleißig. Eine dreiviertel Stunde beobachte ich nun schon das Einflugloch, aber kein Altvogel lässt sich blicken. Das ist ungewöhnlich, irgendetwas stimmt nicht. Am Höhlenloch keine verdächtigen Spuren, die auf das Eindringen eines Nesträubers hinweisen, und auch unten am Boden kein herausgeworfenes Nestmaterial.
Drama im Meisenkasten
Als ich die kleine Stablampe in das Loch schiebe, um mir einen Einblick in das Innere zu verschaffen, ertönt darin mit kurzen Unterbrechungen eine Art Surren, ähnlich dem Lauf einer alten Nähmaschine, und gleich darauf zeigt sich die weißliche Unterseite eines Kopfes mit zwei kräftigen, gelblichen Nagezähnen: die beachtliche Drohgebärde eines im Schlaf gestörten Siebenschläfers. Der jungen Blaumeisen hat er sich in gleicher Weise angenommen, wie auch andere Nesträuber, so dass es für die Vogeleltern nichts mehr zu füttern gab. Eines der kleinen Dramen, die sich immer mal wieder bei Besitznahme einer bewohnten Nisthöhle abspielen.
Eine Woche später. Kurz vor Mitternacht werden wir durch laute Geräusche im Dachboden geweckt. Eigentlich nichts besonderes, denn selten ist es da oben, einer Art Krankenstation für verletzte Wildvögel, mal ganz still. Doch dieses Poltern, Schreien, Quieken ist seltsam und gehört keinesfalls zu den Lautäußerungen unseres derzeitigen Pfleglings Julchen, der Schleiereule.
Also vorsichtig die letzten Stufen bis zur Bodentür hinauf. Noch ist das Spektakel in vollem Gange, an dem wohl mehrere der geheimnisvollen Unruhestifter beteiligt sein müssen. Doch bevor noch die Tür ganz geöffnet und der Lichtschalter gedrückt ist, ist der ganze Spuk verschwunden, Stille. Julchen ist nicht zu sehen. Der Beinbruch ist schon so gut verheilt, dass sie die letzten Nächte draußen im Freiflug unterwegs ist. Doch auf dem letzten Balken, fast unter dem Dachfirst, hebt sich in der dunkelsten Ecke etwas Helles ab und im Licht der Taschenlampe offenbart sich mir ein Siebenschläfer. Kaum habe ich ihn als solchen erkannt, ist er auch schon hinter der Holzverschalung verschwunden.
Ob es der Schläfer aus der Blaumeisenhöhle ist? Auf jeden Fall aber sind es, wie sich später herausstellt, sogar drei Siebenschläfer, die jetzt Ende Juni so lautstark ihr Ranzverhalten begleiten. In den zwei folgenden Nächten machen sie nochmals unüberhörbar auf ihre Anwesenheit aufmerksam. Danach ist von ihnen nichts mehr zu hören, auch keinerlei Spuren geben irgendeinen Hinweis, dass sie sich noch in der Nähe aufhalten.
Neugierig und vernascht
In den folgenden Sommermonaten habe ich im Schuppen häufig bis in die späte Nacht hinein zu tun. Von den kleinen Kaffeepausen bleiben immer mal Reste von Süßigkeiten liegen. Eines Abends sitzt doch ein Siebenschläfer am Teller mit dem süßen Gebäck. Da und dort schnuppernd hat er die Auswahl, ergreift mit den Vorderpfötchen einen Keks, packt ihn mit den Nagezähnen und verschwindet blitzschnell durch das offene Fenster im Dunkel des Gartens.
In der nächsten Zeit wird der kleine Dieb immer dreister, denn selbst meine Anwesenheit hält ihn vom nächtlichen Schuppenbesuch nun nicht mehr ab. Einen Augenblick beobachtet er mich, noch im offenen Fenster sitzend, um dann geschwind auf den Balken unter die Decke zu klettern. Von sicherer Warte, bewegungslos, fast starr, lässt er mich nicht mehr aus seinen großen Augen. Nur die Ohren sind ständig in Bewegung, werden abwechselnd gedreht und gekippt und können so auch die leisesten Geräusche genau fixieren. So hatte sich mein kleiner nächtlicher Freund zu einem beständig wiederkehrenden Gast entwickelt. Eine gewisse Neigung zum Kulturfolger ist beim Siebenschläfer unverkennbar.
Eine Familie stellt sich ein
Zu keiner Zeit hatten sich bisher Siebenschläfer in eine der im Forsthausgarten aufgehängten Nisthöhlen zur Tagesruhe einquartiert. Anfang August dann die große Überraschung: In einer der etwas verdeckt angebrachten Höhlen, zwischen frisch eingetragenen Eichenblättern, liegt eine Siebenschläfermutter mit vier etwa sechs Wochen alten Jungen. Mit Sicherheit gehörte sie zu den drei Poltergeistern vom Dachboden.
Halb auf den Rücken liegend versucht das Weibchen, den vermeintlichen Feind durch die typischen Drohlaute einzuschüchtern und mit schnellen Schlägen der Vorderbeine abzuwehren. Der Nachwuchs aber, noch im silbergrauen Jugendkleid, drängt sich ängstlich in die hinterste Ecke der Höhle. Schnell das Quartier wieder schließen, denn Störungen während der Tagesruhe werden sehr übel genommen und stets in der folgenden Nacht mit Wechsel des Schlafplatzes quittiert.
Balanceakte im hohen Geäst
Häufig gelingt es, den einen oder anderen der fünfköpfigen Familie beim nächtlichen Früchtesammeln zu beobachten. Gewandt klettern sie in Eichen und Buchen, bis an die äußersten Spitzen auch kleiner Äste, und überwinden springend oft mehrere Meter, dabei mit dem buschigen Schwanz balancierend und steuernd. Dünne Zweige werden mit den Händen und den darauf sitzenden dicken Schwielen sicher umfasst, während an Stämmen und dicken Ästen die Krallen an den Zehenspitzen einen festen Halt geben. Das schnelle und sichere Bewegen in den nächtlichen Baumkronen, auch auf der Flucht vor ihren flinken Hauptfeind, dem Baummarder, ist nur möglich durch ein harmonisches Zusammenspiel von drei Sinnesorganen: Tasthaare, Geruch und Gesicht. Die Suche nach Früchten erfolgt durch den Geruch.
Ihre besondere Vorliebe für Süßigkeiten führt die Siebenschläfer jetzt häufig zu den reichlich früchtetragenden Zwetschenbäumen im Forsthausgarten. Vor dem Ernten wird jede Frucht einer intensiven Geruchskontrolle unterzogen. Ist genügend Auswahl, entscheidet man sich erst für die ganz reifen, also besonders süßen Früchte. Da der Verzehr etwas langwierig ist, schleppt der Siebenschläfer sie oft mit viel Mühe in ein sicheres Versteck, um sie dort in Ruhe bis auf den Kern fein säuberlich abzunagen.
Wenn die Wohnungstür zu eng wird
Gewicht und Leibesumfang nehmen durch die angefressenen Fettpolster immer mehr zu. Mit über 200 Gramm Körpergewicht sind sie jetzt fast dreimal so schwer wie in den Sommermonaten.
Dann kann es schon mal vorkommen, dass das Einschlupfloch einer neu gewählten Tagesschlafhöhle mit 32 Millimetern nicht mehr ausreicht und der kleine dicke Kerl beim morgendlichen schnellen Einschlüpfen auf halber Länge plötzlich stecken bleibt. Ein solch hilfloses Geschöpf entdecke ich nachmittags in einer Nisthöhle draußen im Wald. Kopf und Vorderbeine sind bereits innen, der Rest aber hängt fast waagerecht noch außerhalb der Nisthöhle.
Sicher könnte sich der kleine Kerl durch die nun eintretende Zwangsdiät in der folgenden Nacht selbst befreien, doch so lange will ich ihn nicht mehr leiden lassen. Also hänge ich vorsichtig die Frontplatte mit dem Eingeklemmten aus, was natürlich sofort ein heftiges Geschrei und Schlagen der Vorderbeinchen auslöst. Ihn nur am Schwanz rückwärts rauszuziehen wäre nicht möglich, da seine Fettpolster fest verkeilt sind und darüber hinaus auch die sehr zarte Schwanzhaut sich schnell lösen kann - eine Schutzmaßnahme gegen Fressfeinde.
Bis Ende September hält sich die ganze Familie noch im Forsthausgarten auf. Siebenschläfer sind bei ausreichender Nahrung, einer größeren Zahl zur Verfügung stehender Höhlen und wenig Störungen sehr ortstreu. Anfang Oktober finde ich das letzte Mal die ganze Familie. Allerdings haben sich bereits zwei Junge von der Mutter getrennt und zum Tagesschlaf eine eigene Nisthöhle aufgesucht. Zwei Tage bewohnen sie noch diese Unterkunft, dann setzen sie sich ab, möglicherweise schon in ihr für mich unbekanntes Winterquartier.
Winterquartier im Nistkasten
Der Rest meiner kleinen Familie, Mutter mit zwei Jungen, gehört wohl nicht zu den frühen Schläfern, denn noch am 5. Oktober finde ich alle drei im normalen Tagesschlaf, Körpertemperatur und Atemfrequenz sind noch normal. Allerdings haben sie jetzt den Nistkasten im Schuppen bezogen und mit frischen Eichen- und Buchenblättern ausgepolstert. Am folgenden Nachmittag aber ist es dann endlich soweit. Zusammengerollt zu einer wärmesparenden Kugel, den buschigen Schwanz über den Kopf gelegt, liegen alle drei nebeneinander in schon tiefem Winterschlaf.
Acht Monate Winterschlaf: Alles wird heruntergefahren
Sobald die Außentemperatur häufiger unter 18 Grad Celsius absinkt, wird beim Siebenschläfer der Reiz zum Winterschlaf ausgelöst. Darüber hinaus hat auch seine natürliche innere Uhr einen besonderen Einfluss auf diesen Zeitpunkt. Bereits im September suchen die ersten Tiere dafür bevorzugt das Erdreich auf, in das sie sich etwa einen halben Meter tief eingraben. Aber auch in Baumhöhlen, Eichhornkobeln sowie Jagd- und Schutzhütten hat man sie schon im Zustand der Winterlethargie entdeckt.
Zwölf Stunden braucht der Siebenschläfer, um vom normalen Wachzustand in die Winterlethargie zu fallen. Mit der Umgebungstemperatur, die bei ungünstigen Winterquartieren der Außentemperatur entspricht, geht auch die Körpertemperatur zurück, sinkt jedoch nicht tiefer als plus 0,2 Grad Celsius, denn das würde den sicheren Tod bedeuten. Ein „innerer Temperaturfühler“ sorgt bei Unterschreiten dieses Wertes für etwas höheren Stoffwechsel und damit geringfügiges Ansteigen der Körpertemperatur, ohne dass der Schläfer aus seiner Lethargie erwacht. In diesem Zustand atmet das Tier nur noch zweimal pro Minute im Gegensatz zu 90 Atemzügen im Wachzustand. Das Herz schlägt jetzt statt 350 nur noch dreimal pro Minute.
Das Quartier meiner tief schlafenden Bilche ist ein Nistkasten aus Holz, der im Schuppen frei an der Decke mit einem längeren Draht aufgehängt ist. Gelegentliche Kontrollen noch nach mehreren Wochen zeigen, dass alle drei ihre anfängliche typische Schlaflage noch inne haben, es also zwischendurch zu keiner Unterbrechung oder Störung gekommen ist.
Tödliche Verletzung
Doch bei einer neuerlichen Überprüfung Mitte Januar finde ich einen der drei unten auf dem Boden sitzend. Unterbrechungen des Winterschlafes sind nicht häufig, aber auch nicht ungewöhnlich, doch sein Verhalten gefällt mir ganz und gar nicht. Als der Siebenschläfer eingefangen ist, sehe ich mit Entsetzen auch warum: Die eine Seite des Kopfes ist blutig, völlig ohne Fell, Nase und Ohr sind halb angefressen und das linke Auge herausgerissen.
Was ist passiert? Vielleicht ein Wiesel oder eine Spitzmaus, aber die ist nicht in der Lage, an einem Draht zu klettern - und Ratten gibt es hier schon lange nicht mehr. In der kommenden Nacht werde ich versuchen, diesen traurig-mysteriösen Vorgang auf die Spur zu kommen. Die Verletzungen sind so schwer, dass wir den Siebenschläfer nach einer Untersuchung in der Tierklinik Gießen leider einschläfern müssen.
Überraschender Übeltäter Waldmaus
Schon der folgende Abend bringt des Rätsels Lösung. Gegen 23 Uhr taucht eine Waldmaus auf, huscht auf den Balken, in dessen Nähe der Nistkasten hängt und beginnt, nach mehrmaligem Schnuppern, langsam aber sicher am Draht herunter zu klettern. Auf der Höhle angekommen, kurze Duftkontrolle und dann der Versuch, ins Innere einzudringen. Das war also der Übeltäter. Ein Geräusch von mir und mit einem weiten Sprung auf den Wandschrank bringt die Maus sich schnell in Sicherheit.
Der Nistkasten wird nun so abgesichert, dass er weder kletternd noch springend erreicht werden kann. Und so hoffe ich, dass die kleinen Nager ihre acht Monate bis zum Mai ohne Störungen durchschlafen können.
Jürgen Huhn
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