In den Wäldern des Balkans
Luchse in Kroatien
Es ist immer ein spannender Moment, wenn Vedran Slijepčević die Speicherkarte aus einer Überwachungskamera in seinen Laptop schiebt. „Die Kameras sind unsere Augen im Wald“, erklärt seine Kollegin Ivana Selanec. Insgesamt 110 dieser Geräte haben die Mitarbeiter des LIFE Lynx Projekts in verschiedenen Regionen Kroatiens installiert, um ein besseres Wissen über das Verhalten der Luchse zu gewinnen. Doch nicht immer ist auf den Fotos dann tatsächlich auch eine der Raubkatzen zu sehen. Mal ist es ein Bär, mal sind es Waldarbeiter, die den Bewegungsmelder ausgelöst haben. Aber dann hat ein ausgewachsener Luchs tatsächlich direkt in die Kamera geschaut. „Es ist Paul, oder?“, fragt Vedran Slijepčević. Auf dem nächsten Bild ist das für Paul charakteristische Fellmuster deutlich zu erkennen. Ivana Selanec nickt.
Population muss verstärkt werden
Und schon geht es weiter mit dem Auto über holprige Waldwege zur nächsten Station. Wir befinden uns in Gorski kotar, einer Mittelgebirgsregion im Nordwesten Kroatiens an der Grenze zu Slowenien. Die Winter sind hier lang und streng, die Sommer frisch und regenreich. Viel Wald gibt es und nur wenige Menschen. Eigentlich ideale Bedingungen für den Luchs, doch Anfang des letzten Jahrhunderts war dieser hier komplett ausgestorben. 1973 brachten slowenische Jäger erneut sechs Tiere aus der Slowakei in die Region. Die hatten sich zunächst auch gut vermehrt – schätzungsweise 40 bis 60 Luchse gibt es heute in ganz Kroatien. „Aber insgesamt ist die Population einfach zu klein und extrem inzuchtartig“, sagt Slijepčević . Und genau deshalb wurde das Projekt LIFE Lynx aus der Taufe gehoben. Die bestehende Population soll mit weiteren Tieren verstärkt werden, um so das langfristige Überleben des Luchses zu sichern.
Das hört sich einfacher an, als es ist. Der Luchs hat ein ausgeprägtes Territorialverhalten. „Und deshalb“, sagt Vedran Slijepčević, „müssen wir zunächst herausfinden, wo sich die Tiere genau aufhalten und wie sie sich bewegen.“ In einem nächsten Schritt könnten dann diejenigen Gebiete bestimmt werden, die für die Ansiedlung neuer Tiere infrage kommen. An fünf bis zehn Tagen im Monat fährt Vedran die insgesamt 40 Kameras in seiner Region ab, um das aufgenommene Bildmaterial zu sichern. Jetzt, im März, ist besonders viel zu tun. Es ist die Zeit der Fortpflanzung, die Tiere sind viel unterwegs und hinterlassen damit auch Spuren.
Bewegungsprofile auswerten
Vor einer verlassenen Waldhütte bringt Vedran den Wagen zum Stehen. Die Kamera hat diesmal nichts Verwertbares aufgenommen, aber eine Haarfalle, die am Eingang der Hütte angebracht wurde, ist zugeschnappt. Mit einer Pinzette zupft Ivana Selanec vorsichtig drei Haare ab und steckt sie in ein kleines Plastiktütchen. Auch etwas Kot liegt auf dem Boden. Beide Fundstücke wird sie am nächsten Tag zur DNA-Analyse ins Labor bringen. Zusammen mit den Aufnahmen der Kameras sind es wertvolle Materialien, die Aufschluss über die Bewegungsprofile der Tiere geben.
Luchse aus den Karpaten
Bevor es zur nächsten Kamera geht, meldet sich Vedran per Telefon beim zuständigen Förster der Region – eine kleine Geste nur, aber der Kontakt zu den Förstern und Jägern, sagt Vedran, sei ihnen wichtig. Am Tag zuvor hatte er in einem Dorf zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, um über die bisherigen Ergebnisse des Projektes zu informieren. 50 Interessierte waren gekommen: Förster, Jäger, Vertreter des örtlichen Touristenbüros, aber auch neugierige Bürger. „Wir wollen, dass es auch ihr Projekt wird“, bekräftigt Ivana Selanec. So hätten die Tiere ihre Namen etwa auch durch Schulkinder erhalten. Nur die wenigsten von ihnen haben jemals einen Luchs zu Gesicht bekommen. „Aber jetzt“, erzählt sie, „fragen sie uns, wie es etwa Marko geht.“
Doch die meisten Fragen richteten sich auf ein bevorstehendes Ereignis, das tatsächlich ein erster Meilenstein für das Projekt ist. In den rumänischen Karpaten wurden zwei Luchse gefangen, die in wenigen Wochen nach Slowenien und Kroatien gebracht werden sollen. Entsprechend steigt die Vorfreude der Tierschützer, zu der sich aber auch ein wenig Nervosität gesellt: „Denn letztlich ist es trotz all unserer Vorbereitungen nicht abzusehen, wie sich die Neuankömmlinge verhalten werden“, sagt Ivana Selanec. Insgesamt sollen 14 Luchse aus den Karpaten umgesiedelt werden, davon zehn nach Slowenien und vier nach Kroatien.
Als sich der Tag dem Ende zuneigt, schlägt plötzlich Vedrans Telefon Alarm: Etwa eine halbe Stunde entfernt ist eine Falle zugeschnappt. Normalweise müsste er nun sofort nach dem Rechten sehen, das Tier müsste befreit und mit einem GPS-Halsband ausgestattet werden. Doch wäre wirklich ein Tier in die Falle gegangen, sagt Vedran Slijepčević, bekäme er nun eigentlich schon automatisch die ersten Fotos auf sein Handy geschickt. Ein Anruf bei einem Förster, der sich in der Nähe aufhält, bringt wenig später Gewissheit. Es war tatsächlich nur der Wind, der den Alarm ausgelöst hatte. Die Enttäuschung hält sich in Grenzen: Erst vorgestern hatte sich Vedran die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, weil kurz vor Mitternacht ein Luchs in die Falle gegangen war. „Aber“, sagt er, „ich beschwere mich nicht. Es ist eine Arbeit, die wir lieben.“ Und Ivana Selanec nickt.
Dirk Auer
Seit Juli 2016 streifen dank eines EU-LIFE-Projektes drei Luchse durch den Pfälzer Wald. Die drei Waisenkinder aus der Slowakei sollen sich dauerhaft ansiedeln und Nachwuchs bekommen. Mehr →