Verkehrsopfer Blaumeise, beim Vorbeiflug an der Straße von einem Auto gestreift - Foto: Helge May
Plötzlich und unerwartet
Für viele Tiere endet die Begegnung mit dem Straßen- und Schienenverkehr tödlich
Allein eine Viertelmillion tödliche Zusammenstöße mit großen Wildtieren werden jährlich in Deutschland notiert, darunter 200.000 mit Rehen und 30.000 mit Wildschweinen. Das ist ein Unfall alle zweieinhalb Minuten. Besonders unfallträchtig sind bei Rehen April und Mai, wenn die Tiere in den frühen Morgenstunden unterwegs sind. Bei Wildschweinen dagegen passieren nach einer Auswertung des Tierfundkatasters des Deutschen Jagdverbandes 40 Prozent aller Unfälle in den Herbstmonaten.
Was tun bei einem Wildunfall?
Dass der Zusammenstoß mit einem Hirsch für Mensch und Fahrzeug ganz andere Folgen haben kann als der mit einem Igel, liegt auf der Hand. Aber nicht nur aus Gründen der Physik, auch die Rechtslage ist eine andere.
Das gilt für Straßenunfälle mit allen Arten, die dem Jagdrecht unterliegen. Zum Beispiel müssen solche sogenannte Wildunfälle in den meisten Bundesländern offiziell gemeldet werden – an die Polizei, die Feuerwehr oder die „örtlich zuständigen Jagdausübungsberechtigten“. Das gilt selbst dann, wenn das Kollisionsopfer dem Anschein nach unverletzt entkommt.
Angefahrenes Wild ohne Meldung am Straßenrand zurückzulassen, verstößt zudem gegen das Tierschutzgesetz. Getötetes Wild sollte zwar möglichst von der Fahrbahn gezogen werden. Doch wer ein solches Tier mitnimmt, kann sich der Wilderei schuldig machen.
Die wenigsten Tiere halten sich mit Absicht an Straßen auf. Am ehesten noch wechselwarme Arten wie Schlangen oder Eidechsen, die gelegentlich auf dem sonnenbeschienenen Asphalt Energie tanken. Führen Verkehrstrassen durch Wälder, können sie für Tiere zudem eine bequeme Wegalternative darstellen. Statt hoch über den Bäumen fliegen dann zum Beispiel Schmetterlinge entlang des offenen Korridors. Ein Sonderfall sind Aasfresser wie Greifvögel, die es auf Unfallopfer abgesehen haben und sich dabei selbst in Gefahr begeben.
Mitten durchs Revier
In den meisten Fällen aber liegt eine Straße einfach quer auf dem Weg von A nach B. Je größer die Lebensraumansprüche, desto wahrscheinlicher müssen innerhalb des Revieres auch Verkehrswege überquert werden. Bei Untersuchungen in der Schweiz wurden bei Igelmännchen – die etwas längere Wege gehen, weil sie ständig nach Weibchen suchen – im Durchschnitt zwölf Straßenquerungen pro Nacht gezählt.
Die Igel können im Laufe der Zeit also Erfahrungen mit dem Verkehr machen, dabei schrecken sie aber eher vor breiten Straßen als vor schnellen Fahrzeugen zurück. Lenkungsmaßnahmen funktionieren bei Igeln kaum, weil sie keine festen Routen haben.
Der Tod bringt es an den Tag
Igel leiden stark unter Nahrungs- und Wohnungsmangel. Aus Großbritannien wird ein Rückgang von 75 Prozent in nur 20 Jahren gemeldet und auch in Deutschland sieht es schlecht aus. Wie schwer dabei Autounfälle wiegen, ist unklar. Bei der Bestandserfassung dagegen, so makaber es klingt, liefern Verkehrsopfer wertvolle Daten über die nachtaktiven Tiere.
Schon in den 1970ern hatte der Zoologe Josef H. Reichholf begonnen, tote Igel entlang seines Arbeitsweges zu zählen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden so für Südostbayern deutliche Bestandseinbußen nachgewiesen. Der bayerische NABU-Partner LBV führt dies nun fort und sucht im ganzen Freistaat Berufspendler*innen, die bereit sind, ein Igel-Fahrtenbuch zu führen. Je mehr Zählstrecken in die Auswertung einfließen, desto deutlicher werden die Zusammenhänge zwischen Lebensraum, Verkehrsfluss und Häufigkeit der Straßenopfer.
Hin und zurück
Auch kleine Tiere können große Raumansprüche haben. Entweder weil sie ständig wandern oder im Laufe des Jahres verschiedenartige Lebensräume bewohnen. Das trifft zum Beispiel auf viele Amphibien zu. Während Molche nur kurze Strecken zurücklegen, sind es bei Erdkröten oft mehrere Kilometer zwischen Winterquartier, Laichgewässer und Sommerquartier.
Schon wenige Fahrzeuge pro Stunde können Amphibienbestände erheblich dezimieren. Für den Naturschutz wirkte der zunehmende Autoverkehr über die Jahrzehnte wie eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Über Monate hinweg sind im Spätwinter und Frühjahr tausende Aktive in ihrer Freizeit im Krötenrettungseinsatz. Nur langsam machen sich wenigstens regional Ersatzlaichgewässer und feste Krötentunnel positiv bemerkbar. Für viele Populationen zu langsam, selbst häufige Arten wie der Grasfrosch werden immer weniger.
Jede zweite Familie betroffen
Wenn selbst Amphibien mit hundertfachem Nachwuchs der Verkehr nachweisbar zusetzt, gilt das für Säugetiere mit wenig Nachkommen erst recht. So anpassungsfähig etwa Wölfe sind, so schlecht können sie die Gefahren des Straßenverkehrs und die Geschwindigkeit von Autos einschätzen. Von 142 im Jahr 2021 bei uns tot aufgefundenen Wölfen waren 102 Verkehrsopfer. Bei bundesweit rund 180 Rudeln und Paaren gab es also in nur einem Jahr in mindestens jeder zweiten Familie ein Verkehrsopfer.
Helge May
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