Nach dem Knall: Aufgeplatzer Fruchtstand des Kleinen Springkrauts - Foto: Helge May
Meist mit fremder Hilfe
Wie Pflanzen sich verbreiten
Es hat ein paar Tausend Jahre gedauert. Aber seit dem Ende der letzten Eiszeit haben in Mitteleuropa viele Pflanzen verlorenes Terrain zurückerobert. Nicht alle schafften es. Aus Proben ist bekannt, dass zum Beispiel viele Gehölze, die heute nur in Nordamerika vorkommen, vor den Eiszeiten auch bei uns heimisch waren.
Vorwärts im Kriechgang
Die, die zurückkehrten, konnten das nicht aus eigener Kraft. Bei der Besiedlung der eisfreien Regionen waren sie vor allem auf den Wind und auf Tiere angewiesen. Ganz ähnlich ist es auch im Kleinen, wenn Pflanzen ihr Terrain vergrößern wollen.
Doch es gibt Ausnahmen, dazu reicht schon ein Blick in den Garten. Wer Erdbeeren anbaut, weiß, dass diese Ausläufer treiben. Am Ende von kriechenden Trieben entstehen neue Pflänzchen, die schließlich Wurzeln bilden. Die Erdbeere hat neben den Samen enthaltenden Früchten also noch eine zweite Fortpflanzungsoption. Lässt man die Ausläuferbildung zu, kann die Erdbeerpflanze weniger Energie in die leckeren Früchte stecken, der Ertrag lässt nach.In einer unterirdischen Variante breitet sich zum Beispiel auch die Quecke über Ausläufer aus, ebenso die Kartoffel, auch Rosengewächse wie Schlehe oder Pflaume.
Explosiv: Pflanzen unter Spannung
Per Spross oder Wurzel in die Fläche wachsen ist eine Möglichkeit der aktiven Ausbreitung, eine zweite sind Schleudermechanismen. Am häufigsten in der heimischen Pflanzenwelt sind Austrocknungsstreuer. Hier entstehen beim Abtrocknen des Gewebes Spannungen, die sich teils explosionsartig lösen, so dass sich die Samenstände öffnen und die Samen zerstreut werden. Viele Schmetterlingsblütler mit ihren langen Hülsenfrüchten agieren so, darunter Ginster und Robinie, außerdem Storchschnabelarten und Veilchen.
Seltener sind die Saftdruck-Streuer. Hier wird bei der Reife immer mehr Flüssigkeit in die Samenstände gepumpt, bis diese schließlich zerbersten. Bekanntes Beispiel sind die Springkräuter, an denen nicht nur Kinder gerne mit den Fingern nachhelfen. Je stärker der Druck ist, desto weiter fliegen die Samen. So herrschtin den länglichen Früchten der mediterranen Spritzgurke mit 6 bar mehr Druck als in einem herkömmlichen Fahrradreifen. Kein Wunder, dass die Samen bis zu zwölf Meter weit geschleudert werden.
Mein Freund, der Wind
Ein Wettrennen um weit entfernte Wuchsorte lässt sich mit zwölf Metern Spuckweite allerdings nicht gewinnen. Hier gilt im wörtlichen Sinne das Motto „Schnell wie der Wind“. Viele Arten setzen auf Windverbreitung. Das trägt weit, ist aber mit Unwägbarkeiten verbunden. Wie kräftig, wie lange und in welche Richtung wird der Wind die Samen wehen? Pflanzen mit Windverbreitung produzieren daher Samen in enormer Zahl, damit am Ende von Tausenden wenigstens einer an der richtigen Stelle landet und dort keimen kann.Dabei können Samen im Boden oft mehrere Jahre ruhen. Verbessern sich die Bedingungen – es wird feuchter, wärmer oder heller –, löst das den Keimimpuls aus.
Neben dem Wind ist das Wasser ein wichtiges Transportmedium. Deshalb finden sich entlang von Flüssen vermehrt neu einwandernde Arten. Auch Inseln werden oft auf dem Wasserweg besiedelt. Bestes Beispiel ist die Kokospalme. Fällt die mächtige Kokosnuss zu Boden, kann sie dort rasch keimen. Vom Ufer weggespült, haben die schwimmfähigen und gut geschützten Nüsse aber auch alles für eine teils monatelange Seereise an Bord.
Anhänglich wie Kletten
Ähnlich wie bei der Befruchtung spannen Pflanzen auf vielfältigste Weise Tiere für die Verbreitung ein. Zum Beispiel, indem die Samen huckepack weggetragen werden. Am Fell mancher Weideschafe sieht man im Spätsommer mehr Kletten als Wolle. Von anderen Pflanzen bleiben kleine Samen auch zwischen den Klauen hängen. Heute macht man sich das auch im Naturschutz zunutze. Weidetiere werden gezielt von Fläche zu Flächen getrieben und reichern so die Pflanzenwelt an.
Ein Sonderfall ist der „Tierballismus“, benannte nach den Ballistae, im Altertum als Kriegsgerät benutzen Katapulten. Dabei verhaken sich Samenstände beim Vorbeistreifen zunächst, brechen aber nicht ab, sondern lösen sich wieder und schleudern dabei in der ruckartigen Bewegung die Samen aus. Unter anderem nutzt die Karde diesen Effekt.
Friss mich!
Eine offenbar sehr effektive Verbreitungsmethode ist der Transport nicht im Fell, sondern im Magen der Tiere. Zwar sollen Früchte auch die innen liegenden Samen schützen, aber oft sind sie vor allem ein Lockangebot für Tiere. Selbst wenn Tiere wie bei Eicheln oder Nüssen auch die eigentlichen Samenanlagen vertilgen, wird ein Teil doch in den Vorratslagern vergessen und treibt im Idealfall dort direkt aus. Ein Eichelhäher kann sich halt auch nicht alles merken.
Diese Strategie verfolgen auch viele der von uns genutzten Obstarten. Die Hinterlassenschaften von Mardern oder Füchsen zeigen anschaulich, dass etwa Kirschkerne die Verdauung bestens überstehen. Nicht anders beim Apfel. Der fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm und bleibt dort auch liegen. Statt nun langsam zu verrotten und so die Samen bloßzulegen, legen es die Äpfel darauf an, gefressen zu werden.
Pferde lieben Äpfel
Das zeigt nicht zuletzt eine Studie von Robert Spengler am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. Anhand von Fossilien und genetischen Untersuchungen wies er nach, dass Wildäpfel bereits Millionen Jahre vor ihrer Kultivierung relativ große und süße Früchte entwickelten. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass vor allem Großsäuger wie Hirsche und Pferde die Äpfel verbreiteten.
Diese sogenannte Megafauna starb am Ende der letzten Eiszeit weitgehend aus. Und tatsächlich verringerte sich danach die Samenausbreitung der Wildäpfel. Das änderte sich erst wieder, als der Mensch auf den Plan trat. Überreste von Apfelkernen wurden in archäologischen Stätten in ganz Eurasien gefunden, was die Annahme stützt, dass Obstbäume auf den frühen Handelsrouten transportiert wurden.Dabei entstand unser heutiger Kulturapfel im Wesentlichen aus vier Wildapfelarten, die alle ihre Heimat im Gebiet des heutigen Kasachstan haben.
Was mit Karawanen entlang der Seidenstraße begann, ist zu einem weltumspannenden Handel geworden. Heute breiten sich Pflanzen dank des Menschen auch per Schiff, Lkw oder Flugzeug aus. Bis in die letzten Winkel der Erde und oft schneller als der Wind.
Helge May
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