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Forscher sind den heimischen Vorfahren des Sellerie auf der Spur
Die meisten unserer Nutzpflanzen stammen ursprünglich aus milderen Regionen, aus Vorder- oder Mittelasien. Viele wurden von den Römern mit über die Alpen gebracht oder sie kamen wie Kartoffel, Tomate und Mais ab dem 16. Jahrhundert neu aus Amerika. Es gibt aber auch Nutzpflanzen, deren Vorfahren wild bei uns in Deutschland wuchsen und wachsen. Dazu gehören die jetzt im Sommer überall blühende Wilde Möhre, der Feldsalat und die Wilde Rauke – botanisch korrekt „Schmalblättriger Doppelsame“ –, eine ursprünglich im Mittelmeerraum heimische Art, die sich bei uns auf Brachflächen stark ausbreitet und die in den letzten Jahren als „Rucola“ Küchenkarriere machte.
Weniger bekannt ist, dass auch die Sellerie bei uns wilde Ahnen hat, die allerdings recht selten geworden sind. Sie sind also nicht nur möglicherweise für die Pflanzenzüchtung, sondern auch für den Artenschutz wichtig.
Genetische Vielfalt gefragt
Wo wachsen noch Echter Sellerie, Kriechender Sellerie, Knotenblütiger Sellerie und Untergetauchter Sellerie? In welchem Zustand befinden sich die Pflanzenvorkommen, wie stark unterscheiden sich die Vorkommen genetisch und was könnte unternommen werden, um den Erhaltungszustand einzelner Vorkommen und letztendlich den Erhaltungszustand der Arten im deutschen Verbreitungsareal zu verbessern? Diese Fragestellungen untersucht das Julius Kühn-Institut gemeinsam mit dem Botanischen Garten der Universität Osnabrück und der Humboldt Universität zu Berlin beispielhaft für die zahlreichen anderen nützlichen Wildpflanzenarten im Rahmen eines Projektes, das vom Bundeslandwirtschaftsministerium initiiert und von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung finanziert wird.
Weshalb sind diese vier Arten von Interesse? Für die Gemüsezüchtung wären Formen mit geringerer oder keiner allergenen Wirkung von Bedeutung. Der Gewürzsellerie enthält allergene Inhaltsstoffe, die in Varianten des wild vorkommenden Echten Selleries möglichweise nicht enthalten sind. Für entsprechende Untersuchungen benötigen Forscher Saatgut möglichst unterschiedlicher geographischer Herkunft. Deshalb soll auch Saatgut gesammelt und für die Pflanzenzüchtung verfügbar gemacht werden.
Die wilden Vorfahren
Optisch können die meisten mit unseren Kulturpflanzen verwandte Wildpflanzenarten mit Anemonen, Orchideen oder Trollblumen kaum konkurrieren. Bei Wildgerste, Wildsalat oder Wildsellerie zählen die inneren Werte.
Sie sind eine wichtige Quelle von Erbeigenschaften, die von der Pflanzenzüchtung zur Anpassung der Kulturpflanzen an Umweltveränderungen benötigt werden. Viele dieser Arten sind nicht nur die direkten Vorfahren von Kulturpflanzen. Sie sind darüber hinaus als Quelle von Erbeigenschaften für die Pflanzenzüchtung von großer Bedeutung. Ohne die Eigenschaften der Wildarten gäbe es beispielweise weniger Kultursorten mit Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge.
Trotz ihrer Bedeutung stehen sie bislang kaum im Blick des Artenschutzes. Eine Studie der Weltnaturschutzunion IUCN untersuchte 572 mit wirtschaftlich wichtigen Kulturpflanzen verwandte Wildarten. Danach ist jede zehnte dieser Arten bedroht. Für weitere 29 Prozent konnte keine Beurteilung vorgenommen werden, weil es keine Datengrundlage gibt.
Der Kriechende Sellerie gilt als winterharter Petersilienersatz. Der Knotenblütige Sellerie wird vom Samenhandel als Sedanina bezeichnet und gilt wie der Kriechende Sellerie als aromatisches Blattgemüse. Sollten diese Pflanzenarten mehr Liebhaber finden, so kann sich die Suche nach würzigeren Formen und eine züchterische Bearbeitung beider Arten lohnen.
Petersilienersatz und Schwermetallfänger
Eine ganz andere Eigenschaft des Knotenblütigen Selleries entdeckten Forscher in der Türkei. Er nimmt zwanzigmal mehr Nickel und hundertmal mehr Kupfer auf als das Raue Hornblatt. Der Knotenblütige Sellerie kommt an Bächen vor und eignet sich somit zur Reinigung schwermetallbelasteter Gewässer. Vom Untergetauchten Sellerie ist bisher kein spezieller Nutzen bekannt. Doch die Erfahrung von Pflanzenzüchtern zeigt, dass Wildarten voller Überraschungen stecken. Treten neue Probleme in der Pflanzenproduktion auf, die durch genetische Anpassung von Kulturpflanzen gelöst werden können, so sind es oftmals die unscheinbaren Wildarten, die die dafür benötigten Erbeigenschaften besitzen.
Viele Vorkommen sind verschwunden
Fachbehörden stellten im Sommer 2015 für das Projekt Fundortdaten zur Verfügung. Anhand dieses Datensatzes wurden insgesamt 365 Fundorte ausgewählt und aufgesucht. Eine erste Auswertung zeigte, dass in Sachsen ursprünglich vorhandene Vorkommen von Wildselleriearten und in Hessen der Kriechende Sellerie seit längerer Zeit nicht mehr gefunden wurden. Auf nur noch zwei Dritteln der ausgewählten Fundorte wurden Vorkommen der vier Wildselleriearten erneut nachgewiesen. Beim Untergetauchten Sellerie war die Quote mit 45 Prozent besonders gering. Diese Zahlen deuten daraufhin, dass der Schutz dieser Arten derzeit nicht ausreichend gewährleistet ist.
Regional begrenzt
- Der Echte Sellerie (Apium graveolens subsp. graveolens) kommt in Deutschland vor allem entlang der Ostseeküste sowie im südlichen Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt und Nordthüringen vor.
- Der Kriechende (Sumpf-)Sellerie (Helosciadium repens) hat zwei Schwerpunkte: in Nordostdeutschland sowie in Bayern südlich der Donau.
- Der Knotenblütige (Sumpf-)Sellerie (Helosciadium nodiflorum) wächst fast ausschließlich in Rheinland-Pfalz, Einzelvorkommen gibt es in Hessen, NRW und dem Saarland.
- Der Untergetauchte (Sumpf-)Sellerie (Helosciadium inundatum) kommt nahezu ausschließlich in Niedersachsen vor, außerdem angrenzend in NRW und Sachsen-Anhalt.
2017 wird für jeweils 25 Vorkommen der vier Arten mit Hilfe von Mikrosatelliten-Markern die Verteilung genetischer Vielfalt innerhalb und zwischen den Vorkommen beschrieben. Nach der Datenauswertung soll dann eine Auswahl von insgesamt 45 Vorkommen zusammengestellt werden, die für den Erhalt der genetischen Vielfalt der vier Arten besonders wichtig sind.
Zusätzliche Bedrohung Klimawandel
Bei allen vier Wildselleriearten wurden weniger Vorkommen als erwartet gefunden. Die Anzahl nicht bestätigter Fundorte und vermutlich erloschener Vorkommen weist auf eine zunehmende Gefährdung in Deutschland hin. Schon heute zeichnet sich nach einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz ab, dass drei der vier Wildselleriearten zu den Verlierern der Klimawandels gehören werden.
Für den langfristig wirkungsvollen Schutz sind Aktionspläne und Pflegemaßnahmen notwendig, die das Überleben von Wildsellerie-Vorkommen sichern. Dazu gehören die Auswahl von Vorkommen, die in ihrer Gesamtheit die genetische Vielfalt der Arten möglichst gut repräsentieren sowie die Erhaltung dieser Vorkommen durch Partner vor Ort, die im Rahmen eines Netzwerkes genetischer Erhaltungsgebiete miteinander kooperieren. Die Gründung und der langfristige Betrieb eines solchen Netzwerkes ist deshalb das Hauptanliegen des Projektes.
Lothar Frese, Maria Bönisch und Marion Nachtigall
Mehr zum Projekt
Der NABU unterstützt das Julius-Kühn-Institut (JKI) bei der Einrichtung von „genetischen Erhaltungsgebieten“ für die vier heimischen Wildsellerie-Arten. Es werden weitere NABU-Gruppen gesucht, die Wildsellerie-Patenschaften übernehmen. Mehr →