Straßenrand mit Königskerze - Foto: Helge May
Restnatur am Straßenrand
Begleitgrün wird zum Rückzugsort für Tiere und Pflanzen
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Bunte Erstbesiedlung mit Klatschmohn entlang eines neu angelegten Radweges. - Foto: Helge May
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Nachdem dieses Bankett im Frühjahr gemäht wurde, erscheinen im Sommer immerhin Wegerich und Straußblütiger Ampfer. - Foto: Helge May
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Bunter Straßenrand mit Hundszunge, Graukresse und Geruchloser Kamille - Foto: Helge May
Am Straßenbegleitgrün, wie es ein wenig abschätzig genannt wird, fährt man im Normalfall achtlos vorbei. Doch für den Naturschutz haben die Grünstreifen entlang von Straßen und Wegen in den vergangenen Jahren Bedeutung erlangt.
Mit dem Verschwinden artenreicher Wildblumenwiesen in den letzten Jahrzehnten haben sich die grünen Seitenstreifen entlang von Straßen und Wegen teils zum Rückzugsraum für seltene Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Früher waren von bunten Blüten übersäte Wiesen, die nur zum Heumachen gemäht wurden, ein alltäglicher Anblick. Heute dominiert intensiv bewirtschaftetes Grünland, auf dem die Bauern Grassilage zu Ballen rollen und in Folie wickeln. Mit dem Verschwinden der traditionellen Heuwirtschaft seien ungedüngte, artenreiche Wildblumenwiesen in Deutschland eine vom Aussterben bedrohte Spezies geworden, sagt Thomas Hövelmann, Botanik-Experte beim NABU: „Heutzutage macht kaum noch ein Bauer Heu.“
Pflege kostet Geld
Auf den Grünstreifen am Straßenrand finden auf Magerwiesen spezialisierte Tier- und Pflanzenarten alles, was sie brauchen. Zwar wird der erste Meter zum Asphalt hin, das sogenannte Bankett, aus Gründen der Verkehrssicherheit oft gemäht, doch dahinter bleibt das Grün in der Regel ungedüngt und bis auf ein- oder zweimal pro Jahr auch ungeschoren, erläutert Hövelmann: „Auf diesem Streifen entwickeln sich dann artenreiche Wiesengesellschaften.“ Hochwachsende Gräser, durchsetzt mit Sauerampfer, Wiesensalbei, Margeriten und Kuckucks-Lichtnelken mit ihrer roten, blauen, weißgelben und rosa Blütenpracht, ergeben eine reich gedeckte Tafel für Insekten aller Art, die wiederum Vögel und Fledermäuse anlocken.
Zweckmäßiges Grün
Unter dem Sammelbegriff Straßenbegleitgrün fasst der Fachmann sämtliche Grünflächen an Wegen, Straßen und Parkplätzen zusammen. Meist besteht es aus den vier Komponenten Bäume, Buschwerk, Gräser und Blütenstauden. Es dient als Blendschutz, stabilisiert Böschungen, dämpft den Verkehrslärm und betont für Autofahrer gut sichtbar den Straßenverlauf. Zudem trägt die Bepflanzung der Randstreifen dazu bei, dass sich Straßen harmonisch in die Landschaft einfügen. Straßenbegleitgrün soll aber auch optisch ansprechend, möglichst pflegeleicht, ökologisch wertvoll und dazu noch preiswert sein.
Die Pflege der Natur am Straßenrand kostet allerdings Geld, und das ist knapp bei Städten, Gemeinden und Kreisen. So gibt etwa Solingen, eine Stadt mit 156.000 Einwohnern, laut einem Bericht der Wochenpost für die Pflege ihres Straßengrüns inklusive Baumschnitt und verkehrssichernde Maßnahmen 1,45 Euro pro Quadratmeter und Jahr aus. Das klingt zunächst wenig, summiert sich bei knapp 966.000 Quadratmeter Straßengrün jedoch auf jährlich 1,4 Millionen Euro. Mit dieser Summe sind die Solinger Stadtgärtner vergleichsweise noch üppig bedient. So investiert zum Beispiel der Hamburger Bezirk Altona in die Pflege seines Straßengrüns pro Quadratmeter und Jahr lediglich 23 Cent. Der bundesweite Durchschnittswert liege bei zwei Euro, heißt es in einer Studie des Altonaer Bezirksamtes. Bei den Ausgaben sei ein deutliches Süd-Nord-Gefälle erkennbar.
Grün statt bunt
NABU-Experte Hövelmann hat bei der Qualität der Grünpflege einen durch Sparzwänge bedingten bundesweiten Trend zum Schlechteren festgestellt: „Die wirtschaftlich günstigste Lösung ist nicht unbedingt auch die ökologisch beste“, sagt er. So wird in vielen Gemeinden das Schnittgut nach dem Mähen abgesaugt: „Dabei werden auch Insekten, Kleintiere und Samenkörner eingesogen“, kritisiert Hövelmann. Oft wird auch zu früh gemäht, beispielsweise schon Ende Mai vor der Blüte, sodass viele Arten keine Samen ausbilden können: „Über die Jahre verschwinden dann die Blühpflanzen und es entsteht eine grüne Hölle“, erläutert der Botanik-Experte.
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In Münster mähen freiwillige Helfer der NABU-Naturschutzstation ökologisch besonders wertvolles Straßengrün, rechen das Mahdgut zusammen und transportieren es ab. Ziel ist es, ein flächendeckendes Netz artenreicher Weg- und Straßenränder zu etablieren. - Foto: Andreas Belting
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In Münster mähen freiwillige Helfer der NABU-Naturschutzstation ökologisch besonders wertvolles Straßengrün, rechen das Mahdgut zusammen und transportieren es ab. Ziel ist es, ein flächendeckendes Netz artenreicher Weg- und Straßenränder zu etablieren. - Foto: Andreas Belting
Grünpflege wird jedoch von Kommune zu Kommune unterschiedlich gehandhabt. Vorbildlich ist beispielsweise die Stadt Münster in Westfalen. Dort mähen freiwillige Helfer der NABU-Naturschutzstation Münsterland ökologisch besonders wertvolles Straßengrün, rechen das Mahdgut zusammen und transportieren es ab. Ziel ist es, in der 300.000-Einwohner-Stadt ein flächendeckendes Netz artenreicher Weg- und Straßenränder zu etablieren.
Grenzüberschreitung
Doch mit optimaler Pflege allein ist es nicht getan. Die Naturidylle am Straßenrand wird auch von Bauern gestört, die ihren Acker illegalerweise erweitern, indem sie den Randstreifen zum Feldweg gleich mitpflügen. Im westfälischen Kreis Coesfeld etwa wird zusammengerechnet auf 80 Hektar öffentlicher Fläche geackert, hat das Umweltamt mithilfe eines geographischen Informationssystems festgestellt. Auch im benachbarten Kreis Steinfurt scheint dies alltägliche Praxis zu sein, dort sollen es sogar 400 Hektar sein. Der Landkreis hat jetzt an den Ackergrenzen rotweiße Pflöcke einschlagen lassen, die die Bauern in ihre Schranken weisen sollen.
Hartmut Netz (Nh 3/16)
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