Europäische Gottesanbeterin - Foto: Frank Derer
Exotin auf dem Vormarsch
Die Gottesanbeterin breitet sich immer weiter aus
Schon die alten Ägypter und Römer waren von ihr fasziniert und verewigten die Europäische Gottesanbeterin, Mantis religiosa, auf Bildnissen und Münzen. Der Gattungsname Mantis stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Seherin“ oder „Wahrsagerin“. Ihren Artnamen religiosa verdankt sie ihren zwei Fangbeinen, die sie in Ruhestellung vor dem Körper hält und damit an zum Gebet erhobene Arme erinnert. Die Gottesanbeterin gehört zur weltweit über 2.400 Arten umfassenden Ordnung der Fangschrecken (Mantodea) und ist die einzige natürlicherweise in Mitteleuropa heimische Fangschreckenart.
Verglichen mit anderen bei uns vorkommenden Insekten ist die Gottesanbeterin sehr groß: Weibchen werden bis zu acht, Männchen bis zu sechs Zentimeter groß. Dennoch ist sie in freier Wildbahn nur schwer zu entdecken. Durch ihre meist grüne oder braune Färbung ist sie hervorragend getarnt, dabei hilft auch, dass sie meist regungslos ist. Dies kommt ihr bei der Jagd nach anderen Insekten zugute.
Für viele andere Arten ist die Fangschrecke eine gefährliche Lauerjägerin. Zu ihrem Beutespektrum gehören vor allem Heuschrecken, Fliegen und diverse Hautflügler. Sie kann über Stunden unbemerkt in der hohen Vegetation ruhen. Ist die Beute in Reichweite, wird sie zuerst mit den großen Facettenaugen fixiert, bevor sich die Gottesanbeterin im Zeitlupentempo heranschleicht. Für den tödlichen Zugriff ist sie ebenso perfekt wie auffällig ausgerüstet: Ihre kräftigen Fangarme sind mit zahlreichen Dornen bestückt und können sich rasend schnell bewegen. Einmal in den Fangarmen gibt es für die Beute kein Zurück mehr. Der Vorgang des Fangschlags dauert nur 50 bis 60 Millisekunden – das ist etwa sechsmal schneller, als ein Lidschlag des menschlichen Auges.
Doch nicht nur kleinere Insekten müssen auf der Hut sein, sondern auch die eigenen Artgenossen. Mitunter trifft es die kleineren Männchen, die nach der Paarung von den Weibchen verspeist werden. Dieser sogenannte Sexkannibalismus ist unter anderem auch bei verschiedenen Spinnenarten dokumentiert. Die Gottesanbeterin legt dieses Verhalten zwar oft an den Tag, es ist in freier Natur aber nicht die Regel, sodass die Männchen meist glimpflich davonkommen.
Nach der Paarung legen die Weibchen ihre Eier in gut getarnten Paketen, den Ootheken, ab. Die erhärtete Schaummasse kann bis zu 200 Eier enthalten, die die kalte Jahreszeit geschützt in der dichten Vegetation, unter Steinen oder an Felsen überdauern. Die winzigen, kaum sichtbaren Jungtiere (Nymphen) schlüpfen im Mai. Sie ähneln vom Körperbau her schon den erwachsenen Gottesanbeterinnen und leben genau wie diese räuberisch. Die ersten erwachsenen Tiere finden sich ab Ende Juli und können bis zu den ersten frostigen Nächten im Herbst aktiv sein.
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Die ursprüngliche Heimat der wärmeliebenden Gottesanbeterin ist der Mittelmeerraum. Traditionell galt der Kaiserstuhl, ein beliebtes Weinanbaugebiet am südlichen Oberrhein, als einer der wenigen Fundorte dieser faszinierenden Fangschreckenart in Deutschland. Hier lebt sie in trockenwarmen Graslandschaften, die oftmals mit Sträuchern durchsetzt sind. Aber auch an Waldrändern ist sie zu finden.
Seit einigen Jahrzehnten hat sich das wesentlich geändert. Durch den Klimawandel hat sich die Gottesanbeterin immer weiter nach Norden ausgebreitet und wurde auch an technogenen Standorten wie Industriebrachen oder der Bergbaufolgelandschaft gefunden. Als große Sensation galt im Jahr 1998 der Fund von Gottesanbeterinnen mitten im Berliner Stadtgebiet auf einer Bahnbrache im Stadtteil Schöneberg. Kurze Zeit später gelangen weitere Funde in Ostdeutschland, zuerst in Sachsen (2003), dann in Sachsen-Anhalt (2004) und in Brandenburg (2007).
Ausbreitung unter reger Beobachtung
Besonders in den riesigen Rekultivierungsgebieten des Lausitzer Braunkohlereviers fand die Gottesanbeterin optimale Lebensbedingungen vor und ist inzwischen in der Lausitz fast flächendeckend verbreitet. Auch an stillgelegten Bahntrassen und auf ehemaligen Truppenübungsplätzen wurde sie schon entdeckt. Wie wir heute aus genetischen Untersuchungen wissen, stammen die dortigen Vorkommen jedoch – anders als in Südwestdeutschland – aus Südosteuropa und haben über Vorkommen in Tschechien den Sprung nach Sachsen geschafft.
Aufgrund ihres markanten Aussehens und ihrer gelegentlichen Irrflüge in Siedlungsgebiete eignet sich die Gottesanbeterin bestens für Citizen-Science-Projekte. Seit einigen Jahren ruft das Naturkundemuseum Potsdam in Zusammenarbeit mit den Entomologen des „Freundeskreises Mantidenfreunde Berlin-Brandenburg“ Bürger*innen dazu auf, Funde der Gottesanbeterin zu melden. So soll die noch recht dynamische Ausbreitung, vor allem im Osten Deutschlands, dokumentiert werden. Viele spannende Funde haben auf diese Weise schon unser Wissen über die Gottesanbeterin in Deutschland erweitert. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Wir können gespannt sein, wo die faszinierende Lauerjägerin noch auftauchen wird.
Sebastian Hennigs (erschienen in der Naturschutz heute 2/2023)
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