Landkärtchen der Frühlingsform auf Knoblauchsrauke – Foto: Helge May
Der Falter mit den zwei Gesichtern
Das Landkärtchen im Porträt
Seinen Name hat das Landkärtchen von der stark geaderten Zeichnung seiner Flügelunterseiten. Die Spannweite beträgt drei bis vier Zentimeter. Das Landkärtchen - wissenschaftlich Araschnia levana - kommt bei uns in zwei jährlichen Generationen vor, die sich äußerlich stark unterscheiden. Im Frühjahr schlüpfen leuchtend braunorange gefärbte Schmetterlinge aus den Puppen, die Sommergeneration hingegen hat die Grundfarbe schwarz mit weißen Bändern und gelblichen Flecken. Männchen und Weibchen kann man dagegen nicht unterscheiden.
Gesteuert wird der so genannte Saison-Dimorphismus hauptsächlich von der Tageslichtdauer während der Puppenruhe, auch die Temperatur spielt eine Rolle. Ist die Puppe im Winter dem verkürzten Tageslicht ausgesetzt, entwickelt sich ein Falter der gelb-braunen Frühjahrsgeneration. Sind im Sommer die Tage länger, entstehen schwarze Falter. Lange Zeit hielten selbst Experten beide Generationen für verschiedene Arten. Die Sommergeneration ist stets wesentlich zahlreicher als die Frühjahrsgeneration, da nur ein Teil der Puppen den Winter übersteht.
Farbwechsel: Licht steuert die Hormone
In Laborexperimenten wurde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert nachgewiesen, dass Raupen des Landkärtchens, die unter Langtagbedingungen – mit über 15 bis 17 Stunden Licht – heranwachsen, sich ohne Ruhephase zu Faltern der Sommerform entwickeln. Entwickeln sich die Raupen während kürzerer, weniger heller Tage, legen sie immer eine Pause ein und bilden nach der Überwinterung die Frühlingsgeneration aus.
Wachsen Raupen bei Bedingungen heran, die zwischen den beiden Formen liegen, so entwickelt sich bei ausreichend warmer Umgebung eine Frühherbstgeneration mit einem Flügelmuster, das zwischen den beiden anderen Formen liegt. Entscheidend hierfür sind Hormone aus der Gruppe der Ecdysteroide und der Zeitpunkt ihrer Wirkung in der Falterpuppe. Die Gene, die die Ausschüttung kontrollieren, werden durch die Tageslänge reguliert. Eine frühe Ausschüttung der Hormone führt zur Ausbildung der Sommer-Form.
Was bringt der Farbwechsel?
Wozu dienen die unterschiedlichen Farbvarianten? Stellt die orange Form im Gegensatz zur Sommerform eine Warnfärbung dar? Oder genießt diese Form im Frühjahr auf dem blätterbedeckten Boden am Waldrand eine bessere Tarnung, während die schokoladenbraune Form bei sommerlichen Verhältnissen mit den dann stärkeren Lichtkontrasten besser vor Fressfeinden geschützt ist? Ein Experiment mit Blaumeisen zeigte, dass keine dieser Annahmen bestätigt werden kann. Während die physiologische Steuerung der Entwicklung des Landkärtchens schon recht gut untersucht ist, bleiben die evolutiven Gründe für diesen Saisondimorphismus noch ungelöst.
Ab Mitte April schlüpfen die Frühjahrs-Landkärtchen und sind dann bis etwa Mitte Juni Nektar saugend zumeist an Waldrändern, in feuchten Wäldern und Auen auf Schlehen- oder Weißdornbüschen sowie auf Sternmieren, Hahnenfuß und Sumpfdotterblumen zu finden.
Die Tiere der Sommergeneration sieht man von Anfang Juli bis Ende August auf vor allem Bärenklau, Wiesenkerbel, Engelwurz, Wilder Möhre und vielen anderen weißen Doldenblütlern. Auch Ackerkratzdistel, Wasserdost und Goldrute werden besucht.
Die Weibchen legen acht bis zehn grüne Eier in Form kleiner Eitürmchen an die Unterseite von Brennnesselblättern. Diese Eitürmchen unterscheiden das Landkärtchen von allen anderen heimischen Tagfaltern. Bevorzugt werden schattig stehende Brennnesselbestände an Waldwegen oder Gräben, seltener auch unter Obstbäumen oder in Gärten.
Eiertürmchen und Raupen mit doppelten Dornen
Aus den Eiern schlüpfen schwarze Raupen mit zahlreiche dunkle Dornen tragen, sie sehen denen des Tagpfauenauges sehr ähnlich. Die ausgewachsen 22 Millimeter lange Raupe des Landkärtchens hat aber als einzige an Brennnessel vorkommende Raupe zwei Dornen am Kopf und ist damit eindeutig zu erkennen. Die Raupen halten sich in Gruppen etwa 20 bis 30 Zentimeter unterhalb der Triebspitze auf, so dass von Landkärtchen bewohnte Brennnesseln immer in der Mitte kahlgefressen werden, während die Blätter ganz oben und unten unberührt bleiben.
Je nach Jahreszeit schlüpfen aus den Puppen entweder nach zwei bis drei Wochen die Schmetterlinge der Sommergeneration, oder aber die Tiere überwintern als Puppe und schlüpfen erst im Jahr darauf als Frühjahrsgeneration. In klimatisch günstigen Lagen wie dem Oberrheingraben schlüpft gegen Ende September in manchen Jahren auch noch eine dritte Generation.
Auf und Ab der Landkärtchen-Bestände
In den 1960ern wurde das Landkärtchen in Mitteleuropa immer häufiger. Dass lag am steigenden Stickstoffeintrag aus Landwirtschaft und Straßenverkehr, der immer mehr Brennnesseln wachsen ließ. Mit der zunehmenden Erwärmung trat ab den 1990ern häufiger im Frühherbst eine zusätzliche dritte Faltergeneration auf. Seit gut zehn Jahren wird das Landkärtchen regional aber wieder deutlich seltener; es wird ihm offenkundig zu warm und zu trocken. Dagegen breitet der Falter sich nach Skandinavien und in Gebirge Südeuropas weiter aus. Brennnesseln alleine reichen also nicht.
Landkärtchen bevorzugen feuchte Hochstaudenfluren mit Brennnesseln in lichten Wäldern, an Waldrändern, Übergangsmooren und strukturreichen Kulturlandschaften. Intensiv landwirtschaftlich bewirtschaftete Flächen meidet es. Zwar gehört das Landkärtchen nicht zu den bedrohten Arten, doch damit der Falter nicht zu einem Verlierer des Klimawandels wird, müssen Lebensräume für Insekten besser geschützt werden. Auch mit Blick auf die Renaturierung von Flächen besteht Handlungsbedarf. Aus Sicht des NABU ist es besonders wichtig, möglichst wenig Pestizide einzusetzen. Für Insekten müssen Rückzugsorte und Nahrungsangebote geschaffen werden. Dafür muss sich die Politik einsetzen – auch auf europäischer und internationaler Ebene.
Landkärtchen sind im gesamten gemäßigten Europa und Asien von Frankreich bis nach Japan verbreitet, dagegen fehlen sie rund ums Mittelmeer ebenso wie auf den Britischen Inseln und Skandinavien. Sie kommen vor allem in der Ebene und im Hügelland bis zu 1000 Meter Meereshöhe vor.
Wer im eigenen Garten etwas für die Falter tun möchte, sollte an halbschattigen Standorten die Brennnesseln stehen lassen. Dort können sich Raupen und Puppen ungestört entwickeln. Wichtig ist auch die Nähe zu Nektarpflanzen, da Landkärtchen keine weiten Strecken zurücklegen.
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