Aurorafalter an Wiesenschaumkraut - Foto: Harald Bott
Gute Zeiten für Sonnenanbeter
Manche Insekten profitieren vom Klimawandel und dringen immer weiter nach Norden vor
Wird es Insekten zu heiß oder zu kalt, flüchten sie in den Schatten oder suchen warme Stellen auf, im Extremfall halten sie Kälte- oder Hitzeschlaf. Das unterscheidet die wechselwarmen Insekten von Säugetieren oder Vögeln, die eine weitgehend konstante Körpertemperatur aufweisen. Die Klimakrise schlägt mit ihren erhöhten Temperaturen bei Insekten also unmittelbar durch.
Frühe Aurorafalter
Die Art der Betroffenheit unterscheidet sich aber kaum. Auch bei Insekten gibt es „Verlierer“, wie Moor- oder Gebirgsspezialisten, denen es zu warm wird und die in die Höhe oder nach Norden ausweichen. Es gibt die Pflanzenfresser, die ihren Rhythmus anpassen müssen. Zum Beispiel flattert der Aurorafalter heute im Frühling zwei Wochen früher am Wiesenschaumkraut als noch vor 30 Jahren. Es gibt Parasiten und Räuber, die mit ihren Beutetieren synchron bleiben müssen. Es gibt wie bei den Zugvögeln Insekten, die ihr Wanderverhalten umstellen und – etwa Admiral oder Taubenschwänzchen – zu „Standinsekten“ werden, die bei uns überwintern.
Und es gibt Arten, die jetzt genau ihre Wohlfühltemperatur erreichen, sich daher stärker vermehren oder ihr Areal erweitern. Zu letzteren gehört der Segelfalter. Dieser ist so etwas wie der Bienenfresser der Insektenwelt. Nicht dass er Bienen fressen würde und er gräbt natürlich keine Höhlen. Als Schmetterling fliegt der Segelfalter offene Blüten aller Art an und kommt dabei auch in Gärten, die Raupen fressen bevorzugt an Schlehen. Bienenfresser und Segelfalter sind nicht nur ausgesprochen farbenprächtig. Sie stammen auch beide aus dem Mittelmeerraum, wo sie recht häufig sind, beide breiten sich in den letzten Jahren bei uns immer weiter aus.
Comeback der Segelfalter
Dabei sah es für die deutschen Segelfaltervorkommen lange schlecht aus. Besiedelt wurden nur sonnenbeschienene, offene Südhänge. Ihre Eier legten die Falter fast ausschließlich an sogenannten Krüppelschlehen ab, wenige Zentimeter über dem Boden, weil sich dort die Luft besonders stark erhitzt. Da solche Strukturen regelmäßige Beweidung oder aufwändige Pflegemaßnahmen benötigen, waren die Segelfalter vielerorts verschwunden.
Das Comeback des Segelfalters hat mehrere Gründe. Artenschutzprogramme spielten eine Rolle und im Osten boten die spärlich bewachsenen ehemaligen Braunkohleflächen neue Lebensräume. Ein Blick auf die Verbreitungskarte des NABU-Naturguckers zeigt, dass die Falter heute auch weit darüber hinaus zu sehen sind, unter anderem nahezu flächendeckend im Dreieck Berlin-Dresden-Leipzig. Ob der Segelfalter damit klimabedingt bereits den Sprung von den „Sonderbiotopen“ in die Normallandschaft geschafft hat, bleibt abzuwarten.
Ausgangspunkt Wärmeinseln
Keine Zweifel bestehen dagegen bei der Schwarzen Holzbiene. Ausgehend von den Wärmegebieten hat sie sich innerhalb weniger Jahrzehnte in ganz Deutschland ausgebreitet. Unsere größte heimische Wildbiene stellt an Lebensraum oder Nahrung keine ungewöhnlichen Ansprüche. Limitierender Faktor war hier offenbar das Klima. Segelfalter und Holzbiene stehen stellvertretend für zahlreiche Klimawandel-Gewinner. Wie viele es genau sind, weiß niemand so genau.
Selbst Fachleute haben angesichts der enormen Artenfülle und der lückenhaften Datenlage keinen klaren Überblick. Dem allgemeinen Publikum bleiben die meisten Insekten ohnehin verborgen, in Medien und Öffentlichkeit kommen nur die spektakulären Fälle vor. Vor allem dann, wenn vermeintliche Gefahren drohen, für die Ernte im Garten oder gar für Leib und Leben.
Verschleppt und losgelassen
Viele dieser Arten wurden aus anderen Weltregionen nach Mitteleuropa verschleppt, darunter potenzielle Pflanzschädlinge. Manche, wie die Grüne Reiswanze, sind auch nach Jahrzehnten nicht über Wärmegebiete wie das Rheintal hinausgekommen. Andere breiten sich mit großer Geschwindigkeit aus. Die aus Amerika stammende Walnussfruchtfliege benötigte keine 20 Jahre für ihre Reise durch Deutschland.
Zu den jüngsten Immigranten zählt die Bläulingszikade. Über Pflanzenimporte gelangte sie bereits 1970 nach Südeuropa. Dort ist sie inzwischen so häufig, dass spezieller „Metcalfa-Honig“ verkauft wird, den die Bienen aus den Ausscheidungen der Zikaden produzieren. Noch beschränkt sich ihr Vorkommen in Deutschland auf den Oberrhein.
Leibspeise Honigbienen
Ebenfalls in Ausbreitung ist die Asiatische Hornisse. Sie wurde in Frankreich eingeschleppt und hat nun auch Süddeutschland erreicht. Da sie gerne Honigbienen verspeist, ist die Aufregung vor allem bei Imker*innen groß. Dass Vespa velutina den Nutzbienenbeständen wirklich gefährlich wird, ist jedoch nicht ausgemacht. Schließlich haben auch unsere heimischen Hornissen, Wespen und viele andere Insekten Honigbienen zum Fressen gern.
Zudem dürfte es der Asiatischen Hornissen in weiten Teilen Deutschlands noch zu kalt sein. Naturfreund*innen haben jedenfalls die einmalige Möglichkeit, die Ausbreitung einer Art von Anfang an zu verfolgen und mit eigenen Beobachtungen etwas zum Kenntnisstand beizutragen. Wer eine Asiatische Hornisse sieht, kann dies über eine neue Web-App bequem an den NABU-Naturgucker melden. Zur leichteren Bestimmung enthält die App zahlreiche Bilder, auch von Verwechslungsarten wie Europäische Hornisse, Wespen und Wespenschwebfliegen.
Helge May
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