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Jetzt informieren!Sommerkonzert auf Trischen
Wie kommen Heuschrecken auf eine einsame Wattenmeer-Insel?
Wenn die Sommersonne auf die Insel Trischen niederbrennt, und die Vögel hechelnd am Strand stehen, verstummt der sonst allgegenwärtige Chor schreiender Möwen. Stattdessen sind die Dünen und die Salzwiesen Trischens an warmen Sommertagen erfüllt vom Gesang zahlloser Heuschrecken.
Für Heuschrecken gibt es auf Trischen mehrere sehr unterschiedliche Lebensräume - die sehr trockenen Sanddünen mit schütterer Vegetation, die hohen und dichten Queckenbestände, einzelne niedrige Gebüsche und nicht zuletzt die feuchten Salzwiesen. Trotz der Lebensraumvielfalt leben nur fünf Heuschreckenarten auf Trischen. Dies liegt neben dem salzigen Boden auch daran, dass eine Insel im Wattenmeer für Heuschrecken schwierig zu erreichen ist. Den Fußweg über das Watt würde eine Heuschrecke mit dem Leben bezahlen, und gegen den meist kräftigen Wind aufs Meer hinauszufliegen, schafft auch nicht jede Art. So bedarf es schon sehr günstiger Umstände, damit sich Heuschrecken hier ansiedeln und vermehren können.
Die häufigste Art auf Trischen ist der Weißrandige Grashüpfer (Chorthippus albomarginatus). Er ist ein Ausbreitungsspezialist und besiedelt viele Lebensräume, die anderen Heuschrecken zu nährstoffreich oder zu feucht sind. Die Art kann sowohl in gedüngten Wiesen leben, als auch in Salzwiesen wie hier auf Trischen. Allerdings hüpfen die Weißrandigen Grashüpfer munter über die gesamte Insel und sind in den trockenen Dünen sogar noch häufiger als in der feuchten Salzwiese. Der Weißrandige Grashüpfer ist zudem eine der wenigen Heuschrecken, die in Norddeutschland häufiger ist als im Süden. Die Art kommt ursprünglich aus den Steppengebieten Sibiriens und ist aus dem Nordosten nach Mitteleuropa eingewandert.
Eine weitere Art, die im Norden Deutschlands häufiger zu finden ist, ist die Kurzflüglige Schwertschrecke (Conocephalus dorsalis). Sie lebt überwiegend in feuchten und langgrasigen Biotopen, also zum Beispiel in Seggenriedern oder auch an Grabenrändern. Auf Trischen sitzt sie nur in den höheren Bereichen der Salzwiese, wo hohe Strandastern und Quecken wachsen. Ihr sehr leises und feines Sirren ist für viele Menschen als Gesang kaum wahrnehmbar, und somit wird die zwischen den langen Grashalmen sehr unauffällige Heuschrecke oft übersehen. Wie der Name schon andeutet, besitzt diese Art nur kleine Stummelflügel, mit denen sie nicht fliegen kann. Schwertschrecken sind aber wahre Lebenskünstler, die sich zum Teil über Wochen an ein Stück Treibholz klammern können und somit über Flussläufe weite Reisen unternehmen können. Auf diesem Weg muss die Kurzflüglige Schwertschrecke ursprünglich auch mal nach Trischen gekommen sein.
Eine weitere fast flugunfähige Art ist der Feld-Grashüpfer (Chorthippus apricarius). Die Art war früher auf Feldern relativ häufig, hat aber in den vergangenen Jahrzehnten durch die Intensivierung der Landwirtschaft in Deutschland stark abgenommen und gilt mittlerweile als gefährdet. Sein Gesang klingt etwas wie eine schnaufende Dampflok, und in Holland ist der Grashüpfer daher unter dem Namen "Locomotiefje" bekannt. Wie er einst nach Trischen kam ist ungewiss, da er gewöhnlich kein Floß besteigt und auch seine Eier nicht in Pflanzenmaterial ablegt, was dann übers Wasser treiben könnte. Vielleicht ist er früher in einem Heuhaufen aus Versehen mit auf die Insel transportiert worden? Oder vielleicht ist er doch geflogen - interessanterweise besitzen nämlich die Tiere auf Trischen allesamt längere Flügel als ihre Kollegen am Festland. Langflüglige Individuen treten auch in den kurzflügligsten Heuschreckenarten ausnahmsweise mal auf, und vielleicht hat gerade so ein "Ausreißer" des Feld-Grashüpfers dann auch den Weg nach Trischen geschafft.
Vor einigen Tagen wurde dann mit der Entdeckung der Sumpfschrecke (Stethophyma grossum) die spannendste Heuschreckenbeobachtung gemacht. Die Sumpfschrecke ist eine relativ bunte Feldheuschrecke, mit roter und gelber Beinfärbung und einem grünen Körper. Sie macht durch scharfe Zick-Laute auf sich aufmerksam, ist aber in ganz Deutschland mittlerweile stark gefährdet. Sowohl die Larven als auch die erwachsenen Sumpfschrecken können nur in sehr feuchten Biotopen leben, und viele der einstmals besiedelten Nasswiesen, Seggenrieder und Sumpfgebiete sind in den letzten Jahrzehnten entwässert und verändert worden.
Wie vielen anderen Heuschrecken in Deutschland auch, so ist der Sumpfschrecke damit sprichwörtlich das Wasser abgegraben worden, und sie lebt heute nur noch in wenigen Feuchtgebieten, oder in sehr kleinen und isolierten Populationen an Grabenrändern. Nun sind die Salzwiesen auf Trischen zwar feucht genug, und auch die Vegetationsstruktur wäre günstig für die Sumpfschrecke. Doch da die Feuchtigkeit vom salzigen Meerwasser herrührt, und die meisten Heuschreckenlarven den Salzgehalt nicht verkraften können, ist es sehr fraglich, ob sich die Sumpfschrecke auf Trischen auch erfolgreich vermehren kann. Vielleicht sind die derzeit auf Trischen herumzirpenden Tiere vor der trockenen Hitze am Festland geflüchtet und mit den östlichen Winden der letzten Tage nach Trischen gekommen.
Steffen Oppel