Der NABU hat das Kropfgazellen-Auswilderungsgehege auf 12 Hektar erweitert - Foto: NABU/ Ivan Turkovskiy
Die Rückkehr der Kropfgazelle
Hoffnung für eine gefährdete Art
„Dzhejran“ heißt das Schutzgebiet mit Aufzuchtstation, das unser Team aus Kirgisistan im Dezember erreicht. Es liegt im Nachbarland Usbekistan, etwa 40 Kilometer von Buchara entfernt. „Dzhejran“ bedeutet „Kropfgazelle“, und dieser Name ist hier Programm: Ganze Herden dieser kleinen asiatischen Gazellenart durchstreifen das 16.500 Hektar große Refugium. „Es ist, als würde man sie in freier Wildbahn beobachten“, berichtet Ivan Turkovskiy, Fotograf und Naturschützer von der kirgisischen Argali-Stiftung. Er ist Teil des sechsköpfigen Teams, das mit einem hehren Ziel hergekommen ist: die Kropfgazelle im benachbarten Kirgisistan, wo sie einst heimisch war, wieder anzusiedeln. Valentin Soldatov, Biologe und Gazellenexperte, ist auf der Station geboren und aufgewachsen und führt die Besucher*innen herum. Er berichtet, dass das Zuchtzentrum 1977 gegründet wurde, um seltene und gefährdete Säugetierarten zu erhalten. „Neben lebensfähigen Populationen der Kropfgazelle hat das Zentrum auch Kulane, das sind Asiatische Wildesel, erfolgreich wieder angesiedelt.“ Dies soll nun auch in Kirgisistan gelingen, wo die Kropfgazelle vor allem durch Wilderei, aber auch Lebensraumverlust ausgerottet wurde.
Ivan Turkovskiy
Ivan Turkovskiy, Fotograf und Naturschützer von der kirgisischen Argali-Stiftung, hat die Kropfgazellen auf ihrer weiten Reise fotografisch begleitet.
Akribische Vorbereitungen
Zwölf junge, starke Tiere wurden dafür ausgewählt, Grundstock einer neuen Kropfgazellenpopulation in Kirgisistan zu werden. „Sie müssen in der Lage sein, sich schnell an die neue Umgebung anzupassen, aber auch die Strapazen der langen Reise aushalten“, erklärt Soldatov. Während das Team die rund 1.800 Kilometer von Bischkek über Taschkent nach Buchara mit dem Flugzeug zurückgelegt hat, soll die Rückfahrt mit zwei Autos stattfinden. Akribisch bereiten die Männer die Reise vor: Sie laden Heu in die Autos, damit die Gazellen unterwegs etwas zu fressen haben. „Wasser benötigen die Tiere nicht“, erklärt Turkovskiy. „Als Bewohnerin der asiatischen Steppen und Halbwüsten ist die Kropfgazelle in der Lage, mehrere Tage ohne Wasser auszukommen.“ Dann binden sie die Tiere in Baumwollsäcke, die eigens für den Transport genäht und an die Größe der Gazellen angepasst wurden, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen, und heben sie in die Fahrzeuge.
Bürokratie und schlechte Straßen
Um mit dem Auto von Usbekistan nach Kirgisistan zu gelangen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Turkovskiy und das weitere Team entscheiden sich für einen Weg, der zwar etwas länger dauert, dafür aber nur einen statt zwei Grenzübergänge beinhaltet. Um die Strecke ohne lange Ruhepausen zurücklegen zu können, fahren die zwei Autos mit insgesamt sechs Fahrern, die sich regelmäßig abwechseln. Dennoch ist die Fahrt mühsam. Die Straßen sind zum Großteil schlecht ausgebaut, dazu kommt starker Schneefall, der die Straßenverhältnisse und die Sicht beeinträchtigt. „Eigentlich war es nicht geplant, die Transportaktion im Dezember durchzuführen“, erklärt Turkovskiy. „Aber es hat mehrere Monate gedauert, bis wir alle erforderlichen Dokumente unterschrieben zusammenhatten.“ Leider, fügt er hinzu, gebe es neben dem Willen und den finanziellen Mitteln, ein solches Projekt umzusetzen, auch zahlreiche bürokratische Hürden.
Über die Kropfgazelle
Keine Gazellenart der Welt lebt nördlicher als die Kropfgazelle (Gazella subgutturosa). Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von der südlichen Kaukasus-Region über den Iran, das südliche Zentralasien und die arabische Halbinsel bis hin zur Wüste Gobi und nach Nordchina. Die Weltnaturschutzunion IUCN schätzt ihren Bestand auf weniger als 49.000 erwachsene Individuen mit absteigender Tendenz. Die Art wird daher als „gefährdet“ eingestuft.
Zum ArtensteckbriefAber auch die Gazellen selbst erweisen sich als wenig kooperativ. Mit ihren kleinen scharfen Hufen zerreißen sie mehrmals die schützenden Säcke. Die Kolonne muss häufig anhalten und die Tiere neu einbinden. Ein riskantes Unterfangen, denn die Gazellen versuchen, den Helfer*innen zu entkommen. Einer von ihnen, stellt sich später heraus, bricht sich bei einem Huftritt eine Rippe. Ein Zeichen dafür, dass sich ein scheinbar kleines und zerbrechliches Huftier in freier Wildbahn durchaus erfolgreich zur Wehr setzen kann.
Hoffnung für eine gefährdete Art
Alle sind erleichtert, als die Fahrzeuge nach 48 Stunden und 1.860 Kilometern ihr Ziel erreichen: das NABU-Auswilderungsgehege am Ufer des Hochgebirgssees Yssykköl im Nordosten Kirgisistans. Es ist Teil des Wiederansiedelungsprojektes, das der NABU gemeinsam mit den beiden kirgisischen Naturschutzstiftungen „Argali“ und „Ilbirs“ umsetzt. Das Projekt wurde von der BAG Eurasien initiiert. 15 Jungtiere wurden bereits in der Pilotphase, kurz nach Fertigstellung des Geheges, aus Usbekistan hergebracht. Um eine stabile und genetisch diverse Population aufzubauen, ziehen nun die zwölf Neuankömmlinge dazu. Turkovskiy und das weitere Team befreien die Tiere direkt nach der Ankunft aus ihren Säcken und schauen zu, wie sie sofort auf die Beine kommen und neugierig ihr neues Zuhause erkunden. Die Strapazen der langen, jedoch so wichtigen Reise scheinen vergessen. In einigen Jahren sollen die ersten Kropfgazellen bereits in die freie Wildbahn entlassen werden, wo sie hoffentlich, wie einst ihre Vorfahren, die kirgisischen Halbwüsten durchziehen werden.
Über das Projekt
Das Projekt Wiederansiedlung der Kropfgazelle in Kirgisistan wird von unseren zwei kirgisischen Partnern, der Argali Stiftung und Ilbirs Stiftung, umgesetzt. Das Projekt wird von Umweltbildungsmaßnahmen begleitet, um Wilderei und illegalem Handel vorzubeugen. Die Projektpartner planen, die ersten Kropfgazellen im Jahr 2026 freizulassen.
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Nach der Ankunft im NABU-Auswilderungsgehege im Nordosten Kirgisistans erkunden die Tiere ihr neues Zuhause - Foto: NABU/Ivan Turkovskiy
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Niedliche Erfolgsaussichten: Der erste Nachwuchs ist im Mai 2023 im NABU-Auswilderungsgehege geboren. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer stabilen Population - Foto: NABU/Ivan Turkovskiy
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