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Amerikanische Grauhörnchen verdrängen die Eichhörnchen
Braune Knopfaugen, buschiger Schwanz, rotes, weiches Fell – Eichhörnchen sind klare Sympathieträger. In Europa und Asien sind sie die einzigen Vertreter der sogenannten Baumhörnchen. Doch die Frage ist: wie lange noch? Die niedlichen Nager bekommen nämlich Konkurrenz. Aus Nordamerika stammende Grauhörnchen beginnen sich in Europa zu etablieren und auf Kosten des Eichhörnchens auszubreiten.
Nicht nur Eichhörnchen, auch andere Mitglieder der Hörnchen-Familie sind bei vielen Menschen sehr beliebt und werden auf der ganzen Welt immer wieder außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes ausgesetzt. Schon im Jahr 1876 hat ein Mr. Brocklehurst im westenglischen Cheshire aus Mitleid mit den in Gefangenschaft lebenden Tieren das erste Grauhörnchen-Paar freigelassen – ohne sich über die Folgen seines Handelns Gedanken zu machen. In den folgenden 50 Jahren kam es an mehr als 30 Orten zu weiteren Aussetzungen.
In England nur noch Reste
Es bedarf bei Grauhörnchen nur weniger Tiere, um tragfähige Populationen zu bilden. Kein Wunder also, dass sich die Grauen 1920 bereits gut etabliert hatten, zwischen 1930 und 1945 explodierte ihr Bestand auf der Insel förmlich. Heute ist England vom Ärmelkanal bis zur schottischen Grenze besiedelt. Das benachbarte Irland erreichten Grauhörnchen 1911 per Schiff, auch dort haben sie sich weit ausgebreitet.
Die umgekehrte Entwicklung machten die Eichhörnchen durch. Noch um 1900 galten sie als Landplage und spezielle „squirrel clubs“, beispielsweise in den schottischen Highlands, brachten jährlich Zehntausende zur Strecke. Heute kommen Eichhörnchen in England nur noch in isolierten Restbeständen vor und die schottischen Vorkommen gelten als gefährdet. Die Tiere verschwinden sowohl aus der Landschaft als auch aus den Köpfen: Inzwischen denken die meisten Briten bei „Eichhörnchen“ an ein graues Tier. Grauhörnchen im Garten sind ihnen so vertraut, dass sie sie nicht mehr missen möchten und dementsprechend wenig Verständnis für Bekämpfung haben.
Robust und wanderfreudig
Die Grauen sind robust und wanderfreudig, sie lassen sich von geografischen Barrieren wie Flüssen, ungeeigneten Landschaften oder Industrialisierung nicht abhalten. Zudem haben sie in Laub- und Mischwäldern deutliche ökologische Vorteile gegenüber den Eichhörnchen, die eigentlich eine klassische Nadelwald-Art sind.
Ein weiterer wichtiger Grund: Auch 135 Jahre nach ihrer Einbürgerung tragen Grauhörnchen Krankheitserreger aus ihrer alten Heimat noch in sich. Sie selbst erkranken nicht, aber für Eichhörnchen ist vor allem das Squirrelpox-Virus lebensgefährlich. Vielerorts sind diese Viren die Hauptursache, dass Eichhörnchen rapide verschwinden.
Zum Schutz des Eichhörnchens versucht man verschiedene Methoden. Ethisch umstritten ist unser grundsätzlicher Umgang mit Neubürgern in Flora und Fauna: Sollen wir sie tolerieren oder dezimieren? Sind Ausrottungsversuche gerechtfertigt, vor allem wenn wir Menschen für die Ausbreitung verantwortlich sind? Neben Kontroll- und Verfolgungsmaßnahmen versucht man derzeit eine Eichhörnchen-Schutzimpfung zu entwickeln.
Grauhörnchen auch in Norditalien
Aufgrund von Computermodellen ging man um die Jahrtausendwende von einer möglicherweise raschen Ausbreitung der Grauhörnchen in Mitteleuropa aus. Ziel damaliger Forschung war es ein mögliches Ausbreitungsszenario zu verbildlichen, unter der Annahme, wenn nichts gegen Grauhörnchen unternommen wird. Mittlerweile versuchten verschiedene EU-Life und lokale Projekte, die Ausbreitung zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Vermutlich wird die Ausbreitung nach Mitteleuropa über oder um die Alpen Jahrzehnte benötigen, da ein sehr großes Gebiet mit Hörnchen besiedelt werden muss. Unkalkulierbar sind allerdings gezielte Aussetzungen von Grauhörnchen, wie sie trotz Verboten bis in die jüngste Zeit vorgekommen sind. Solche Aktivitäten können das Verbreitungsgebiet sprunghaft vergrößern und die Ausbreitung beschleunigen.
Die Alpen sind für Grauhörnchen kein wirkliches Hindernis, denn aus ihrem ursprünglichen Herkunftsgebiet im Osten der Vereinigten Staaten sind sie Schnee und Kälte durchaus gewohnt. Ungünstig sind für sie eher die Kombination von Kälte und Nässe.
In Ökosystemen spielen auch Beutegreifer eine Rolle. Im Fall der Grauhörnchen könnte dem Baummarder die Rolle als Fressfeind und potenziellen „Regulator“ zukommen. In Irland, Schottland und Walisien erholt sich jüngst sein Bestand und gleichzeitig nehmen die Grauhörnchen ab und die Eichhörnchen kehren zurück. Einschränkend ist jedoch festzuhalten, dass diese Tendenzen nur in begrenzten Gebieten feststellbar sind, Baummarder vielerorts (noch) abwesend sind, in Siedlungen nicht vorkommen und Grauhörnchen in vielen Gebieten zusätzlich mit anderen Methoden reduziert werden. Die Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass Ökosysteme mit Beutegreifern robust sein können und auch mit Neubürgern in der Tierwelt zurechtkommen können. Gerade im Hinblick auf den von Grauhörnchen auf den Britischen Inseln übertragenen und für Eichhörnchen meist tödlichen Pockenvirus können Baummarder zu weniger Infektionen und zur Reduktion der Sterberaten bei Eichhörnchen beitragen.
Die Beispiele zeigen, dass die zukünftige Ausbreitung des Grauhörnchens in Mitteleuropa vom Klima, von Bekämpfungsmaßnahmen, Aussetzungen, Beutegreifern, dem Waldumbau im Rahmen des Klimawandels und vielen, möglicherweise noch unbekannten Faktoren beeinflusst werden wird.
Bekämpfen oder nicht?
Anrainer wie Frankreich und die Schweiz rechnen nun bald mit einwandernden Grauhörnchen und treffen erste Maßnahmen. Notwendig wäre eine europaweit abgestimmte Vorgehensweise zum Schutz des heimischen Eichhörnchens. Dazu zählt eine Ethik-Debatte sowie eine Forststrategie, wie sie auf den britischen Inseln bereits erarbeitet und teilweise umgesetzt ist, um gezielt Eichhörnchen-taugliche Gebiete als Refugium zu gestalten. Solche Maßnahmen erscheinen auch auf dem Kontinent nötig, wenn uns Eichhörnchen als typische Nadelwald-Bewohner dauerhaft erhalten bleiben sollen.
Aktuell gibt es in Deutschland keine Hinweise, dass Grauhörnchen bereits freilebend vorkommen oder unmittelbar zu erwarten sind. Bei bisherigen Einzelmeldungen dürfte es sich in der Regel um graue Farbvarianten des Eichhörnchens handeln. Sobald jedoch eine Ausbreitung in Frankreich, Österreich oder der Schweiz stattfindet, ist der Sprung nach Deutschland vorgezeichnet.
Stefan Bosch & Peter Lurz
Stefan Bosch und Peter Lurz beschäftigen sich schon lange intensiv mit Eichhörnchen und haben gerade die erste deutschsprachige Eichhörnchen-Monografie seit über 50 Jahren verfasst. Darin geben sie spannende Einblicke in das Leben der Tiere sowie in die ökologischen Zusammenhänge, die ihre Existenz bestimmen und auf die der Mensch durch Landschaftsgestaltung, Waldbewirtschaftung oder eben die Aussetzung von Grauhörnchen massiven Einfluss nimmt: „Das Eichhörnchen“, Neue Brehm-Bücherei Nr. 183. 250 Seiten, 29,95 Euro. ISBN 3-89432-164-4.
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