Farbenvielfalt: Eine schwarz gefärbte Kreuzotter - Foto: NABU/Niklas Banowski
Scheue Sonnenanbeterin
Die Kreuzotter im Porträt
Die Kreuzotter ist eine Sonnenanbeterin. Morgens und am späten Nachmittag nimmt sie ausgiebige Sonnenbäder. Dann liegen oft ein halbes Dutzend oder mehr Kreuzottern zu einem Knäuel ineinander verschlungen in der Sonne. Dabei verbreitern die Tiere durch Abspreizen der Rippen ihren Körper und verdoppeln auf diese Weise die Fläche, die von den Sonnenstrahlen erwärmt wird. Wenn die Sonne sie auf 30 bis 33 Grad aufheizt, fühlen sie sich am wohlsten. Wie alle Schlangen ist die Kreuzotter wechselwarm; ihre Körpertemperatur hängt von der Umgebung ab.
Kreuzottern gehören zu den Vipern, einer artenreichen Familie von Giftschlangen. Ihre kupferfarbenen bis dunkelroten Augen mit schlitzartiger, senkrechtstehender Pupille weisen sie als giftig aus. Zugleich sind ihre Augen Unterscheidungsmerkmal zu den harmlosen Ringel- und Schlingnattern, mit denen Kreuzottern oft verwechselt werden. Beide Natternarten haben runde Pupillen.
Hilflos ausgeliefert in der Winterstarre
Kreuzottern sind sehr unterschiedlich gefärbt. Die Grundfarbe variiert von braun und rotbraun, grau und dunkelgrau bis hin zu pechschwarz. Über den Rücken der bis zu 70 Zentimeter langen Schlange zieht sich ein schwarzes Zickzackband, das bei schwarzen Exemplaren, im Volksmund auch Höllenottern genannt, jedoch nicht zu erkennen ist.
In Deutschland begegnet man der Kreuzotter in der Norddeutschen Tiefebene, in den östlichen Mittelgebirgen, in der Schwäbischen Alb und im Bayerischen Wald sowie in den Alpen bis in Höhen von 3.000 Metern. Sie besiedelt Heidegebiete, besonnte Moorränder, zwergstrauchreiche Waldlichtungen, vergraste Kahlschläge mit Totholz, Bergwiesen nahe der Baumgrenze und sogar alpine Geröllfelder.
Um sich wohlzufühlen, braucht die Kreuzotter ungestörte Plätze zum Sonnenbaden und Verstecken mit nacktem Fels, Steinhaufen, Totholz oder dichtem Heidelbeerbewuchs. Insbesondere gut getarnte Winterverstecke, etwa zwischen Baumwurzeln, in Mäusebauten oder unter Steinaufschüttungen, sind überlebenswichtig, denn in der Winterstarre sind die Tiere Fressfeinden wie dem Wildschwein hilflos ausgeliefert. Solche Winterquartiere suchen Kreuzottern immer wieder auf – oft gemeinsam mit Artgenossen oder anderen Schlangen.
Im neuen Kleid zur Schlangenhochzeit
Je nach Witterung und Höhenlage erwachen ab Ende Februar bis Ende März die Männchen aus der Winterstarre und suchen sofort den nächsten Sonnenplatz auf. Während stundenlanger Sonnenbäder reifen ihre Spermien. Anschließend, ab Mitte bis Ende April, häuten sie sich. Wie ein zu enges Kleid sitzt die alte Haut auf dem Körper und muss mühsam abgestreift werden. Dafür sucht sich das Männchen etwas, woran es sich scheuern kann, einen Stein, eine Astgabel oder einen Baumstumpf. Im neuen Kleid ist es gerüstet für die bevorstehende Schlangenhochzeit.
Während der Paarungszeit von April bis Mai kommt es zu Ringkämpfen zwischen konkurrierenden Männchen. Mit aufgerichtetem Oberkörper versuchen die Rivalen immer wieder, sich gegenseitig zu Boden zu drücken. Dem Sieger schenkt das Weibchen ihre Gunst. Die Eier brüten Kreuzottern mithilfe ausgedehnter Sonnenbäder im Körper aus. Eine Besonderheit, die das Überleben der Art auch in kälteren Lebensräumen sicherstellt, wo der Sonne die Kraft zum Ausbrüten eines Geleges fehlt. Die Jungschlangen kommen zwischen August und Oktober lebend zur Welt und sind dann etwa bleistiftgroß.
Riechen und Schmecken durch Züngeln
Kreuzottern jagen vor allem Mäuse, Eidechsen und Frösche. Ihre Beute spüren sie durch Züngeln auf. Dabei sammelt die Zunge winzigste Geruchspartikel ein, die mithilfe spezieller Sinneszellen im Maul identifiziert werden. „Das muss man sich vorstellen wie eine Mischung aus Schmecken und Riechen“, erläutert der Landschaftsökologe Falk Ortlieb. Über die Zunge stellen die Tiere sogar fest, aus welcher Richtung der Geruch kommt.
Haben sie die Beute gestellt, schnappen sie blitzschnell zu und injizieren ihr Gift. Eine Maus stirbt daran binnen Minuten.
Kreuzottern sind äußerst scheu und meiden den Menschen. Bei Gefahr flüchten sie zunächst, doch in die Enge getrieben beißen sie auch. Lebensgefahr besteht jedoch nicht. „Kreuzottern verschwenden keinen Tropfen ihres Gifts“, erklärt Ortlieb. Es dauere, den Stoff herzustellen. Zur Verteidigung injizieren die Tiere deshalb oft nur wenig davon oder gar nichts. „Wird man gebissen, sollte man aber in jedem Fall einen Arzt aufsuchen“, rät der Schlangenexperte.
Schwund geeigneter Lebensräume
In Deutschland gilt die Kreuzotter als stark vom Aussterben bedrohte Art. Die Bestände gehen zurück, weil es an geeignetem Lebensraum fehlt. Einst unberührte Naturräume werden inzwischen intensiv genutzt. Infolge fehlt es an störungsfreien Gebieten mit Sonnenplätzen, Tagesverstecken und Winterquartieren. Waldlichtungen fallen aus der Pflege und verbuschen oder werden aufgeforstet. Zudem werde der Wald zunehmend mit Radpisten und asphaltierten Wegen erschlossen, erläutert Ortlieb: „Die Tiere liegen auf dem warmen Asphalt und werden überfahren.“
Hinzu kommt die Klimakrise, die dafür sorgt, dass es vor allem in Regionen wie Brandenburg oder der Schwäbischen Alb bald zu warm und zu trocken für die Kreuzotter sein wird. „Manche Tiere brauchen einfach etwas Hilfe von uns Menschen“, ist Ortlieb überzeugt. Die Kreuzotter sei nicht ohne Grund zum Reptil des Jahres 2024 erkoren worden.
Hartmut Netz (Naturschutz heute 1/24)
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