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Historische Betrachtungen zum Rotmilan
Die Gabelweihe, wie der Rote Milan wegen seines gegabelten Schwanzes auch genannt wird, wirkt mit ihren tief ausholenden, relativ langsamen Flügelschlägen und besonders auch durch ihre Größe majestätisch. Unmittelbar einsichtig erscheint deswegen, dass die Franzosen den Jahresvogel als Milan royal (Königsmilan, mit wissenschaftlichem Namen früher ebenso "Milvus regalis") bezeichnen und dass Schiller ihn "König der Lüfte" genannt hat. Allerdings gibt es für die Bezeichnung Milan royal auch eine andere, weniger schmeichelhafte Erklärung: Früher wurde der Milan bei der Beizjagd verwendet, aber nicht als Jäger, sondern als Gejagter. Man setzte Falken und Sperber auf ihn an, und die Beobachtung des Kampfes zwischen den unterschiedlichen Greifvögeln war ein "königliches" Vergnügen der Adligen.
Kampf mit Sperber und Falke
Der französische Ornithologe Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707-1788), beschreibt diesen Vorgang so: "In der That ist es kein gemeines Vergnügen, zu sehen, wie dieser feige Vogel, dem es weder an Waffen und Stärke, noch an Flüchtigkeit fehlet, um sich muthig beweisen zu können, dennoch dem Kampf bestürzt auszuweichen und dem viel kleineren Sperber zu entfliehen sucht, indem er in einem beständigen Wirbel sich in eine Höhe schwinget, wo er sich in den Wolken verbergen kann, bis der Sperber ihn erreichet, ihn unablässlich mit seinen Flügeln, Fängern und Schnabel bekämpfet und endlich mit sich, als nicht sowohl verwundete, als zerschlagne, und mehr aus Furcht, als durch Stärke überwundne Beute, zur Erde herabstürzet."
In der Antike war der Milan gut bekannt und offensichtlich weit verbreitet. Der Komödiendichter Plautus erzählt, um die Knauserigkeit eines Menschen zu schildern, von dem folgenden kuriosen Verhalten: Ein Milan habe dem Geizigen ein Stück mageres Fleisch entrissen, und der Mann sei daraufhin zum Prätor - also Richter - gelaufen und habe einen Prozess gegen den Vogel verlangt. Und Cicero schildert an einer Stelle, an der er die Mannigfaltigkeit der Tierwelt beschreibt, in seiner Schrift "Vom Wesen der Götter", wie die Gabelweihe mit dem Raben gleichsam von Natur aus Krieg führe und der eine Vogel die Eier des anderen zerbreche, wo immer er ihrer habhaft werden könne.
Die Vertrautheit mit dem Milan zeigt auch die Fabel des römischen Dichters Phaedrus von den Tauben und der Gabelweihe: Die Tauben wählen sich dummerweise die Weihe zum König und wundern sich dann, dass es ihnen unter der Herrschaft des Tyrannen nicht besonders gut ergeht. Plinius der Ältere spricht in seiner Naturkunde an mehreren Stellen vom Milan. Schon er erwähnt die Tatsache, dass er im Flug oft den Schwanz verdreht und knüpft daran die Bemerkung: "Die Weihen scheinen auch durch die Wendungen ihres Schwanzes (den Menschen) die Kunst des Steuerns gelehrt zu haben, indem die Natur oben am Himmel zeigte, was unten auf dem Meer zu tun sei." Und selbst in lateinischen Sprichwörtern taucht der Milan auf: Milvus non curat muscam - Der Milan kümmert sich nicht um die Fliege.
Vor kurzem wurde in England nach dem Aussterben des roten Milans ein Wiedereinbürgerungsprogramm gestartet, dem Erfolg beschieden zu sein scheint. Damit kehrt der Rote Milan in ein Land zurück, in dem er in früheren Jahrhunderten sehr häufig war. William Turner (um 1500-1568), Theologe und Mediziner - und als solcher mit Botanik und Zoologie vertraut -, berichtet von geradezu dreistem Verhalten der Milane. Sie nahmen den Kindern das Brot weg, den Marktfrauen die dargebotenen Fische, holten sogar die gewaschenen Taschentücher von den Zäunen und raubten in der Brutzeit den Männern die Hüte von den Köpfen, die letzteren Dinge offensichtlich, um sie in die Horste einzubauen.
Städtischer Gesundheitspolizist
In diesem Zusammenhang berichtet ein Ornithologe des 19. Jahrhunderts (König-Warthausen, zitiert nach "Brehms Tierleben" II 1, 1878), dass er in Milan-Horsten "Zeitungspapiere in ekelhaftem Zustand" gefunden habe - er meint solche, die bereits als Toilettenpapier benutzt waren -, auch Lappen und Lumpen habe er dort gefunden, die nur von den Misthaufen auf den Feldern stammen konnten und daher jenen Papierfetzen nur wenig nachstanden.
Thomas Pennant (1726-1798) schreibt über die Zeit Heinrichs VIII, dass damals über der britischen Hauptstadt viele Milane umhergeflogen seien, "welche von den verschiedenen Auswurfsstoffen (Abfall) in den Straßen herbeigezogen worden und so furchtlos waren, dass sie ihre Beute inmitten des größten Getümmels aufhoben. Es war verboten, sie zu töten."(zitiert nach "Brehms Tierleben" II 1, 1878) Dieses wohl, weil man ihre Rolle als Gesundheitspolizei schätzte. Aus derselben Zeit wird berichtet, dass der Milan sich besonders gern in der Nähe von Schlachthäusern herumgetrieben hat, wo er die hinausgeworfenen Fleischabfälle verzehrte. An solchen Orten wurden sie damals so zahm, dass sie auf einen Pfiff hin herbeiflogen und ihnen zugeworfenes Fleisch im Flug auffingen.
Vorliebe für junge Gänse und Hühner
Die besondere Vorliebe des Rotmilans für junge Hühner und Gänse war ein Problem für die Gänsehirten, wie der Ornithologe Naumann noch im beginnenden 19. Jahrhundert zu erzählen weiß. Er sei damals für Jung und Alt eine bekannte Erscheinung gewesen, und bei seinem Auftauchen habe jeder sich bemüht, ihn durch Lärm und Geschrei von dem jungen Federvieh abzuhalten. Allerdings wüssten sich die Haustiere auch selbst zu schützen, etwa indem die Entenmütter ihre Jungen beim Nahen des Milans aufs Wasser scheuchten. Und der bloße Zorn und Eifer einer Glucke reiche schon aus, "einen so feigen Räuber abzuschrecken und zu verjagen".
Eine Erzählung des rumänischen Schriftstellers Mihail Sadoveanu (1880-1961) handelt dagegen von einem Rotmilan, der eine "große schwarze Henne" aus einem Hühnerhof geraubt hat und der deswegen von dem Bauern erlegt wird. Der Junge, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist allerdings über den Tod des Hühnerdiebs nicht glücklich und beendet die Geschichte mit dem Satz: "Mit Tränen in den Augen sah ich um mich und begriff, dass unser Feind, der aus der Himmelshöhe gekommen war und nun zerschmettert dalag, kein gewöhnlicher Vogel gewesen" (aus "Durch die Wimpern").
Kulturlandschaft der speziellen Art
Der Rote Milan nimmt gern Aas als Speise an und spielt in freier Natur ähnlich den Geiern die Rolle der Gesundheitspolizei. Deswegen wurde er in manchen Gegenden auch Stein-, Stoß- oder Hühnergeier genannt. So sah der Ornithologengraf Buffon zu seiner Zeit auch noch Milane, wie sie sich am Fleisch verendeter Pferde und Ochsen gütlich taten Der Milan war deshalb auch gern Gast auf Schindangern und Luderplätzen. Und die Hinrichtungsplätze darf man hier getrost dazuzählen. Naumann lobt die Milane deswegen auch, weil sie "viele die Luft verpestende Aeser verzehren." Diese Beobachtungen zeigen uns Elemente der früheren "Kultur"landschaft, die unseren Hygienevorstellungen glücklicherweise zum Opfer gefallen sind. Und auch das Fehlen von Entsorgungseinrichtungen für Tierkadaver noch im 18. Jahrhundert wird man kaum positiv verbuchen wollen, selbst wenn es dem Nahrungserwerb des Roten Milans entgegenkam.
Mit der Vorliebe des Milans für Aas wird auch in Verbindung gebracht, dass er, früher ein Zugvogel, seit den 60er Jahren eine zunehmende Tendenz zum Überwintern entwickelt. In dieser Zeit nämlich wuchs die Zahl der wilden Hausmüllkippen in der freien Landschaft enorm an, wodurch dem Rotmilan eine zusätzliche Nahrungsquelle entstand, die allerdings nicht nur in den dort abgelagerten Abfällen bestand, sondern auch in den Ratten, die sich dort aufhielten.
Das Vordringen der Hygiene in diesem Bereich in der Folgezeit wird man ebenfalls nicht bedauern, selbst wenn man Fan von Greifvögeln und speziell des Roten Milans ist. Um so wichtiger ist es, dem Jahresvogel wieder eine natürlichere Lebens- und Ernährungsweise zu verschaffen: eine reich strukturierten Kulturlandschaft, in der die Ackerschläge klein sind und in der sich viele nur extensiv genutzte Flächen finden, sowie der Erhalt von Altholzbeständen mit einem ganzjährigen Schutz von Horstbäumen.
Sterbehilfe auf Milan-Art
Eine Geschichte der Engländerin Christianna Brand (1907-1988), der Erfinderin der Detektivfigur Inspektor Cockrill, spielt in makabrer Weise mit den bereits geschilderten Motiven, mit der in späteren Jahrhunderten großen Seltenheit des Rotmilans in England, mit seinem majestätischen Flug und mit der Frage, ob er lieber Aas verzehrt oder frisches Fleisch. Brand schildert ein eindeutig erotisches Verhältnis einer älteren Dame, Miss Bellinghams, zu einem Roten Milan. Der als "Seine Lordschaft" bezeichnete Vogel wurde von der Dame leidenschaftlich beobachtet, und alle Verhaltensweisen des Liebesobjekts wurden von ihr in einem Tagebuch fest gehalten.
Während eines Spätwinters, als das Bauernhaus der Alten ganz eingeschneit war, verfütterte sie an den immer zahmer werdenden Nahrungsgast alles Fleisch, das sie im Haus hatte. Schließlich fraß ihr der Milan aus der Hand. Sie selbst kam dadurch in immer größere Schwierigkeiten. Als das Fleisch alle war und sie sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte, setzte sie sich in den Garten an den Tisch, an dem sie gewöhnlich den Milan erwartete, und der letzte Eintrag in ihr Milan-Tagebuch lautete: "Es stimmt nicht, dass der Vogel mit dem Fressen wartet, bis das Beutetier verendet ist....". Für die Verwandten setzte sie tröstend hinzu: "Seid nicht traurig. Ich habe es selbst so gewollt."
Karl Wilhelm Beichert