Plus 74 Prozent: Ist der Feldsperling der klare Gewinner? - Foto: Peter Trentz/NABU-naturgucker.de
20 Jahre Vogelzählung
Langfristige Trends und Beobachtungen in der Vogelwelt unter der Lupe
Die Stunde der Garten- und Wintervögel gehört zu den größten regelmäßigen Zählaktionen des NABU. Seit nunmehr 20 Jahren bekommen wir mithilfe der vielen aktiven Teilnehmer*innen einen Einblick in unsere heimische Vogelwelt. Ihre zahlreichen Beobachtungen und Meldungen sind zu einem wichtigen Bestandteil einer echten Langzeitstudie geworden. Für das Engagement so vieler Vogelfreund*innen über die vielen Jahre sagen wir: herzlichen Dank!
Infografik: Wie geht es den Gartenvögeln bei uns?
Die Grafik zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen Sichtungen der 18 häufigsten Gartenvögel im Siedlungsraum über einen Zeitraum von 18 Jahren. Während einige Arten wie der Feldsperling, die Ringeltaube und der Buntspecht öfter gezählt wurden, sinken die Meldungen von Mauersegler und Mehlschwalbe weiter. Auch Beobachtungen von Buchfink und Hausrotschwanz nehmen ab.
Die Ursache dafür könnte zum Beispiel ein schwankendes Angebot an Nahrung oder Brutmöglichkeiten sein. Aber auch nicht biologische Gründe wie das Wetter oder mehr Artenwissen bei häufig Teilnehmenden können die Meldezahlen beeinflussen.
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Was bedeuten die Linien und Farben in der Infografik?
Die Infografik verdeutlicht anhand von Trendlinien, wie sich die Sichtungen der 18 häufigsten Gartenvogelarten im Siedlungsraum von 2006 bis 2023 durchschnittlich verändert haben. Die Farbe der Linien zeigt, ob es sich über den gesamten Zeitraum von 18 Jahren um eine durchschnittliche prozentuale Zunahme der Sichtungen (grün: mehr als 1 Prozent), eine Abnahme (rot: weniger als -1 Prozent) oder um einen stabilen Trend (gelb: zwischen -1 und 1 Prozent) handelt. Die visualisierten Meldungen zeigen zwar nicht den realen Bestand, geben uns jedoch einen Hinweis auf die mögliche Bestandsentwicklung einer Vogelart.
Positiver Trend
Mehr Sichtungen bei Feldsperling, Buntspecht, Eichelhäher und Ringeltaube
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Pro Jahr 10,4 Prozent mehr Buntspechte: Viele alte Bäume im Siedlungsraum schaffen den passenden Lebensraum - Foto: Frank Derer
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Auch die Ringeltaube wurden häufiger beobachtet. Sie profitiert ebenfalls von waldähnlichen Baumbeständen im urbanen Raum - Foto: Frank Derer
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Und noch ein Waldbewohner, der sich in unseren Städten wohlfühlt: Pro Jahr wurden durchschnittlich 1,8 Prozent mehr Eichelhäher gemeldet - Foto: L. Klapp/NABU-naturgucker.de
Der Feldsperling scheint mit einem Plus von 74 Prozent als großer Gewinner hervorzugehen. Bei der Interpretation dieser Daten ist jedoch ein bisschen Vorsicht geboten, da nicht nur biologische Ursachen zu einer möglichen Erklärung herangezogen werden müssen. Denn erst seit 2015 wurde die Art auf dem Meldebogen abgebildet. Das könnte zu weniger Verwechslungen mit dem ähnlichen Haussperling und damit zu einer vermehrten Meldung von Feldsperlingen geführt haben. Auf die Trendlinie des Haussperlings hatte dies aber keine gravierenden Auswirkungen, weil er wesentlich häufiger vorkommt und die Gesamtzahl der Sichtungen entsprechend hoch war.
Andere Gewinner, wie Buntspecht, Eichelhäher und Ringeltaube, stammen aus der Gruppe der typischen Waldvögel, die zunehmend den Siedlungsraum erobern, da der älter werdende Baumbestand unserer Dörfer und Vorstädte einen immer waldähnlicheren Charakter annimmt. So steigerten sich die Sichtungen der Ringeltaube um 5,5 Prozent, die des Eichelhähers um 1,8 Prozent und die des Buntspechts sogar um 10,4 Prozent pro Jahr.
Negativer Trend
Die Meldungen von neun Vogelarten sanken deutlich
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Weniger Nahrung, weniger Nistmöglichkeiten: Die Meldungen von Mauerseglern nahmen jährlich um 3,0 Prozent ab - Foto: Axel Aßmann/NABU-naturgucker.de
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Auch die Mehlschwalbe wird mit -3,6 Prozent aus ähnlichen Gründen deutlich weniger gesichtet - Foto: NABU/Krzysztof Wesolowski
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Der Hausrotschwanz ist ebenfalls auf passende Nistmöglichkeiten an Gebäuden angewiesen. Seine Sichtungen nahmen um 4,8 Prozent ab - Foto: Frank Derer
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Negativer Trend von -3,5 Prozent: Der Zaunkönig braucht viele Strukturelemente wie Sträucher und Stauden - Foto: NABU/Gaby Schröder
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-2,2 Prozent bei der häufigen Amsel? Ursache könnte nach wie vor das Problem Usutu-Virus sein - Foto: Christoph Bosch
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Dass mit -3,3 Prozent weniger Buchfinken gemeldet wurden, könnte damit zu tun haben, dass man den Finkenvogel hauptsächlich im Wald antrifft - Foto: Frank Derer
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Ist das „Grünfinkensterben“ der Grund für die rückläufigen Sichtungen (-2,9 Prozent) dieser Vogelart? - Foto: NABU/Gisela Kolek-Meyer
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Die Elster (-1,1 Prozent) konkurriert mit Raben- und Nebelkrähen um dieselben Nahrungsquellen - Foto: Frank Derer
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Der kleine Höhlenbrüter Blaumeise (-1,1 Prozent) hat es in Siedlungsräumen etwas schwerer als die kräftigere Kohlmeise - Foto: Frank Derer
Deutlich sind die rückläufigen Beobachtungen bei Mauersegler und Mehlschwalbe um -3,0 und -3,6 Prozent pro Jahr. Es liegt nahe, dass beide Arten ganz besonders unter dem dramatischen Rückgang der Fluginsekten in Deutschland leiden. Wie Forschungsergebnisse zeigen, ist die Masse an Fluginsekten seit der 1990er Jahren in Teilen Deutschlands um 75 Prozent zurückgegangen. Auch der Verlust an geeigneten Nistmöglichkeiten durch Gebäudesanierungen erschwert beiden Arten das Leben im Siedlungsraum.
Aber auch das Wetter am Zählwochenende hat einen Einfluss auf die Häufigkeit der Meldungen. Bei nasskalter Witterung sind Fluginsekten weniger aktiv und Mauersegler und Schwalben dann seltener zu sehen.
Der Hausrotschwanz gehört zu einem weiteren möglichen Verlierer unter den Gebäudebrütern. Seine Beobachtungen nahmen um -4,8 Prozent pro Jahr ab.
Der Zaunkönig zeigt ebenfalls eine negative Entwicklung. Seine Bestände schwanken üblicherweise stark, da der kleine Vogel bei uns überwintert und seine Populationen in besonders kalten Wintern zurückgehen können. Hinter dem Minustrend von -3,5 Prozent könnten jedoch auch andere Gefährdungsursachen stecken. Diese Art ist als kleinste Vogelart Europas besonders auf Wälder, Gärten, Parks und Feldränder mit reichlich Sträuchern und hohen Stauden angewiesen. Beliebt sind auch Brombeerhecken in feuchten Wäldern.
Die Amsel, ursprünglich ebenfalls ein typischer Waldvogel, der aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken ist, zeigt hingegen ein Minus von 2,26 Prozent. Diese Entwicklung könnte mit dem Usutu-Virus im Zusammenhang stehen, das sich in den letzten zehn Jahren deutschlandweit ausgebreitet hat und regional immer wieder kleine Infektionsgeschehen bei Amseln hervorruft.
Finken im Sinkflug – warum?
Grünfink und Buchfink sind die am meisten beobachteten Finkenarten im Siedlungsraum. Sie wurden über die Jahre jedoch immer weniger gemeldet und zeigen einen negativen Trend von -3,3 Prozent und -2,9 Prozent. Der Buchfink ist vor allem im Wald beheimatet und zählt zu den sehr häufigen Vögeln Deutschlands. Ursache für den Rückgang der Meldungen könnte unter anderem die Abnahme zuverlässiger Nahrungsquellen sein. Neben Insekten zur Brutzeit ist die Art vor allem auf Samen von Bäumen und Wildkräutern angewiesen.
Laut dem Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) sind die Grünfinkenbestände in Deutschland rückläufig. Als Grund kommt die Krankheit „Trichomoniasis“ infrage, die durch den einzelligen Parasiten Trichomonas gallinae ausgelöst wird. Seit 2009 tritt in Deutschland eine besonders aggressive Form dieser Krankheit auf. Besonders Grünfinken werden von diesem Parasiten befallen, weshalb auch oft von einem „Grünfinkensterben“ die Rede ist. Meistens erkranken die Finken bei der sommerlichen Vogelfütterung sowie an Trink- und Badestellen. Deshalb empfiehlt der NABU dringend, beim Auftreten kranker oder toter Vögel sofort die Fütterung für mehrere Wochen einzustellen.
Territoriale Arten, wie Blaumeise (-1,1 Prozent) und Elster (-1,1 Prozent), zeigen anhand der ausgewerteten Beobachtungen einen leicht abnehmenden Trend. Die Blaumeise als kleine Höhlenbrüterart benötigt geschlossene Nistmöglichkeiten und tritt im urbanen Raum oft in Konkurrenz mit der kräftigeren Kohlmeise. Zudem setzte der Art im Jahr 2020 eine Infektion mit dem Bakterium Suttonella ornithocola so sehr zu, dass es in diesem Jahr zu einem merklichen Einbruch der Meldezahlen kam.
Elstern profitieren vielerorts von den Vorzügen der Siedlung, konkurrieren aber mit der größeren Raben- und Nebelkrähe um dieselben Nahrungsressourcen.
Stabiler Trend
Hausperling, Kohlmeise, Star, Rabenkrähe und Rotkehlchen geht es offenbar gut
Wie haben sich die Beobachtungen von Haussperlingen in den letzten 18 Jahren entwickelt?
Der Haussperling ist die mit Abstand am häufigsten beobachtete Vogelart. Die dynamische Karte zeigt die Veränderung der Spatzensichtungen über einen Zeitraum von 18 Jahren, von 2006 bis 2023 in größeren Städten und in allen Landkreisen. Für jeden Landkreis Deutschlands wurde der Erfassungstrend zwischen 2006 und 2023 und die durchschnittliche Häufigkeit ermittelt. Die Farbe der Landkreise deutet auf eine Zu- oder Abnahme der Spatzenmeldungen über alle Jahre hin: Je kräftiger das Grün oder Rot, desto stärker ist ein positiver oder negativer Trend zu erkennen. Je gelber der Farbton, desto stabiler erscheint er. Dabei wurden Werte zwischen –1 und +1 als „stabil“, sowie entsprechend Werte, die größer als +1 sind, als „positiv“ und kleiner als –1 als „negativ“ definiert.
Der Landkreis mit der stärksten Abnahme von Spatzenbeobachtungen ist die Kreisfreie Stadt Braunschweig mit 2,62 Prozent weniger Meldungen pro Jahr, dicht gefolgt von Städten wie Kiel, Bochum und Emden.
Eine Zunahme der Spatzenmeldungen von jährlich rund fünf Prozent zeigen dagegen Städte wie Pforzheim, Bremerhaven und Schweinfurt. Die mit Abstand positivste Entwicklung scheint die Kreisfreie Stadt Suhl in Thüringen zu zeigen, für die eine rechnerische Zunahme der jährlichen Meldungen von über 66 Prozent ermittelt wurde. Allerdings variieren die hier jährlich gemeldeten Individuenzahlen enorm und auch die Anzahl der teilnehmenden Zählorte ist mit meist weniger als zehn pro Zähljahr relativ gering. Dadurch fallen Schwankungen mehr ins Gewicht und Trends können verzerrt werden. Ähnliches könnte für die Stadt Herne in Nordrhein-Westfalen mit rund zehn Prozent mehr Meldungen jährlich gelten.
Was bedeuten die Zahlen in den Pop-up-Fenstern auf der Karte?
Die Häufigkeit der Haussperlinge in den Landkreisen wird durch die Zahl der gesichteten Individuen je Meldeort für das Jahr 2023 angegeben und grafisch durch die Anzahl der Spatzen (im bundesweiten Vergleich) visualisiert. Mit 23,67 Individuen pro Zählort wurden die meisten Haussperlinge dabei in der Kreisfreien Stadt Suhl gemeldet.
Spannend ist ein Vergleich der Städte und Regionen hinsichtlich ihrer Spatzenpopulation. Dabei werden zum Teil deutliche Unterschiede sichtbar. Am Beispiel von Berlin zeigen die Auswertungen, dass 2023 in der „Hauptstadt der Spatzen“ zwar 7,43 Individuen pro Zählpunkt erfasst wurden. Im bundesweiten Vergleich sind das aber eher unterdurchschnittlich viele Meldungen. München rangiert mit 3,8 Individuen je Zählort am unteren Ende der Skala und zeigt zudem einen negativen Trend von 1,12 Prozent weniger Meldungen pro Jahr.
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