In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Flächenfraß und Bodenversiegelung
Baugebiet in Emden ist „Dinosaurier des Jahres“ 2021
27. Dezember 2021 - Mit dem Negativpreis „Dinosaurier des Jahres“ zeichnet der NABU bereits zum 26. Mal die Umweltsauerei des Jahres aus. Preisträger 2021 ist das Baugebiet Conrebbersweg in der Stadt Emden in Niedersachsen – dank einer Baupolitik, die selbst neben Dinosauriern alt aussieht:
Ein intaktes Biotop wird zerstört, geschützte Arten müssen weichen, Fläche wird versiegelt und gebaut wird einen Meter unter dem Meeresspiegel. All das passiert in einem Jahr, das wie kein anderes für Aufbruch im Klima- und Naturschutz stehen sollte. Dieser Flächenfraß ist nicht nur in Emden, sondern bundesweit ein Problem. Deshalb hat die NABU-Jury dieses Projekt, stellvertretend für die Naturzerstörung durch Bodenversiegelung in ganz Deutschland, ausgewählt – verbunden mit der Forderung an die Bundesregierung, den zu hohen Flächenfraß umgehend zu stoppen.
Emden ist überall: Flächenfraß in Deutschland
Weitreichende Folgen für Natur- und Klimakrise
Das zerstörerische Potenzial überdimensionierter Bauprojekte zeigt sich in Emden in besonderem Maße: Für das Baugebiet wird artenreiches Feucht- und Nassgrünland mit fast flächendeckendem Schutzstatus vernichtet. Auf der Fläche leben zahlreiche stark gefährdete Pflanzen- und Vogelarten, darunter Wiesenpieper, Feldlerche und Kiebitz, die nun weichen müssen. Mehr als zwei Drittel des 75 Hektar großen Gebietes sollen versiegelt werden, wodurch sich die Umgebung stärker aufheizen wird und Niederschlag schlechter versickern kann. Es liegt zudem einen Meter unter dem Meeresspiegel. Angesichts der zunehmenden Starkwetterereignisse drohen damit nach der Bebauung weitere Probleme. Versäumt wird dabei die Gelegenheit, statt neue Flächen zu verbrauchen, bestehende Flächen besser zu nutzen und eine moderne, weitsichtige Flächenplanung anzustreben.
„Wer an Emden und die Nordseeküste denkt, hat vermutlich Wind, Natur und plattes Land in saftigem Grün vor Augen. Betonpolitik erwartet an dieser Stelle wohl kaum jemand. Jetzt soll ein landesweit bedeutsames Gebiet für den Biotopschutz zugunsten eines großes Baugebietes unwiederbringlich zerstört werden. Der ,Dinosaurier des Jahres 2021' geht deshalb nach Emden an den Conrebbersweg. Wir verleihen ihn stellvertretend für die grassierende Bodenversiegelung in ganz Deutschland. Denn Emden ist überall. In fast jeder Kommune der Bundesrepublik werden aktuell Flächenversiegelungen geplant, rund 50 Hektar bundesweit pro Tag. Diese Entwicklung lässt sich nicht unendlich fortsetzen. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung eine stärkere Priorisierung der Flächennutzung und eine Reduktion des Flächenverbrauchs auf netto Null bis 2030.“
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
Die große Koalition hatte zuvor nicht genug Ehrgeiz an den Tag gelegt, dieses Ziel zu erreichen: Sie wollte den Flächenfraß in Deutschland bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag reduzieren. Dieses Vorhaben wurde, als es außer Reichweite geriet, kurzerhand um zehn Jahre nach hinten verschoben: auf das Jahr 2030. Erst im Jahr 2050 wird im Klimaschutzplan der Bundesregierung nun das Ziel eines "Netto Null"-Flächenverbrauchs angepeilt. Nach den Plänen von heute würden demnach weitere 250.000 bis 260.000 Hektar an zusätzlicher Fläche versiegelt. Das entspricht der Größe des Saarlands.
Handlungsbedarf: Flächen nachhaltig und effektiv nutzen
Natur, Landwirtschaft und Bebauung - vielerorts herrscht großer Wettbewerb ums Land. Die Bundesregierung plant in den Ballungsgebieten den Neubau von 400.000 Wohnungen pro Jahr. Dem stehen rund zwei Millionen leerstehende Wohnungen in ländlichen Regionen und eine durch den demografischen Wandel eher sinkende Bevölkerungszahl gegenüber. Das verdeutlicht die hohe Komplexität bei der Flächenversiegelung, bei der soziale Aspekte, die Verfügbarkeit von Arbeit, aber auch Fragen von Infrastruktur und Verkehr zu berücksichtigen sind.
Ein Lösungsansatz dabei ist, Flächen möglichst nachhaltig und effektiv zu nutzen. Bei der sogenannten Innenverdichtung wird beispielsweise geprüft, welche Flächen sich innerhalb eines Ortes noch für Bebauung, Aufstockung oder Umbau anbieten. Moderne Stadtplanung erhält dabei ausreichend unversiegelte Flächen, auf denen beispielsweise Wasser versickern oder schattenspendende Bepflanzung entstehen kann.
Wird Bauland in den Außenbereichen von Ortschaften erschlossen, bedeutet das hingegen weitere Flächenversiegelung. Ausgleichsmaßnahmen, die den Verlust an Biodiversität kompensieren sollen, erreichen dabei selten den qualitativen Wert der zerstörten Fläche, und wenn, dann erst nach vielen Jahren.
Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Die Ampelkoalition hat das Problem erkannt und im Koalitionsvertrag angekündigt das Baugesetzbuch überprüfen zu wollen. Unter anderem soll der umstrittene §13b gestrichen werden, der die Außenbebauung vereinfacht. Der NABU regt zusätzlich an, falsche Wachstumsanreize für Ortschaften - zum Beispiel aufgrund der Hauptansatzfaktoren des Finanzausgleichs auf Landesebene - zu reduzieren.
Hintergrund zum „Dinosaurier des Jahres“
Mit dem „Dinosaurier des Jahres“, einer 2,6 Kilogramm schweren Nachbildung einer Riesenechse, zeichnet der NABU seit 1993 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus, die sich durch besonders rückschrittliches öffentliches Engagement in Sachen Natur- und Umweltschutz hervorgetan haben. Seit 2020 werden nicht mehr Personen, sondern konkrete Projekte als Umweltsauerei des Jahres ausgezeichnet. Preisträger 2020 war das Autobahnprojekt A26 Ost.
Mit dem „Dinosaurier des Jahres“ zeichnet der NABU seit über 30 Jahren Persönlichkeiten oder Projekte aus, die sich in Sachen Umweltschutz als besonders rückwärtsgewandt und schädlich erwiesen haben. Mehr →
Täglich werden in Deutschland mehr als 55 Hektar für Siedlungs- und Verkehrsflächen verbraucht – obwohl es nur die Hälfte sein sollte. Mitverantwortlich für das Scheitern der Flächensparziele der Bundesregierung ist der Paragraf 13b des Baugesetzbuches. Mehr →
In Deutschland wird zu viel Fläche verbraucht: täglich rund 52 Hektar Landschaft für Gewerbe, Wohnungsbau, Verkehr und Erholungsflächen. Das entspricht etwa einem Einfamilienhaus pro Minute. Dagegen dauert es 2.000 Jahre, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden entstehen. Mehr →
Für jeden Eingriff in Natur und Landschaft schreibt das Gesetz Wiedergutmachung an anderer Stelle vor. Doch in der Realität wird diese Pflicht oft missachtet. Es braucht strengere Kontrollen und einen Nachweis über die gelungene Umsetzung. Mehr →