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NABU fordert Notprogramm für die Natur
27. September 2021 - Wir sind weiter dabei, das sechste Massenartensterben in der jüngeren Erdgeschichte anzufachen: Bestäubende Insekten verschwinden und mit ihnen die Vögel über Feldern und Wiesen, in den Weltmeeren brechen Fischbestände zusammen, eine Million Tier- und Pflanzenarten sind laut Weltbiodiversitätsrat vom Aussterben bedroht. Doch der Verlust der biologischen Vielfalt kam im Wahlkampf nahezu gar nicht vor. Es gibt keine Soforthilfen und auch keine Sondersendungen. Dabei wird überdeutlich, dass sich jetzt entscheidet, ob wir künftig in unserem gewohnten Umfeld weiterleben können – oder auf einem Planeten, der in einen Zustand übergeht, der für uns Menschen feindlich und völlig unberechenbar wird. Wir haben es noch in der Hand.
Hitzesommer und Flutkatastrophen lehren uns: Auf kühlendes Stadtgrün und wasserspeichernde Wälder können wir nicht verzichten. Und die Corona-Pandemie zeigt: Schädigen wir unsere Ökosysteme, kann jeder Wildtiermarkt, jede gerodete Fläche Tropenwald das Einfallstor einer nächsten Zoonose, einer nächsten Pandemie sein. Es ist ein Hauptauftrag der nächsten Bundesregierung, die Natur- und die Klimakrise beherzt und zeitgleich anzupacken.
Notprogramm gegen die Krise der Natur
Der NABU fordert die nächste Bundesregierung auf, unverzüglich ein Notprogramm gegen die Krise der Natur aufzulegen. Deutschland muss seine Anstrengungen verdoppeln: Ein wirksamer Schutzschirm für die Natur in Deutschland muss künftig mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich finanziert werden. So fehlt für Schutzgebiete, deren Management und die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien aktuell rund eine Milliarde Euro. Für Renaturierungen werden weitere 500 Millionen Euro benötigt. Weitere zwei Milliarden Euro sollte die neue Bundesregierung den ärmsten Ländern als internationale Naturschutzhilfe bereitstellen. Dabei sind die folgenden sieben Sofortmaßnahmen im Koalitionsvertrag zu verankern und zu Beginn der Legislaturperiode auf den Weg zu bringen:
Sieben Sofortmaßnahmen, die die nächste Bundesregierung angehen muss
- Wir geben der Natur mehr Raum. In unseren Flüssen, Meeren, Feldern und Wäldern braucht es wieder mehr Platz für Artenvielfalt, damit die Natur wieder die Leistungen erbringen kann, von denen wir abhängen – vor unserer Haustür wie auf der hohen See. Konkret braucht es hierfür auf Bundesebene einen verbindlichen und mit einem entsprechenden Fonds hinterlegten Renaturierungsplan, um die Natur wiederherzustellen. Daneben soll die Bundesregierung sicherstellen, dass nicht bewirtschaftete Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen in der Agrarlandschaft zur Verfügung stehen. Gewässerrandstreifen sollen über ein bundesweites Förderprogramm geschützt werden. Außerdem soll der Bund die Fassaden- und Dachbegrünung fördern, genauso wie naturverträgliche Solaranlagen mittels Solarpakt. Der Flächenverbrauch ist mittels verbindlichen Zielen bis 2030 auf „Netto-Null“ zu bringen.
- Wir schaffen Schutzgebiete, die auch tatsächlich schützen. Das bedeutet, dass überall dort, wo Schutzgebiet draufsteht, bedrohte Arten und Lebensräume in Zukunft auch geschützt sein müssen. Konkret geht es um neue Qualitätsstandards und eine bessere Vernetzung der Schutzgebiete im Einklang mit den Vorgaben der EU-Biodiversitätsstrategie. Außerdem muss die Bundesregierung ein sofortiges Moratorium für den Bau von Fernstraßen beschließen und die Umweltverträglichkeitsprüfung verbessern, um die Öffentlichkeit frühzeitiger einzubinden.
- Wir schließen einen Pakt für Artenschutz und grüne Infrastruktur. Wir brauchen endlich eine vorausschauende Planung und grüne Korridore, auch um neue Belastungen aus dem notwendigen Ausbau einer klimagerechten Infrastruktur besser abfedern zu können. Dafür braucht es vorbeugende Hilfsprogramme für besonders bedrohte Tierarten und einen „Bundes-Wildtierwegeplan“. Außerdem beschließt die Bundesregierung ein sofortiges Moratorium für den Bau von Fernstraßen. Und schließlich ist die Umweltverträglichkeitsprüfung zu verbessern, um die Öffentlichkeit frühzeitiger einzubinden.
- Wir fördern und fordern Landwirtschaft mit Zukunft. Das heißt, dass das Ziel der Bundesregierung eine Landwirtschaft ist, die für fruchtbare Böden, sauberes Wasser und intakte Ökosysteme steht. Konkret braucht es hierfür einen Umwandlungspfad aus den Agrarflächenprämien und eine Überarbeitung des nationalen GAP-Strategieplans. Außerdem erstellt die Bundesregierung einen nationalen Reduktionsplan für Pestizide und setzt diesen um, genauso wie einen Plan zur Anpassung der Rinderbestände auf grünlandbasierte Haltung.
- Wir schließen einen „Blue Deal“ für den Schutz der Meere. Die Wassertemperatur erhöht sich, der Ozean versauert und bindet weniger CO2. Deshalb muss die Bundesregierung im Rahmen eines „Blue Deal 2030“ eine Meeresoffensive starten, die Meeresschutz konsequent im Einklang mit den globalen Nachhaltigkeitszielen umsetzt. So sollen marine Lebensräume und zentrale Funktionen des Ökosystems endlich geschützt werden. Außerdem muss die Bundesregierung mindestens 100 Millionen Euro investieren, um die Munition der Weltkriege im Meer zu bergen.
- Wir stärken den Wald. Der Wald ist Alleskönner, wenn man ihn wachsen lässt: Kühlung, Wasserspeicher, Hochwasserschutz, Luftfilter und dauerhafter Speicher für Treibhausgase. Um ihn zu schützen, muss die Bundesregierung mittelfristig mindestens zehn Prozent der Wälder dauerhaft als Naturwälder ausweisen, die frei von forstlichen Eingriffen sind. Außerdem müssen die Umweltleistungen, die im Wald erbracht werden – gerade auch die Biodiversität – finanziell honoriert werden. Holzverbrennung für die Energieerzeugung darf nicht mehr gefördert werden.
- Wir spannen einen internationalen Schutzschirm für die weltweite Artenrettung. Das heißt, dass sich die Bundesregierung global für den Naturschutz einsetzt, unter anderem auf der UN-Biodiversitätskonferenz. Viele Tier- und Pflanzenarten, für die Deutschland besondere Verantwortung trägt, kämpfen seit Jahrzehnten ums Überleben und drohen zu verschwinden. Konkret braucht es hierfür Naturschutzhilfen in Höhe von künftig zwei Milliarden Euro jährlich. Außerdem muss die Bundesregierung das Thema Biodiversität zu einem Schwerpunkt der kommenden deutschen G7-Präsidentschaft 2022 machen.