Moore tragen dazu bei, Kohlenstoff als Biomasse oder im Boden zu speichern. - Foto: Andreas Schüring
EU-Konjunkturpaket: Chancen verpasst
Klima- und Naturschutz auf halbem Weg stehen geblieben
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Gesunde Wälder halten Wasser in der Landschaft zurück und sind ein natürlicher Schutz bei Extremwettersituationen. - Foto: Helge May
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Investitionen sollten in den Ausbau erneuerbarer Energieträger investiert werden. - Foto: Daniel Hundmaier
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Investitionen in umweltschädliche Infrastrukturen – etwa für Erdgas – müssen vermieden werden. - AdobeStock
09. November 2020 - Heute hat das Europäischen Parlament über ein Investitionsprogramm in Höhe von 672,5 Milliarden Euro abgestimmt und es vorläufig fixiert. Die Chance, durch Investitionen in Klima- und Naturschutz eine grüne Gesundung des Kontinents einzuleiten, wurde dabei allerdings nicht konsequent genutzt. Zwar sollen nach dem Willen der Parlamentarier*innen immerhin 40 Prozent des Investitionspakets in die Bereiche Klima- und Umweltschutz gehen. Es fehlen jedoch weiterhin klare Vorgaben für Investitionen in die Renaturierung von Ökosystemen. Damit würde es für die EU-Regierungen freiwillig bleiben, ob sie EU-Fördergelder für den Schutz oder die Wiederherstellung von Mooren, Flüssen, Wäldern und Meeresgebieten ausgeben. „Angesichts des großen Finanzierungsdefizits und der positiven Auswirkungen solcher Renaturierungen auf den Klimaschutz und die regionale Wirtschaftskraft ist das eine fahrlässig verpasste Chance“, kommentiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger das Ergebnis.
Auch zu einem Ausschluss umweltschädlicher Subventionen aus dem Wiederaufbaufonds, etwa für fossile Energieträger, konnte sich das Parlament nicht durchringen. So könnten Mitgliedstaaten europäische Steuergelder zum Beispiel für Investitionen in Infrastrukturen für Erdgas verwenden. Das würde uns auf Jahrzehnte vom Ziel der Klimaneutralität entfernen. Doch statt auf diese Scheinlösung für den Klimaschutz zu setzen, sollte dieses Geld direkt in den nachhaltigen Ausbau erneuerbarer Energien gehen.
Das Parlament muss sich nun im Rahmen des sogenannten Trilog mit dem Ministerrat und der Kommission auf eine gemeinsame Position zum EU-Aufbauprogramm einigen. Die Mitgliedstaaten müssen ihre nationalen Wiederaufbaupläne bis April 2021 bei der EU-Kommission vorlegen.
30. Oktober 2020 - In Brüssel werden momentan die letzten Weichen für das EU-Konjunkturprogramm gestellt. Diese solidarische Anstrengung der Mitgliedstaaten ist sehr zu begrüßen. Jedoch drängt sich die Frage nach dem „Wie“ auf, wenn es um den wirtschaftlichen Wiederaufbau geht. In keinem Fall sollte Steuergeld in Infrastruktur fließen, die uns auf dem Weg zur Klimaneutralität zurückwirft und der biologischen Vielfalt schadet. Stattdessen braucht es aktiven Investitionen in eine „Green Recovery“, also eine nachhaltige Wiederbelebung der Wirtschaft. Dabei müssen die Jobmotoren und Zukunftssektoren Klima- und Naturschutz eine zentrale Rolle spielen.
Mit Investitionen soll sich die europäische Wirtschaft erholen
Während die zweite Welle der Corona-Pandemie über die EU rollt, bereitet das Europäische Parlament seine Position zum größten Teil des Konjunkturpakets der EU vor. Nach der endgültigen Verabschiedung wird die EU ein 672,5 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm ausrollen – finanziert durch gemeinsame Kredite. Sowohl die Art und der Umfang der Finanzierung ist ein Novum in der europäischen Geschichte und dringend notwendig, um Europa wieder auf die Beine zu bringen.
NABU-Forderungen zum Konjunkturpaket
Wir fordern die Abgeordneten des Haushalts-, des Wirtschafts- und des Währungsausschusses auf, am 9. November für folgende Punkte zu stimmen:
- Mindestens 10 Prozent der EU-Konjunkturpakets sollen auf Naturschutz entfallen, zusätzlich zu den bereits angedachten 37 Prozent für den Klimaschutz.
- Keine Steuergelder für umweltschädliche Subventionen. In keinem Fall dürfen Gelder für fossile Energieträger (einschließlich Erdgas) fließen.
- Alle Ausgaben im Konjunkturpaket müssen die EU-Kriterien für nachhaltige Investitionen erfüllen (die sogenannte Taxonomieverordnung).
Die Europäische Kommission hat dem Paket den Namen „Next Generation EU“ gegeben. Der rechtliche Rahmen muss diesem Anspruch gerecht werden und tatsächlich den Interessen sowohl der gegenwärtigen als auch der zukünftigen Generationen dienen: „Green Recovery“ ist der Schlüssel dazu. Durch nachhaltige Investition können wir die Arbeitsplätze schaffen, die heute benötigt werden. Gleichzeitig können wir mit nachhaltigen Investitionen unsere Nachfrage an natürlichen Ressourcen senken, statt immer weiter auf Kosten des Planeten zu wirtschaften. Unterbleiben müssen dabei jedwede Subventionen, die uns von diesem Ziel wegführen.
Dazu gehören vor allem Investitionen in fossile Energieträger, zum Beispiel Infrastruktur für den Transport und die Verbrennung von Erdgas. Auch wenn Erdgas von der Industrie manchmal als Brückentechnologie angepriesen wird, würden solche Ausgaben öffentliche Gelder binden und uns auf Jahrzehnte zusätzliche Treibhausgasemissionen bescheren. Statt diesem Umweg sollte die öffentliche Hand direkt in den Ausbau erneuerbarer Energieträger investieren.
Hohes Potential in Renaturierungen
Der Erhalt der biologischen Vielfalt muss Teil dieses grünen Wandels sein. Vor allem die Wiederherstellung von Ökosystemen hat enormes Potential. Von ihnen hängen unsere Wirtschaft, unsere Ernährung und unsere Gesundheit ab. Anerkannte Institutionen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) oder die OECD haben kürzlich die positiven Auswirkungen der Wiederherstellung von Ökosystemen hervorgehoben, zum Beispiel von Moor- und Feuchtgebieten und Wäldern.
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Die Wiederherstellung natürlicher Lebensräume – wie hier an der Havel – erzeugt einen gesellschaftlichen Mehrwert. - Foto: Volker Gehrmann
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Nicht nur die Natur profitiert, sondern es entstehen auch Arbeitsplätze. - Foto: Volker Gehrmann
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Gesundes Flüsse sind nicht nur wichtige Lebensräume, sondern dienen auch dem Hochwasserschutz. - Foto. NABU/Klemens Karkow
Frühere Investitionsprogramme für Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt haben gezeigt, dass Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden konnten. In einem Industrieland wie den USA konnten im Durchschnitt pro einer Million US-Dollar an Investitionen in die biologische Vielfalt bis zu 40 Vollzeitstellen geschaffen werden. Wenn nur ein Bruchteil des EU-Konjunkturpakets für denselben Zweck verwendet würde, wären die Effekte enorm. Schätzungen zufolge könnte in der EU die Wiederherstellung von nur 15 Prozent der degradierten Ökosysteme zu einem zusätzlichen Beschäftigungseffekt von bis zu 70.000 Arbeitsplätzen führen. Die Vorteile hören hier jedoch nicht auf.
Langfristiger Mehrwert statt kurzfristiger Wirkung
Ideen wie die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer sind kostspielig und wirken nur kurzfristig. Die Wiederherstellung von Mooren, Wäldern und anderer Lebensräume erzeugt über Generationen einen gesellschaftlichen Mehrwert:
- Gesunde Ökosysteme sind für die Erreichung der Pariser Klimaziele von entscheidender Bedeutung, da sie dazu beitragen, Kohlenstoff als Biomasse oder im Boden zu speichern.
- Sie halten dringend benötigtes Wasser in den Landschaften zurück und dienen als natürlicher Schutz vor immer häufiger auftretenden Extremwettersituationen.
- Zusätzliche Möglichkeiten, zum Beispiel im Tourismus, sorgen für weitere Impulse und die anfänglichen Investitionen bei Weitem übertreffen.
Es liegt nun an den europäischen Entscheidungsträgern, ein klima- und naturverträgliches Konjunkturprogramm zu verwirklichen. Leider haben die nationalen Regierungschef in der Form des Europäischen Rates die Chance ungenutzt gelassen. Das Europäische Parlament muss nun liefern – mit einem ambitionierten Beschluss. Am 9. November findet die entscheidende Abstimmung im Haushalts- und Wirtschaftsausschuss statt.
Wichtige Weichenstellung für die Zukunft Europas
Der Umweltausschuss hat dazu ein solides Fundament geschaffen: Er hat sich in seiner Stellungnahme dafür ausgesprochen, 10 Prozent des Konjunkturpaketes in die Natur zu investieren – also knapp 70 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das LIFE-Programm der EU, mit einem Anteil von aktuell 0,3 Prozent am EU-Haushalt, konnte bereits mehrere Arten vor dem Aussterben bewahren und gleichzeitig Menschen in Beschäftigung bringen. Man stelle sich vor, was wir mit einer echten „Green Recovery“ erreichen können!
Jetzt müssen der Haushalts-, der Wirtschafts- und der Währungsausschuss in den kommenden Wochen bei ihren Diskussionen dem Beispiel ihrer Kolleg*innen folgen und die Weichen für nachhaltige Konjunkturmaßnahmen stellen – für Mensch, Klima und Natur.
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