Wenn die Konjunktur wiederbelebt wird, dürfen die beiden großen Zwillingsprobleme – die Klimakrise und das Artensterben – nicht außer Acht gelassen werden. - Foto: Helge May
Lernen aus der Corona-Krise
Umfrage und Forderungen an ein Corona-Erholungsprogramm
05. Mai 2020 - Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich eine sichere und naturfreundliche Zukunft – das ist das Ergebnis einer repräsentativen Kantar-Umfrage, die der NABU in Auftrag gegeben hat. So wünschen sich 91 Prozent der Befragten, dass mehr politische Anstrengungen hin zu einer klima- und umweltverträglichen Wirtschaft unternommen werden. „Wir freuen uns über so viel Zuspruch für einen nachhaltigen Politikwandel, den der NABU schon lange einfordert“, erklärt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.
Ebenso sind 84 Prozent der Befragten der Meinung, dass Deutschland als Antwort auf die Corona-Krise in Bereiche investieren soll, die Umwelt und Klima schützen und den Klimawandel deutlich verlangsamen. Außerdem befürworten 86 Prozent ein Konjunkturprogramm, das Unternehmen fördert, die klima- und umwelfreundlich agieren.
Ergebnisse der NABU-Umfrage
Für eine gesunde, grüne und sichere Zukunft
Die Umfrageergebnisse unterstützen die Forderungen, die der NABU an Bundesregierung und EU stellt, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. In seiner achtseitigen Stellungnahme skizziert der NABU Anforderungen für die politische Ausgestaltung von Erholungsmaßnahmen und macht konkrete Vorschläge für eine gesunde, grüne und sichere Zukunft.
Es darf kein zurück und kein weiter so in der Wirtschaftspolitik und vielen weiteren Politikfeldern geben. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger betont: „Wir müssen den Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft entschlossen gestalten und in eine sozial gerechte und naturfreundliche Zukunft investieren. Nur so können wir die Folgen der Corona-Krise bewältigen und nur so schaffen wir es auch aus den großen Umweltkrisen.“
An Klima- und Umweltzielen festhalten
Außerdem muss der großen Klimakrise, dem Artensterben und dem Verlust der Lebensgrundlagen ein weitaus größerer Stellenwert beigemessen werden. Daher fordert der NABU die Bundesregierung und die Europäische Union auf, an den gemeinsamen Klima- und Umweltzielen festzuhalten. „Deutschland und die EU haben jetzt die Chance, den nachhaltigen Wandel in der Wirtschaft umzusetzen und sie krisensicherer und zukunftsfähiger als je zuvor zu gestalten.“ betont Krüger. Dazu gehört eine umweltverträgliche und soziale Mobilitäts- und Energiewende genauso wie eine Reform der europäischen Agrarpolitik und der intelligente und nachhaltige Umgang mit Ressourcen in der Industrie.
NABU-Forderungen an ein Corona-Erholungsprogramm
In seiner Stellungnahme macht der NABU Vorschläge für konkrete Sofortmaßnahmen, die zu einer grünen gesunden und sicheren Zukunft in Deutschland beitragen können. Dazu gehören der Ausbau der Elektromobilität im ländlichen Raum, die Gestaltung von einer Million klimafreundlicher und energieerzeugender Dächer sowie ein Sonderprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien in der Landwirtschaft.
„E-Mobil“ auf dem Land: Mobilitätswende im ländlichen Raum vorantreiben
Im ländlichen Raum stößt der Ausbau eines attraktiven und effizienten öffentlichen Personennahverkehrs vielerorts an Grenzen. In dünn besiedelten Regionen wird der Individualverkehr auch künftig eine größere Rolle als in den Städten spielen. Trotzdem wird Elektromobilität derzeit vor allem in großen Städten erprobt und die entsprechende Infrastruktur ausgebaut. Dabei sind die Reichweiten von batterieelektrischen Fahrzeugen längst ausreichend, um den klassischen Pendlerverkehr im ländlichen Raum abzudecken. Die Eigentums- und Siedlungsstruktur des ländlichen Raums eignet sich ohnehin hervorragend für einen beschleunigten Umstieg auf Elektromobilität – in Kombination mit der Produktion des eigenen Fahrstroms aus erneuerbaren Energien. Folglich könnten Investitions- und Abschreibungsprogramme die Installation von Solarstrom (Photovoltaik, PV)-Anlagen gemeinsam mit entsprechenden Förderprogrammen für Ladestationen in der heimischen Garage anreizen. Wer beim Kauf eines Elektroautos die Installation einer eigenen PV-Anlage und Ladestation belegen kann, erhält einen zusätzlichen Kaufzuschuss und kann die damit verbundenen Handwerkerkosten vollständig von der Steuer absetzen. Das Förderprogramm sollte bis ins Jahr 2030 reichen und so ausgerichtet sein, sieben Millionen Haushalte zu erreichen.
Gut bedacht: Eine Million Dächer klimafreundlich gestalten
Schätzungen zufolge sind derzeit in Deutschland die Dächer von etwa zehn Millionen Gebäuden sanierungsbedürftig. Etwa ein Fünftel dieser Dachflächen sind geeignet für die Gewinnung von Strom (Photovoltaik, PV) und Wärme (-Solarthermie) aus der Sonne. Mit einem großangelegten Sanierungsprogramm können eine Million Dächer fit für die Zukunft gemacht werden: Neben der energetischen Sanierung zur Steigerung der Energieeffizienz der Gebäude, sollen die Installation von Dach-PV-Anlagen oder solarthermischen Anlagen gefördert werden. Neue Flachdächer, die energetisch nicht genutzt werden können, sollen begrünt werden und so neben der Dämmwirkung und dem sommerlichen Wärmeschutz auch einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt vor allem im urbanen Raum beitragen. Die Bezuschussung von 50 Prozent der anfallenden Kosten schafft Anreize zur Beauftragung von Handwerkerleistungen. Das Programm benötigt ein Gesamtvolumen von rund 10 Milliarden Euro, um wirksam sein zu können.
Fünftausend lebendige Bäche: Renaturierung von Fließgewässern als Vorsorge gegen Hochwasser, Trockenheit und Artensterben
Kleine Fließgewässer mit ihren Auen und den sie begleitenden Grundwasserkörpern verlangsamen den Abfluss des Wassers und speichern dieses bei Starkregen. Renaturierung von Bächen ist damit wirksamer Hochwasserschutz. In Trockenzeiten wird das gespeicherte Wasser abgegeben. Dieses gewährleistet die Wasserversorgung für Wälder und Landwirtschaft. Darüber hinaus bilden Fließgewässer die zentralen Achsen eines landesweiten Netzes von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen. Nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) müssen bis 2027 alle Gewässer in einen guten Umweltzustand gebracht werden. Das Programm „Fünftausend lebendige Bäche für Mensch und Natur“ kann dazu beitragen und gleichzeitig unzählige lokale Entwicklungsimpulse geben. Im Zuge des Programms, das sich an Kommunen und Wasserverbände richtet, werden fünftausend Bäche ausgewählt und renaturiert. Das Programm soll mit 1,25 Milliarden Euro ausgestattet werden.
Zukunft sichern: Biodiversitätsfördernde und ingenieurbiologische Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung in Siedlungen und Städten
Kommunen, insbesondere Städte, sind in hohem Maße für Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig sind sie von Auswirkungen des Klimawandels (z. B. Starkregen, Hitze, Trockenheit) sehr stark betroffen. Das Spektrum der möglichen Maßnahmen beinhaltet neben rein ingenieurtechnischen auch ingenieurbiologische. Mehr Grün in der Stadt verbessert das Klima, dient der Gesundheit und fördert die Artenvielfalt. Der NABU schlägt ein Förderprogramm für Kommunalverwaltungen, Wohnungsunternehmen und Gewerbebetriebe vor, die bereit sind, ihre Außenflächen klima- und naturgerecht umzugestalten.
Wärmewende: Abwrackprogramm „Wärmepumpen statt umweltschädlicher Ölheizungen“
In Deutschland sind immer noch knapp fünf Millionen Ölheizungen installiert. Das ist mehr als jede vierte Heizung. Die Technik ist veraltet und wird nach Maßnahmen des Klimapakets ohnehin ab 2026 nicht mehr neu eingebaut werden dürfen. Ein Austausch alter Ölheizungen gegen Wärmepumpen ist aber auch schon deutlich früher gut für unser Klima. Der Austausch einer Ölheizung gegen eine Wärmepumpe soll zu maximal 50 Prozent und maximal 10.000 Euro bezuschusst werden. Mit einem Gesamtvolumen von 5 Mrd. Euro werden bis zu 500.000 Ölheizungen in Deutschland erneuert. Neben dem Beitrag zur Wärmewende stimuliert die Prämie den Markt für Wärmepumpen und schafft Anreize für die Beauftragung von Handwerkerleistungen.
Stopp der Lichtverschmutzung: Insekten- und klimafreundliche Beleuchtungen im öffentlichen Raum
Deutschlandweit werden in rund 14.000 Kommunen fast 10 Millionen Straßenleuchten betrieben. Hinzu kommen Beleuchtungseinrichtungen auf gewerblich oder industriell genutzten Flächen, auf Sportanlagen oder Denkmälern in einer nicht näher bekannten Größenordnung. Allein der jährliche Energieverbrauch von Straßenbeleuchtungen beträgt rund vier Terawattstunden. Kunstlicht in falscher Qualität und Intensität zur falschen Zeit am falschen Ort wirkt sich negativ auf die Lebensbedingungen vieler Tiere und Pflanzen aus. Es verursacht aber auch Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen und beeinträchtigt damit die Gesundheit. Darüber hinaus belastet der Energieverbrauch – je nach Herkunft des Stroms – Klima und Umwelt. Gefördert werden soll die Umstellung und der Austausch hin zu klima- und biodiversitätsfreundlichen Außenbeleuchtungen im kommunalen, gewerblichen und industriellen Bereich einschließlich der damit verbundenen Planungen.
Mikroschadstoffe und Mikroplastik ade: Kläranlagen fit machen und Regenwasser reinigen
In Deutschland wird nahezu 100 % des kommunalen Abwassers behandelt. Die derzeitigen Verfahren eliminieren jedoch nicht Mikroschadstoffe wie Chemikalien aus Reinigungsmitteln, Arzneimittel, oder Biozide. Deshalb sollte die Einführung einer vierten Reinigungsstufe bei allen Kläranlagen gefördert werden. Dies wäre ein zentraler Baustein, um die unsichtbare Umweltgefahr Mikroschadstoffe wirksam zu minimieren. Parallel dazu muss die Verwendung von Mikroplastik in allen Kosmetikprodukten und Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln verboten und die Verwendung von schwer abbaubaren Polymeren stark eingeschränkt werden. Verstärkt investiert werden sollte auch in die Reinigung von Regenwasser aus Siedlungsbereichen. Dieses wird größtenteils ungeklärt direkt in die Gewässer eingeleitet. Dabei führt es hohe Frachten von Mikroplastik aus Reifenabrieb, von Plastikflaschen und Verpackungen oder Fassadenfarben mit sich und gelangt in Ökosysteme und die Nahrungskette.
Munitionsaltlasten im Meer: Technische Innovation trifft Umweltschutz
Millionen Tonnen Munitionsaltlasten liegen am Grund von Nord- und Ostsee. Während Munitionskörper im Salzwasser korrodieren, Giftstoffe freisetzen und Experten davor eindringlich warnen, scheitern Bund und Länder bislang an einer gemeinsamen Strategie der Räumung und Entsorgung. Eine tickende Zeitbombe. Deutsche Firmen und wissenschaftliche Institutionen haben in den vergangenen Jahren wertvolle Erfahrungen bei der Munitionsräumung im Rahmen großer Infrastruktur- und Forschungsprojekte gesammelt. Ihr Knowhow kann helfen, unabsehbare Gefahren für uns Menschen und das Ökosystem Meer abzuwenden, den Technologiestandort Deutschland zu stärken und Wertschöpfung in den Küstenländern zu sichern. Bund und Länder müssen
ein Sofortprogramm für die Bergung von Kriegsaltlasten auf den Weg bringen und finanziell absichern. In einem ersten Schritt braucht es 100 Millionen Euro. Dringend benötigtes Geld für ein Pilotprojekt der umweltverträglichen Räumung. Gleichzeitig muss in zusätzliche Entsorgungskapazitäten investiert und der Bau einer gemeinsam zu nutzenden mobilen (oder stationären) Detonations- und Verbrennungskammer beauftragt werden.
Sonne ernten, Insekten schützen: Photovoltaik und Biodiversität in der Landwirtschaft
Die Flächenanteile, die landwirtschaftliche Betriebe für den Erhalt der Artenvielfalt reservieren müssen, werden mit der kommenden EU-Agrarreform größer werden. Statt Mais, Raps oder Rüben wird mehr Lebensraum für Insekten und Vögel geschaffen. Mit neuen Formen der Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen können – unter der Bedingung, dass sie richtig geplant und bewirtschaftet werden – auch Landwirtschaft, die Artenvielfalt und Solarenergie miteinander verbunden werden. Mit einem Sonderprogramm sollen die Rahmenbedingungen für naturverträgliche Photovoltaik-Anlagen in landwirtschaftlichen Betrieben, die sowohl der Artenvielfalt als auch der Solarenergienutzung dienen, entwickelt werden.
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Unser Alltag ist voller Fake News und Verschwörungstheorien. Auch zur Klimakrise werden immer mehr Mythen gestreut wie „1,5 Grad ist doch gar nicht viel“ und „andere Länder sind schuld“. Wir geben fundierte Antworten auf Mythen rund um die Klimakrise. Mehr →
Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, sondern weiterhin Wälder und Moore zerstören sowie Landflächen in diesem Ausmaß und nicht nachhaltig nutzen, ist die Klima- und Biodiversitätskrise nicht mehr beherrschbar. Mehr →