Ostdeutscher „Amselkrater“: Auffällig geringe Amselzahlen 2020 in einem großen Gebiet von Berlin bis Dresden und von Magdeburg bis Cottbus, möglicherweise durch das Usutu-Virus verursacht.
Mehr Spatzen und Häher, weniger Finken
„Stunde der Wintervögel“ mit Teilnahmerekord
06. Februar 2020 - An der Vogelzählaktion des NABU und seines bayerischen Partners LBV haben von 10. bis 12. Januar mehr als 143.000 Menschen teilgenommen. Das ist ein Zuwachs von über 5.000 gegenüber dem Vorjahr. Noch nie nahmen sich in Deutschland so viele Vogelfreund*innen eine Stunde Zeit, um die Vögel in Garten und Park oder am Fenster zu zählen.
Aus 97.000 Gärten wurden bei der „Stunde der Wintervögel“ insgesamt über 3,6 Millionen Vögel gemeldet. Das macht pro Beobachtungsplatz 37,3 Vögel und damit etwas mehr als 2019. Damals waren es 37 Vögel. Dennoch liegt der Wert deutlich unter dem langjährigen Mittel von fast 40 Vögeln pro Garten. Denn insgesamt ist seit Beginn der Wintervogelzählungen im Jahr 2011 einen abnehmender Trend festzustellen.
Das muss nicht unbedingt beunruhigend sein. Die Daten aus inzwischen einem Jahrzehnt Stunde der Wintervögel zeigen, dass die Zahl der Vögel in den Gärten umso geringer ist, je milder und schneeärmer der Winter ist. Weniger im Garten beobachtete Vögel sind wahrscheinlich zum Großteil Folge der langen Reihe milder Winter. Erst wenn es kalt wird und Schnee liegt, suchen viele Waldvögel Zuflucht in den Gärten der etwas wärmeren Siedlungen, in denen sie zudem Futterstellen vorfinden.
Stetigkeit: Wo Kohlmeise, Amsel und Rotkehlchen den Haussperling deutlich schlagen
Bei der Anzahl der beobachteten Vögel liegt der Haussperling mit 660.000 klar vor der Kohlmeise mit 503.000 und der Blaumeise mit 344.000. Etwas anders sieht die Reihenfolge aus, betrachtet man den Anteil der Gärten, in denen eine Art beobachtet wird. Hier führt 2020 die Kohlmeise mit rund 91 Prozent vor Amsel (85 Prozent), Blaumeise (79 Prozent), Rotkehlchen (65 Prozent) und Elster (59 Prozent).
Der Haussperling folgt erst auf Rang sechs. Er ist lediglich in knapp 59 Prozent der Gärten anzutreffen, wo er vorkommt, aber jeweils in größeren Gruppen. Rotkehlchen und Elstern sind dagegen zwar im Großteil der Gärten vertreten, aber immer nur in kleinen Zahlen. „Rotkehlchen sind dafür bekannt, dass sie selbst im Winter ein eigenes Territorium verteidigen – sogar die Weibchen, die dafür im Winter sogar den typischen Rotkehlchengesang erklingen lassen, den sie sonst den Männchen überlassen“, erklärt NABU-Vogelexperte Lars Lachmann. Anders als bei den Spatzen wird es einen ganzen Schwarm Rotkehlchen im Garten daher nicht geben.
Top und Flop: Was ist Deutschlands Spatzenhauptstadt, wo leben die meisten Meisen und Amseln, wo die wenigsten?
Als Spatzenhauptstadt gilt gemeinhin Berlin. Im Vergleich zu anderen Großstädten leben dort tatsächlich noch viele Haussperlinge, die größte Dichte aber findet sich nördlich und nordwestlich von Berlin, mit den Kreisen Stendal in Sachsen-Anhalt und Nordwestmecklenburg an der Spitze. Nahezu eine Spatzenwüste sind dagegen weite Teile des Ruhrgebietes und der Kölner Bucht, die geringste Haussperling-Dichte hatte 2020 Essen.
Die Kohlmeise auf dem Silberrang ist fast allgegenwärtig, sie kommt in 91 Prozent aller Gärten vor. Die meisten Kohlmeisen je Beobachtungsort wurden im Kreis Wittenberg gezählt, dicht gefolgt von Weiden in der Oberpfalz. Die wenigsten Kohlmeisen leben an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste.
Die Blaumeise schwächelt als Waldvogel in vielen städtischen Räumen, sehr mau sieht es in Magdeburg, Memmingen und Mainz aus. Wohl fühlen sich Blaumeise vor allem in den Mittelgebirgen. Ein besonderer Hotspot ist die waldreiche Region von der Eifel bis zur Pfalz, an der Spitze liegt der Kreis Birkenfeld, gefolgt vom Nachbarkreis Bernkastel-Wittlich.
Wie die Haussperlinge sind Feldsperlinge in Nordbrandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auffällig häufig. Die höchsten Werte gibt es aber weit im Süden, in den fruchtbaren Agrarlandschaften entlang der bayerischen Donau, an der Spitze der Kreis Landshut. Dagegen ist der Feldsperling in den Städten sowie in weiten Teilen Südwest- und Westdeutschlands eher rar. Wie beim Haussperling liegt die geringste Dichte im Ruhrgebiet, Schlusslicht ist Bochum.
Amselhauptstadt 2020 ist das oberfränkische Coburg, die wenigsten Amseln je Garten wurden im brandenburgischen Cottbus gezählt. Letzteres könnte mit dem Usutu-Virus zu tun haben, eine große Region vom Havelland bis Dresden und von Magdeburg bis in die Lausitz weist sehr niedrige Amselzahlen auf (siehe Kartenbild weiter unten auf dieser Seite).
Während die Spatzen das Ruhrgebiet meiden, sind Arten wie das Rotkehlchen oder die Heckenbraunelle dort vergleichsweise häufig. Das liegt weniger an einer besonderen Lebensraumqualität, sondern an der relativen Meeresnähe und den dadurch frostarmen Wintern. Diese Arten zeigen also grundsätzlich ein West-Ost-Gefälle. Rotkehlchenhauptstadt ist Bottrop, die größte Dichte an Heckenbraunellen gibt es in Essen und im Kreis Kleve an der niederländischen Grenze.
Interaktive Tabelle und Karte mit allen Ergebnissen seit 2011
Dazu passt, dass der ewige Spitzenreiter Haussperling, der sein ganzes Leben in den Dörfern und Städten verbringt, nur in den beiden kältesten Wintern des Jahrzehnts, 2011 und 2013, durch die vor allem in Wäldern lebende Kohlmeise vom Spitzenplatz verdrängt wurde. Haussperling vor Kohlmeise, Blaumeise, Feldsperling und Amsel – das ist die diesjährige Reihenfolge der Wintervögel in Deutschlands Gärten. Noch nie in der Geschichte der Aktion hat es eine andere Art geschafft, einen der fünf Top-Plätze einzunehmen.
Erfreulich ist das Spitzenergebnis des Haussperlings mit 6,8 Vögeln pro Garten. Seit Beginn der Aktion im Jahr 2011 ist das die höchste Zahl. Traurig sieht es dagegen beim Grünfink aus: Mit nur 1,1 Vögeln pro Garten wurde nicht einmal ein Drittel der Grünfinken von 2011 entdeckt – eine Abnahme von fast 13 Prozent pro Jahr. Ursache dürfte unter anderem die Trichomoniasis sein, eine Infektion mit einem einzelligen Parasiten. Infektionsquelle sind sommerliche Vogelfutterstellen.
Die Amsel, die im vergangenen Winter aufgrund einer massiven Ausbreitung des Usutu-Virus deutliche Einbußen zu verzeichnen hatte, verharrte auf niedrigem Niveau. Die Usutu-Saison 2019 war deutlich schwächer als 2018 und hat offenbar zu keiner weiteren Abnahme der Amselbestände geführt. Sehr auffällig ist allerdings ein fast kreisrundes Areal mit besonders niedrigen Amselzahlen in Ostdeutschland. „Dies ist gleichzeitig das Hauptverbreitungsgebiet des West-Nil-Virus, das seit 2018 auch in Deutschland auftritt“, stellt NABU-Vogelexperte Lars Lachmann fest. „Wir werden diesen Zusammenhang auf jeden Fall im Blick behalten müssen.“
Etwas geringer als erwartet machte sich die herbstliche Eichelhäher-Invasion bemerkbar. Zwar konnte in vier von zehn Gärten ein Eichelhäher beobachtet werden, doch lag der Mittelwert von 0,8 Vögeln pro Garten nur um ein Drittel über dem langjährigen Durchschnitt und erreichte nicht den bisherigen Topwert von fast 0,9 im Jahr 2011. Damals war der Winter allerdings deutlich härter. Es ist anzunehmen, dass ein großer Teil der Eichelhäher in diesem Winter nicht aus den Wäldern in die Gärten gekommen ist.
Nächste Winterzählung: 8. bis 10. Januar 2021
Vom 8. bis zum 10. Januar zählt ganz Deutschland wieder Vögel: Die „Stunde der Wintervögel“ wird bereits zum elften Mal vom NABU organisiert. Vogelfreund*innen sind dazu aufgerufen, eine Stunde lang alle Vögel von Wohnung, Haus oder Garten aus zu erfassen und zu melden. Meldeschluss ist am 18. Januar. Mehr →
Auf der interaktiven Karte können Sie zu allen Arten und Orten die Werte ablesen und erfahren, welche Vögel häufiger beobachtet wurden und welche seltener zu sehen waren. Im Tabellenreiter neben der Karte finden Sie zusätzlich alle Details zu den Vogeldaten. Mehr →
Zur „Stunde der Wintervögel“ stellt der NABU 35 Arten vor. Neben den häufigsten Arten am Futterhäuschen werden auch sogenannte Invasionsvögel porträtiert, die in manchen Wintern in großer Zahl aus Skandinavien und Sibirien zu uns ziehen. Mehr →