Schreiadler brauchen Aufwinde, um längere Strecken zu überwinden. Über dem offenen Meer fehlt diese Thermik. - Foto: Frank Derer
Tödliche Abstürze über dem Mittelmeer
Junge Schreiadler brauchen Altvögel, um das Winterquartier zu erreichen
03. August 2017 – Junge Schreiadler fliegen unabhängig von ihren Eltern in die afrikanischen Winterquartiere. Wie die Auswertung besenderter Adler ergab, sind sie aber auf den Anschluss an andere erfahrene Altvögel angewiesen, um sicher die Route über den Bosporus um das Mittelmeer herum zu finden. „Treffen sie unterwegs keine Altvögel, fliegen sie meist einfach nur in südliche Richtungen und kommen dann beim Versuch um, das Mittelmeer zu überfliegen. Denn über dem Meer gibt es keine thermischen Aufwinde, auf die Adler als Segelflieger dringend angewiesen sind“, sagt Bernd-Ulrich Meyburg, Leiter des NABU-Programms. Die Forschungsergebnisse konnten nun erstmals in einem Artikel im Fachmagazin „Journal of Experimental Biology“ veröffentlicht werden.
Der NABU profitiert enorm von solchen Forschungen, um den Schutz des vom Aussterben bedrohten Schreiadlers zu verbessern. Den Tieren fehlen ungestörte Brutwälder und nahrungsreiche Feuchtwiesen, aber auch schlecht platzierte Windenergieanlagen im Schreiadlergebiet minimieren weiterhin den Bestand. Die winzige Restpopulation des Schreiadlers in Deutschland ist vom Aussterben bedroht. Die verbliebenen gut 100 Brutpaare in Nordost-Deutschland bilden zugleich die Westgrenze der Verbreitung dieser fast ausschließlich in Europa brütenden Vogelart.
Handaufzucht zweitgeborener Schreiadler steigert Bruterfolg deutlich
Um die Population zu stützen, führt der NABU ein Programm zur Handaufzucht und Auswilderung zweitgeborener Schreiadler-Küken durch. Diese hätten ohne Hilfe keine Überlebenschance, da Schreiadler grundsätzlich nur eines von zwei Jungen aufziehen. Seit 2004 wurden so bereits 86 zusätzliche Jungadler in Brandenburg ausgewildert, 36 davon stammten aus der Region. 50 weitere wurden aus Lettland importiert, wo der Schreiadler noch in größerer Zahl vorkommt. Der Bruterfolg der Schreiadler Brandenburgs konnte so in diesem Zeitraum um über 70 Prozent erhöht werden.
Für das Forschungsprogramm konnte Bernd Meyburg – dank finanzieller Unterstützung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Deutsche Wildtierstiftung – für ein einzigartiges Orientierungsexperiment 15 lettische und acht brandenburgische Jungadler sowie neun brandenburgische Altvögel mit GPS-Satellitensendern ausstatten. Insbesondere sollte untersucht werden, ob die von ihrem Geburtsort um über 900 Kilometer nach Südwesten gebrachten lettischen Adler vielleicht eine andere, weniger geeignete Zugroute einschlagen würden als die heimischen Jungvögel aus Brandenburg. Wenn die lettischen Jungvögel durch die Umsiedlung im Nachteil wären, würde das den Erfolg des Aufzuchtprogramms schmälern.
Nur jeder zweite Jungadler erreicht Afrika
Es zeigte sich aber, dass die eingeschlagenen Zugwege nicht durch die Herkunft der Jungvögel, sondern durch das Abzugsdatum bestimmt werden. Diejenigen Jungadler, die deutlich vor den lokalen Altvögeln abzogen, flogen allgemein in südliche Richtungen und landeten meist im Mittelmeer. Die etwas später gleichzeitig mit Altvögeln aus der Region abziehenden Jungvögel flogen dagegen auf dem richtigen Zugweg Richtung Bosporus nach Südosten. Junge Schreiadler, gleichgültig ob aus Deutschland oder Lettland stammend, müssen die optimale Zugroute also von fremden älteren Adlern erlernen – im Gegensatz etwa zu vielen nachts ziehenden Kleinvögeln, denen die angeborene Zugrichtung und -länge zur Orientierung ausreichen. Insgesamt erreichten nur 55 Prozent der Jungvögel Afrika.
„Einsammeldienst“ entlang der Zugroute
„Die Chance bei südlichem Abzug auf erfahrene ziehende Altvögel aus westlichen Teilen des Verbreitungsgebietes zu treffen, ist bei osteuropäischen Schreiadlern groß“, erklärt Bernd Meyburg. „Anders sieht dies für Jungvögel am westlichen Rand des Verbreitungsgebietes in Deutschland aus: Sie haben nur ganz am Anfang ihres Zuges eine Chance, sich erfahrenen Schreiadlern anzuschließen, was ihre Überlebenschancen deutlich mindert. Gleichzeitig wissen wir nun, dass die aus Deutschland nach Südosten ziehenden Schreiadler als ‚Einsammeldienst‘ für östliche Jungvögel besonders wichtig sind – ein Grund mehr, sich für die verbliebenen Schreiadler am westlichen Rand des Verbreitungsgebiets in Deutschland einzusetzen.“
Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass die importierten lettischen Vögel die Auswilderungsregion und nicht den Geburtsort als Heimat betrachten. Einige der ausgewilderten Jungvögel konnten nämlich später als Brutvögel in Deutschland und im benachbarten Polen festgestellt werden. Ein ursprünglich aus Lettland stammendes Männchen besetzte sogar ein Revier in nur wenigen Kilometern Entfernung von der Auswilderungsstation. In Kenntnis der Studienergebnisse hat der NABU in diesem Jahr neben Jungvögeln aus Brandenburg auch acht Zweitküken aus Südost-Polen in das Auswilderungsprogramm aufnehmen.
Literaturangabe des Fachartikels: Meyburg, B.-U., Bergmanis, U., Langgemach, T., Graszynski, K., Hinz, A., Börner, I., Meyburg, C. and Vansteelant, W. M. G. (2017). Orientation of native versus translocated juvenile lesser spotted eagles (Clanga pomarina) on the first autumn migration. – Journal of Experimental Biology 220: 1-12. doi: 10.1242/jeb.148932 0.
Mehr zum Schreiadler
Der kleinste Adler Deutschlands droht auszusterben: Nur 130 Schreiadler-Paare brüten noch in Deutschland. Helfen Sie uns den Bruterfolg des kleinsten Adlers Deutschlands zu verdoppeln und seinen Lebensraum zu sichern. Mehr →
Der kleinste Adler Deutschlands im Portrait. Seine Lebensweise, Vorkommen und Gefährdung. Erfahren Sie mehr über den Adler, der nur in einem kleinen Gebiet im Nord-Osten Deutschlands vorkommt. Mehr →
Die Schreiadler machen sich jetzt auf den Weg in Ihr Winterquartier im südlichen Afrika. Vor ihnen liegt eine lange, gefahrliche Reise. Fünf der seltenen Greife wurden zu Forschungszwecken besendert. Folgen Sie ihnen auf unser interaktiven Karte! Mehr →
Schon lange ist der Schreiadler ein Sorgenkind des Naturschutzes. Jedes Jahr zählen die Experten weniger Brutpaare. Mittlerweile leben nur noch etwa 90 Paare des seltenen Adlers in Deutschland. Seit Jahren kämpft der NABU um die letzten Lebensräume der Tiere. Mehr →
Der kleinste Adler Deutschlands ist gefährdet. Er stellt hohe Ansprüche an seinen Lebensraum. Der Schreiadler benötigt ungestörte Wälder mit alten Bäumen zum Brüten und feuchte Wiesen und Waldränder für die Nahrungssuche. Mehr →