Der Zusammenarbeit die Grundlage entzogen
Ein Interview anlässlich des Volkswagen-Abgasskandals
06. Oktober 2015 - Seit 15 Jahren sind der NABU und Volkswagen Partner in Sachen nachhaltiger Mobilität und Naturschutz. Durch die Manipulation der Emissionswerte in Millionen von Autos hat VW einen schweren wirtschaftlichen Schaden und einen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten. Aber auch beim Kooperationspartner NABU ist das über Jahre aufgebaute Vertrauen erschüttert. Ob ein derartiger Vorfall die Philosophie des NABU, mit Unternehmen als einem wichtigen Teil der Gesellschaft in Kooperationen zusammenzuarbeiten, grundsätzlich in Frage stellt, beantwortet Dietmar Oeliger, Teamleiter Verkehrspolitik und stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltpolitik in der NABU-Bundesgeschäftsstelle:
Herr Oeliger, wie bewerten Sie den Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen-Diesel-Motoren?
Die von der US-Umweltbehörde EPA nachgewiesenen Manipulationen durch Volkswagen sind beschämend und haben unser Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des Konzerns stark erschüttert. Wir erwarten eine lückenlose Aufklärung des Sachverhalts. Es ist völlig inakzeptabel, dass geltende Umweltstandards durch technische Manipulationen umgangen wurden, während gleichzeitig VW die Parole ausgegeben hatte, bis 2018 „ökologischster Automobilkonzern weltweit“ werden zu wollen. Es geht hier nicht nur um Autos, die nicht halten, was sie versprechen; sondern um Schadstoffe, die Menschen und Umwelt stark beeinträchtigen.
Stellt der NABU nun auch in Sachen Unternehmenskooperationen die Gretchenfrage?
Seit Jahren prüfen NABU-Bundesgeschäftsstelle und NABU-Präsidium immer wieder, ob es Sinn macht, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. „Darf“ man das überhaupt: mit Unternehmen kooperieren, die die Umwelt durch ihre Produkte belasten? Wir glauben ja, sofern man sich und die inhaltlichen Positionen nicht verbiegen muss. Wir haben dazu sogar die NABU-Mitglieder befragt. Diese haben uns in unserem generellen Kurs unterstützt.
Uns war von Anfang an klar, dass es mit Unternehmen wie Volkswagen, Ikea oder REWE kritische Themen und Konflikte geben kann. Der jetzt bekannt gewordene Fall bei VW ist aber kein inhaltlicher Konflikt. Es ist vorsätzlicher Betrug einer Riege von Managern und Technikern innerhalb des VW-Konzerns. Betrug im Übrigen auch an Hunderttausenden von VW-Mitarbeitern und ganz besonders an jenen VW-Kollegen, mit denen wir zusammengearbeitet und die den Nachhaltigkeitsgedanken im Unternehmen stark gefördert haben.
Wie steht der NABU zu einer Fortsetzung der Kooperation?
Gegenwärtig stehen bei Volkswagen noch viele Fragen im Raum, die einer Antwort bedürfen. Fakt aber ist, dass die Kooperation mit Volkswagen Ende des Jahres 2015 ohnehin ausläuft. Wir haben sämtliche Gespräche für eine Fortsetzung ausgesetzt und alle Projekte auf Eis gelegt.
Grundforderungen des NABU an Volkswagen
1. Umweltverantwortlichkeit in Vorstand und Aufsichtsrat
Nicht nur der Vorstand, sondern auch der Aufsichtsrat muss sich regelmäßig mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen und das Thema Umwelt personell besetzen. Bereits im letzten Jahrtausend gab es einen Umweltvorstand im Volkswagen-Konzern. Ein Umwelt-Beauftragter reicht offensichtlich nicht aus.
2. Stärkung der Managementstrukturen im Bereich Nachhaltigkeit und Verantwortung
Es muss ein Konzept der betriebsinternen Kontrolle – gegebenenfalls unter externer Beteiligung – entwickelt werden, das derartige Gesetzesverstöße verhindert. Vor allem aber braucht Volkswagen endlich ein strategisches Nachhaltigkeitsmanagement, das wirkungsvoll in alle wichtigen Entscheidungsprozesse eingebunden ist. Außerdem sollte Volkswagen das Instrument des Stakeholderdialogs weit intensiver als bisher und ernsthaft nutzen, um gesellschaftliche Erwartungen möglichst frühzeitig zu erkennen und entsprechend umzusetzen. Gefragt sind nicht Lippenbekenntnisse, sondern eine gelebte Kultur der Nachhaltigkeit.
3. Grenzwerte ernst nehmen und Compliance stärken
Wir haben es nicht ausschließlich mit einem Problem der Stickoxidabweichung in den USA zu tun. Auch bei Fahrzeugen in Europa werden Werte massiv überschritten. Darüber hinaus ist bei direkteinspritzenden Benzinern (TSI) ein deutlich erhöhter Partikelausstoß im Fahrbetrieb gegenüber dem Prüfstand bekannt. Auch die theoretischen Verbrauchswerte und damit die Kohlendioxid-Grenzwerte werden in Wirklichkeit deutlich überschritten. Mit allen erdenklichen Tricks wird am Rande der Legalität oder darüber hinaus operiert.
Schließlich: Bei der Diskussion um ein neues Kältemittel setzt Volkswagen nicht konsequent auf die umweltfreundliche Technik auf Basis von Kohlendioxid, sondern auf das gefährliche und umweltschädlichere Kältemittel R1234yf der Firmen Honeywell und Dupont. Und dies, obwohl bekannt ist, dass Gefahren für Leib und Leben und für die Umwelt nicht ausgeschlossen werden können.
Volkswagen muss schnellstmöglich den Kurs korrigieren und sowohl Partikelfilter in TSI-Motoren einbauen, als auch konsequent auf CO2 als Kältemittel setzen. Damit könnte verloren gegangenes Vertrauen ein Stück weit wieder hergestellt werden.
Warum hat der NABU die Kooperation nicht durch eine sofortige Kündigung beendet?
Eine Kündigung hätte nur symbolischen Charakter und würde an der Laufzeit der Kooperation nichts mehr ändern. Wir haben stattdessen eine Reihe von Forderungen an VW formuliert. Mit diesen Forderungen wollen wir Änderungen im Unternehmen anstoßen. Ohne diese Änderungen kann es keine weitere Zusammenarbeit geben, falls das überhaupt noch möglich sein sollte. Die lückenlose Aufklärung des Skandals sowie eine deutliche Stärkung der Managementstrukturen im Bereich Nachhaltigkeit und Verantwortung sind Grundvoraussetzungen, um weiter mit der Volkswagen AG im Dialog bleiben zu können.
Ich glaube aber auch, dass dieser Skandal sehr viel Positives in Gang setzen kann. Wir erleben es ja leider immer wieder, dass es erst einmal richtig knallen muss, bevor sich etwas ändert. Seit Jahren kämpfen wir in Deutschland und Europa für ein neues Abgas-Testverfahren für Autos und die strenge Einhaltung von Grenzwerten. Da kommt jetzt richtig Bewegung rein.
Geht das überhaupt: Gleichzeitig kooperieren und für strenge Umweltgesetze für die Autoindustrie kämpfen?
Unsere Glaubwürdigkeit speist sich aus unserem Handeln; nicht daraus, mit wem wir sprechen oder zusammenarbeiten. Problematisch würde es, wenn der NABU zum Beispiel eine seiner Positionen oder eine Pressemitteilung abänderte, weil VW uns darum bittet oder weil wir das Gefühl haben könnten, dies VW schuldig zu sein. Dazu lassen wir es aber nicht kommen, der NABU steht immer glasklar auf der Seite der Umwelt. Der NABU hat zudem immer wieder Konzepte zum Thema zukunftsfähiger Verkehr – insbesondere in Städten – zu Papier gebracht, aus denen hervorgeht, dass wir die Anzahl der Autos bis 2050 deutlich reduzieren müssen und im Übrigen auch können, ohne die Mobilität einzuschränken.
Haben Sie mit der Kooperation im Kerngeschäft von Volkswagen jemals etwas erreicht?
Zum Beispiel hat sich Volkswagen als erster Hersteller zu den neuen Kohlendioxid-Grenzwerten bekannt, die ab 2020 gelten. Die Initiative bei VW ging damals vom NABU aus, der dies im Hintergrund mit VW-Mitarbeitern auf den Weg gebracht hat. Auch das Ziel, Umweltvorreiter zu werden, haben wir mit initiiert. Dieses Ziel ist aus Glaubwürdigkeitsgründen für VW jetzt wichtiger denn je.
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