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Jetzt NABU-Mitglied werden!Wildvögel zu Unrecht unter Verdacht
Vogelgrippe: Analyse der Erkenntnisse zum aktuellen Ausbruch
19. Dezember 2014 -
Bisher wurden in Deutschland, England und den Niederlanden acht Ausbrüche festgestellt, jeweils in sehr großen gut gesicherten intensiven Puten-, Hühner- oder Entenhaltungen. Nach eingehender Analyse verfügbarer Informationen und Publikationen über die Entwicklungen in den vergangenen Wochen kommt der NABU zur klaren Schlussfolgerung, dass die von verantwortlichen Behörden angeführte und in vielen Medien unkritisch übernommene Hypothese einer Einschleppung des Virus durch Wildvögel nach Europa nicht haltbar ist. Sehr wahrscheinlich ist dagegen der Eintrag des Virus über internationale Warenströme der Geflügelwirtschaft, insbesondere da einige der betroffenen Haltungen offensichtlich Handelsbeziehungen auch nach Südkorea pflegen.
Eine Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die Wildvogel-Hypothese ist gefährlich, da dies davon ablenkt, die wahren Übertragungswege zu identifizieren und zu unterbinden. Zudem besteht die Gefahr, dass bestimmte Kreise diese Hypothese als Argument für eine verstärkte Bejagung von Wildvögeln missbrauchen. Verweise auf Wildvögel als wahrscheinliche Überträger der Vogelgrippe erscheinen vor diesem Hintergrund eher als interessengeleitete Versuche, ernsthafte Konsequenzen für die Geflügelindustrie zu umgehen oder als Versuch eine einfache Erklärung für ein komplexes Problem zu liefern.
Bisher wurde das H5N8-Virus bei tausenden von Proben in Europa nur dreimal in Wildvögeln nachgewiesen: Mitte November in einer abgeschossenen Krickente auf Rügen und Anfang Dezember in zwei Kotproben von Pfeifenten in den Niederlanden. In beiden Fällen erfolgte der Nachweis einige Zeit nach Ausbrüchen des Virus in nahegelegenen Geflügelhaltungen, was nahelegt, dass sich die Vögel dort angesteckt haben und nicht umgekehrt. Da zum Beispiel Geflügelkot als Dünger auf Feldern ausgebracht wird, ist eine Ansteckung von Wildenten, die dort häufig Nahrung suchen, leicht denkbar.
Als Hauptargument für die „Wildvogel-Hypothese“ wird angeführt, dass Wildvögel, die in Ostasien überwintern, bei der Rückkehr in ihr sibirisches Brutgebiet mit Vögeln in Kontakt kommen, die in Europa überwintern. Dies allein reicht als Beweis jedoch nicht aus. Trotz intensiver Beprobung wurde das Virus vor den Ausbrüchen in Europa niemals in Wildvögeln außerhalb Ostasiens gefunden. In Südkorea hatte es im vergangenen Winter jedoch durch H5N8 größere Massensterben unter wilden Enten und Gänsen gegeben – jeweils nach Ausbrüchen in nahegelegenen Geflügelhaltungen. Würden Wildvögel das Virus weit verbreiten, hätte es auch außerhalb Koreas tote Wildvögel geben müssen. Auch Geflügelhaltungen in Sibirien, dem restlichen Asien oder Osteuropa waren nie betroffen. Hinzu kommt, dass infizierte Wildvögel nur wenige Tage lang ansteckend sind, in denen sie zudem wahrscheinlich geschwächt sind. Dass diese Vögel in dieser Zeit non-stop bis nach Europa fliegen, um dort das Virus zu verbreiten, ist unmöglich. Eine kaskadenartige Übertragung mit mehreren Zwischenstationen würde länger als nur eine Saison dauern und sich außerdem durch weitere Ausbrüche auf dem Ausbreitungsweg bemerkbar machen.
Auch ein neuer noch nicht bestätigter Ausbruch des Virus in einer Geflügelfarm in Italien wird laut Medienberichten durch Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt mit Zugvögeln erklärt, die Italien auf dem Weg nach Afrika überqueren. Dazu stellt der NABU fest, dass die im Verdacht stehenden Wasservogelarten (Schwäne, Gänse, Enten) keineswegs im November oder Dezember von der Nord- und Ostseeküste nach Italien oder gar nach Afrika ziehen.
Die Tatsache, dass das Virus bisher ausschließlich in geschlossenen Großhaltungen auftritt, aber noch niemals in artgerechteren Freilandhaltungen, die eher Kontakt mit Wildvögeln haben könnten, spricht auch eindeutig gegen eine Verbreitung des Virus durch Wildvögel.
Wildvögel können das Virus allerhöchstens in einem kurzen Zeitraum nach einem Ausbruch in der näheren Umgebung verbreiten. Die gerne als öffentlichkeitswirksame Maßnahme angeordnete allgemeinen Stallpflicht für Geflügel macht daher höchstens in der näheren Umgebung von Ausbrüchen Sinn. Wesentlich wichtiger ist es jedoch die betroffenen Großbetriebe und deren Transportwege biologisch abzuriegeln.
In Bezug auf das nun geforderte sogenannte „aktive Wildvogelmonitoring“, also das Beproben speziell für diesen Zweck geschossener Wildvögel, stellt der NABU fest: Kein Vogel darf abgeschossen werden, der nicht ohnehin in seiner Jagdzeit jagdbar wäre. Für Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss außerhalb der Jagdzeiten oder für geschützte Arten gibt es keinen hinreichenden Verdacht und damit keinen Grund. Stattdessen müsste in Risikogebieten nach Virusausbrüchen im Gegenteil die Jagd komplett eingestellt werden, um zu verhindern, dass die beunruhigten Vögel größere Ortsveränderungen vornehmen und damit die Gefahr zur lokalen Verbreitung des Virus durch Wildvögel steigt.
Der NABU fordert, dass alle Anstrengungen unternommen werden, die genauen Infektionswege der betroffenen Massentierhaltungen zu identifizieren, um diese in Zukunft ausschalten zu können. Besondere Anstrengungen müssen unternommen werden, die Waren- und Materialströme der betroffenen Betriebe (Küken, Bruteier, Futtermittel, Abluft und Abfallstoffe, Transporte zu Schlachthöfen) zu untersuchen, um mögliche Quellen für einen Eintrag der Viren in die Betriebe, aber insbesondere auch mögliche Quellen für einen Austrag in die Umgebung und damit für die Ansteckung von Wildvögeln zu identifizieren, etwa durch Futtermittelreste, Abwässer oder Mist aus den Massentierhaltungen. Dabei sollten auch mögliche illegale Praktiken in Betracht gezogen werden.
Wildvögel müssen vor Ansteckungen durch die Geflügelwirtschaft geschützt werden. Der Sommer 2007 ist noch in Erinnerung, als 285 von rund 450 auf dem Stausee Kelbra in Thüringen lebende Schwarzhalstaucher durch eine H5N1-Infektion umkamen. Daher sind strikte Bio-Sicherheitsmaßnahmen für alle industriellen Nutzgeflügelbetriebe umzusetzen, wie geeignete Abluftanlagen, geordnete Entsorgung von Abfallstoffen und Abwässern, sowie der obligatorische Transport von Tieren in geschlossenen LKW. Entsprechende Betriebe dürfen in Zukunft nicht mehr in Konzentrationsgebieten von Wildvögeln genehmigt werden. Transporte zu Schlachthöfen dürfen nicht mehr in der Nähe von wasservogelreichen Feuchtgebieten entlanggeführt werden. Außerdem sollten Personen, die Kontakt mit Geflügelbetrieben haben, derzeit auf keinen Fall jagdlichen Aktivitäten nachgehen, um eine Übertragung des Virus auf Wildvögel zu verhindern.
Gleichzeitig erscheint es vor dem Hintergrund derzeitiger Erkenntnisse nicht zielführend, eine generelle Aufstallungspflicht auch von kleinen Freilandhaltungen zu fordern. Statt den Kontakt von Hühnern, Enten und Gänsen aus diesen Haltungen mit Wildvögeln zu verhindern, sollte dafür gesorgt werden, dass sie keinen Kontakt mit industriellen Mastanlagen und deren Produkten haben können. Das durch die Massentierhaltung entstandene Problem der geringen Krankheitsresistenz, darf nicht zu Lasten der Betriebe gelöst werden, die Nutzgeflügel unter artgerechteren Bedingungen halten.
Erneuter Ausbruch der Vogelgrippe
Einschleppung durch Wildvögel unwahrscheinlich
19. November 2014 -
In den vergangenen Tagen wurde ein hochpathogener Geflügelpest-Virus, auch häufig als „Vogelgrippe“ bezeichnet, in je einem industriellen Geflügelhaltungsbetrieb in Mecklenburg-Vorpommern, den Niederlanden und Großbritannien festgestellt. In den ersten beiden Fällen handelt es sich um den Virus-Stamm H5N8, der bisher nur in Ostasien, vor allem in Südkorea verbreitet war. Für den Fall in Großbritannien steht die genaue Bestätigung des Stammes noch aus.
Das erneute Auftreten der Vogelgrippe in Deutschland weckt Erinnerungen an den ersten Ausbruch ab Februar 2006, der damals vom Erreger-Stamm H5N1 verursacht wurde. Damals wie heute wurden sehr schnell wilde Zugvögel als wahrscheinliche Überträger des Virus beschuldigt. Die aktuellen Umstände der Ausbrüche in den drei europäischen Geflügelmastanlagen lassen diesen Übertragungsweg nach Überzeugung des NABU als extrem unwahrscheinlich erscheinen. Auch nach dem Ausbruch 2006 setzte sich unter Experten die Erkenntnis durch, dass die weltweite Verbreitung des Virus kaum durch Wildvögel verursacht werden konnte.
Die Welternährungsorganisation FAO hat bereits 2007 mit fortdauernder Gültigkeit gemäß aktuellem Forschungsstand festgestellt: „Viele Virologen glauben, dass sich das Virus (Anm. d. Red.: damals H5N1) durch die Aktivitäten der Geflügelzucht- und ‑produktion entwickelte und dann auf Wildvögel übersprang. […] Zwar kann ein Eintrag durch Wildvögel nicht ausgeschlossen werden, aber eine etabliertere Erklärung sind Importe von Geflügel und kontaminierte Schalen und Transportkisten von Bruteiern sowie die Verbreitung durch Arbeiter und Geräte.“
Auch das Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Deutschlands Bundesforschungsanstalt für Tiergesundheit, schreibt in seiner Broschüre zu hochpathogenen Vogelgrippe-Viren (HPAI): "Die Verbreitung auf andere Bestände erfolgt durch den Tierhandel oder indirekt durch kontaminierte (verunreinigte) Fahrzeuge, Personen, Geräte, Verpackungsmaterial oder Ähnliches. […] In seltenen Fällen können Geflügelpesterreger auch aus zunächst nur gering pathogenen Viren entstehen, die bei Wildvögeln, insbesondere Wasservögeln, weltweit verbreitet sind. Nach Übertragung von gering pathogenen Influenzaviren des Subtyps H5 oder H7 auf Hausgeflügel kann das Virus durch Veränderung seines Erbgutes die krankmachenden Eigenschaften sprunghaft steigern und zum Ausbruch der Geflügelpest führen."
Dennoch zitiert die Presse im aktuellen Fall das FLI mit der Aussage, die Übertragung von H5N8 durch einen Wildvögel könnte zu dem Infektionsherd in Mecklenburg-Vorpommern geführt haben. Auch die Europäische Kommission verweist in einer Pressemitteilung vom 17.11. auf Wildvögel, konkret auf wilde Schwäne, als offensichtliche Überträger. Als einzige Hinweise für diesen Verdacht werden erwähnt, dass sich alle drei Fälle in der Nähe von Feuchtgebieten ereignet haben und es bisher keine Hinweise auf andere Verbindungen zwischen den drei genannten Haltungen gebe.
Dazu stellt der NABU fest, dass es keine direkten Vogelzugwege zwischen Ostasien (China, Südkorea) und Westeuropa gibt. Es ist also nicht möglich, dass ein mit einer hochpathogenen Virus-Form infizierter Vogel direkt von dort nach Europa geflogen ist. Theoretisch denkbar wäre es, dass infizierte Wildvögel sich an Kreuzungen des Vogelzugs gegenseitig anstecken könnten. Auf diese Weise könnte das Virus über mehrere Zwischenstationen nach Europa gelangen. In diesem Fall müsste es aber Vogelgrippe-Ausbrüche an Konzentrationspunkten des Vogelzugs zwischen Ostasien und Westeuropa geben. Darauf gibt es jedoch in diesem Fall keinerlei Hinweise.
Die Erfahrung des Ausbruchs von 2006 hatte auch gezeigt, dass das hochpathogene H5N1-Virus nur in toten Wildvögeln, niemals aber in zahlreichen getesteten lebenden Wildvögeln nachgewiesen wurde. Damit ist es unmöglich, dass ein infizierter Wildvogel vor seinem Tod noch weite Strecken zurücklegen kann und das Virus über große Distanzen verschleppen kann.
Tatsache ist andererseits: Bruteier und Eintagsküken reisen weltweit um ein Tausendfaches häufiger herum als Zugvögel und haben weitaus besseren Zugang zu Ställen als Wildvögel. Es liegt daher auf der Hand, dass auch in diesem Fall die Ursachen für das Auftreten des H5N8-Virus eher bei den Praktiken und Warenströmen der modernen Geflügelhaltung zu suchen sind als bei ziehenden Wildvögeln.
Hier finden Naturfreunde Informationen zur Vogelgrippe aus Sicht des Naturschutzes. Der NABU bemüht sich, den jeweils aktuellsten Wissensstand wiederzugeben, kann aber für die Angaben keine Gewähr übernehmen. Mehr →
Auch außerhalb der von der Vogelgrippe direkt betroffenen Regionen stellen sich viele Fragen zum Umgang mit möglicherweise infizierten Tieren. Der NABU hat für sie die wichtigsten Antworten zusammengetragen. Mehr →