Die grüne Viper ist eine baumlebende Grubenotter. - Foto: Annika Natus
Das Fest der Frösche
Eine nächtliche Exkursion in den Regenwald auf Sumatra


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Flugfrosch - Foto: Annika Natus
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...Und es werden immer wieder neue Arten entdeckt! - Foto: Annika Natus
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Bislang ist nur ein Bruchteil der Vielfalt an Wirbellosen im Harapan-Regenwald erforscht. - Foto: Annika Natus
Es ist kurz nach Mitternacht, und außer unserem siebenköpfigen Team befindet sich kilometerweit keine Menschenseele, hier, inmitten des indonesischen Dschungels. „Ab jetzt kann alles passieren!“, sagt André Jankowski, rückt seine Stirnlampe zurecht, biegt eine Liane zur Seite und schon wird er mitsamt Lichtstrahl vom Dickicht verschluckt. Unsere heutige Mission ist nicht ungefährlich: Wir befinden uns im Herzen des Harapan-Regenwaldes, einer der letzten noch verbliebenen Tieflandregenwälder auf Sumatra, für dessen Schutz sich der NABU seit Jahren engagiert. Um beste Bedingungen für unser Vorhaben zu finden, haben wir uns weit vom Camp mit der Forschungsstation entfernt, über unbefestigte Straßen und Schlammpisten. Denn André, der hier für seine Promotion an der Universität Hamburg in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt seit etwa anderthalb Jahren die Amphibien und Reptilien des Regenwaldes erforscht, kennt einen Geheimtipp.
Im Jagdgebiet des Tigers
Umgeben von Morast und Unterholz hat Andrés indonesischer Exkursionsbegleiter Musadat ein Gebiet mit vielen kleinen Tümpeln entdeckt – ein Paradies für Frösche und Schlangen, besonders an diesem Tag, denn es hat seit der Abenddämmerung ohne Unterlass geregnet. Wir erwarten ein Fest der Frösche, ihr Konzert haben sie schon angestimmt. Es quakt und flötet vom Boden, aus der Krautschicht, bis von weit oben aus den Baumwipfeln. Was ab jetzt noch alles passieren kann, hat uns das Harapan-Team zuvor noch einmal eingeschärft: eine Begegnung mit einem Sumatra-Tiger oder einem Malayenbär. Nicht unwahrscheinlich, denn für beide ist hier ein bekanntes Jagdgebiet. Doch im Harapan-Wald, wo sie noch ausreichend Nahrung vorfinden, ist die Gefahr für uns recht gering – Konflikte zwischen Tigern und Menschen gab es hier bislang auch noch nicht, da die Tiger noch ausreichend Möglichkeiten finden, sich zu verstecken.
Der „Glücksfall“ aus den Baumwipfeln
Was sonst noch passieren kann? Begegnungen mit Königskobras, Grubenottern und anderen Schlangen. Tom Kirschey, NABU-Referent für Internationalen Biodiversitäts- und Klimaschutz, kann seine Vorfreude nicht verbergen. In Deutschland hat er Amphibien erforscht – aber im Vergleich zu den 21 deutschen Froscharten sind die mehr als 120 Froscharten, die allein auf Sumatra nachgewiesen sind, eine wahre Schatzgrube. Zumal in den letzten Jahren immer noch weitere, der Wissenschaft bisher unbekannte Arten entdeckt wurden. André ist Ökologe, der funktionelle Diversitätsaspekte des Waldes anhand von Amphibien und Reptiliengemeinschaften untersucht. Dafür interessieren ihn unter anderem die Mikrohabitate dieser Tiere, also ob eine Art im Astwerk, am Boden oder ganz oben in den Baumkronen lebt. Erst kürzlich fiel den Harapan-Rangern durch einen Zufall eine bislang noch nicht nachgewiesene Flugfroschart fast in den Schoß. Flugfrösche haben Schwimmhäute zwischen Zehen und Fingern und leben normalerweise nur in den Wipfeln der alten Baumriesen. Sie können sich zwischen den Bäumen im Gleitflug fortbewegen, ohne den am Boden lebenden Fressfeinden ausgesetzt zu sein. Der überraschende Neufund belegt einmal mehr, welche ungeahnte Artenvielfalt der Harapan-Regenwald birgt.
Begegnung mit der grünen Viper
Schon nach wenigen Minuten unserer nächtlichen Tour liefert der Wald uns auch einen solchen Beweis und Tom Kirschey die ersehnte Begegnung mit den noch kaum erforschten Schlangen Harapans: „Hagen’s Grubenotter“ heißt die Art, ist mindestens 1,50 Meter lang, grün, mit roter Schwanzspitze und schlängelt sich um einen Ast in Kopfhöhe. „Immer einen Abstand halten, der mindestens der Länge der Schlange entspricht“, hatte André vor der Tour geraten. Schlangen fliehen, wenn man sich ihnen nähert, und beißen nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Wir wahren also einen Sicherheitsabstand, und André bringt die Schlange mit einem speziellen Schlangenhaken behutsam in eine fotogene Position. Es ist erst das dritte Mal, dass er dieser Art in Harapan begegnet, und so ist unser aller Entdeckerfreude groß. Die baumlebende Grubenotter verfügt über Wärmesensoren, mit denen sie in völliger Dunkelheit räumlich Kleintiere mit Körpertemperatur aufspüren kann. Ihr Nervengift wirkt in Sekunden. So lassen wir sie denn nach einigen Fotos auch wieder ihres Weges ziehen.
Wie erforscht man Frösche?
Der Wald hält in dieser Nacht viele weitere Entdeckungen für uns bereit. André und Musadat kennen die Froscharten in Harapan bestens und haben gemeinsam bereits mehr als 22 zuvor im Gebiet unbekannte Arten registriert. In den vergangenen Monaten hat André Musadat zum Spezialisten für Reptilien und Amphibien ausgebildet, der auch mit dem Forschungsequipment fachgerecht umzugehen weiß. Immer in ihrem Gepäck haben sie bei ihren Touren nach Mitternacht außer Stirnlampen und dutzenden Plastikbeuteln stets Eppendorff-Gefäße für Zellproben, einen Rekorder für die Rufaufnahmen und ein Notizbuch. Arten, die André im Labor näher bestimmen oder untersuchen möchte, werden sorgsam in Beutel verpackt, die mit ausreichend Luft einem kleinen Terrarium gleichen und beschriftet werden. So kann später genau nachvollzogen werden, in welchem Habitat-Typ, auf welchem Substrat, bei welcher Witterung und zu welcher Nachtstunde das Tier gefunden wurde. Der unablässige Regen in dieser Nacht beschert uns am Ende dieser Exkursion die stolze Zahl von 22 Amphibienarten. Bei zweien hiervon könnte es sich um bislang unbeschriebene Arten handeln, denn sie unterscheiden sich in Färbung, Ruf und Mikrohabitat deutlich gegenüber ihren Verwandten in anderen untersuchten Waldresten auf Sumatra.
Was uns die Amphibien erzählen
Amphibien sind die global am stärksten gefährdete Wirbeltiergruppe und aufgrund ihrer Sensitivität gegenüber sich verändernden Umweltbedingungen gute Bioindikatoren dafür, wie rapide die Funktionsfähigkeit unserer Ökosysteme schwindet. Für André Jankowski ist es ein Wettlauf mit der Zeit, denn von den meisten Amphibienarten auf Sumatra weiß man noch wenig – zum Beispiel nicht, wie die Kaulquappe aussieht, wie die Art ruft (Amphibienrufe sind artspezifisch) oder welche Mikrohabitate die unterschiedlichen Arten zum Überleben brauchen. André trägt diese Informationen akribisch zusammen in der Hoffnung, dass er damit nicht Informationen über Arten sammelt, die vielleicht schon in naher Zukunft ausgestorben sein könnten.
Froschkonzert in der Nacht
Der Wald als letzte Zuflucht
Harapan ist ein indonesisches Wort und bedeutet Hoffnung. Der „Wald der Hoffnung“ ist inzwischen eine Insel in einem Meer von Ölpalmen-Plantagen auf Sumatra und somit einer der letzten Orte, an dem viele Arten Zuflucht finden. Das gilt natürlich nicht nur für die bisher 46 Amphibienarten in dem etwa 100.000 Hektar großen Wald, sondern auch für die über 60 bisher beschriebenen Säugetierarten. Unter ihnen lebt eine Art, von der es weltweit in Freiheit nur noch 300 bis 400 Tiere gibt, der Sumatra-Tiger. 22 von ihnen leben im Harapan-Wald, weil die Lebensräume in der Umgebung rapide schwinden.
Dank eines von der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des Bundesumweltministeriums (BMUB) geförderten Wald- und Klimaschutzprojektes ist es gelungen, den Harapan-Regenwald seit fünf Jahren als Refugium für diese Artenvielfalt und als grüne Lunge unseres Planeten zu erhalten. Die Zukunft dieses Waldes liegt nun in den Händen von uns allen.
Indonesien zählt zu den artenreichsten Ländern der Erde. Doch Abholzung und Übernutzung setzen dessen Natur zu, gefährden Lebensgrundlagen und treiben die Klimakrise voran. Deshalb ist der NABU für den Schutz von Meeren, Küsten und Wäldern in Indonesien aktiv. Mehr →
Das NABU-Klimaschutzprojekt „Harapan“ - auf deutsch Hoffnung - auf der Insel Sumatra ist beendet, und das mit beachtlichem Erfolg. Es gilt heute als Leuchtturm-Vorhaben im Tropenwaldschutz. Mehr →