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Die Umweltbilanz der Großen Koalition
von Jörg-Andreas Krüger
Ende September wird ein neuer Bundestag gewählt. Nachdem sich die Hektik der letzten hitzigen Auseinandersetzungen gelegt hat, kann nun eine Umweltbilanz der Großen Koalition gezogen werden.
Die Startbedingungen für eine gute Umweltpolitik waren denkbar schlecht. Keine der drei Regierungsparteien wollte die Große Koalition und gemeinsame Ziele in der Umweltpolitik waren kaum in Sicht. Die Umweltpolitik hat dann – zur Überraschung vieler – für den einen oder anderen Glanzpunkt gesorgt; der Kampf gegen den Klimawandel, für eine neue Energiepolitik und für das Umweltgesetzbuch prägten weite Teile der Regierungsjahre. Dass diese Kämpfe nicht vollständig gewonnen werden konnten, vor allem aber wie und warum sie verloren wurden, zählt sicherlich zu den Enttäuschungen der letzten vier Jahre.
Als Tiger gesprungen
Im November 2005 fanden sich mit dem einheitlichen Umweltgesetzbuch und der Förderung von Energieeffizienz, Gebäudesanierung und Dieselrußfiltern mehr positive Punkte im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD als erwartet. Und es wurde auch konkret: Der Verkauf von 125.000 Hektar wertvoller Naturschutzflächen aus dem Besitz des Bundes wurde gestoppt. Sie sollen zur Sicherung des „Nationalen Naturerbes“ unentgeltlich an die Bundesländer und an Stiftungen übertragen werden.
Die Bilanz nach den ersten 100 Tagen ließ dann schon an einigen Punkten zu wünschen übrig. Nur wenige der wichtigen Gesetzgebungsvorhaben waren erkennbar begonnen worden, und im Rahmen der Föderalismusreform zeichneten sich deutlich Fehlentwicklungen ab. So endete das erste Regierungsjahr mit viel unproduktivem Streit über Atompolitik und die steuerliche Förderung für Rußfilter.
Internationaler Glanz
Richtig in Fahrt kam die Umweltpolitik zu Beginn des Jahres 2007. Deutschland übernahm die EU-Ratspräsidentschaft und die der G8. Die Regierungskoalition musste sich nun international beweisen. Im April präsentierte dann der Weltklimarat sein neues Gutachten zum Klimawandel. Die klare Botschaft lautete: Der Klimawandel findet bereits jetzt statt und wird sich nur begrenzen lassen, wenn die Industrienationen ihren CO2-Ausstoß deutlich reduzieren.
Die Regierung nutzte die deutsche Doppelpräsidentschaft und machte den Klimawandel international zum Thema. Auch daheim wurde gearbeitet. Im August 2007 wurden die Eckpunkte eines „Integrierten Energie- und Klimaprogramms“ vom Kabinett beschlossen. Mit 29 Einzelgesetzen sollte eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 37 Prozent bis zum Jahr 2020 erreicht werden. Anfang 2008 startete dann die Klimaschutzinitiative, in deren Rahmen jährlich mehr als 400 Millionen Euro Fördermittel vergeben werden.
Im November 2007 wurde auch im Naturschutz nachgelegt und die Nationale Biodiversitätsstrategie vom Kabinett verabschiedet. Eine internationale Führungsrolle übernahm die Bundesregierung im Mai 2008 als Gastgeber der Bonner Weltnaturschutzkonferenz. Der intensiven deutschen Arbeit ist es zu verdanken, dass die Konferenz nicht scheiterte und den Weg für den künftigen Schutz und die Nutzung der biologischen Vielfalt offen bleibt.
Elend daheim
Mit der Weltnaturschutzkonferenz endeten die international starke Präsenz und die guten Ergebnisse der Regierungsarbeit. Daheim warteten ungelöste Probleme zuhauf. Zuallererst ging es dabei um das Umweltgesetzbuch. Das Großprojekt war 2007 begonnen und dann langsam, aber sicher zwischen Landwirtschafts- und Industrielobbyisten, Bundesländern und Bundesregierung zerrieben worden. Bereits in den ersten Entwürfen wurden mehr und mehr Standards des Natur- und Umweltschutzes abgesenkt. Auch die Umsetzung der vielen Maßnahmen aus dem „Integrierten Energie-und Klimaprogramm“ kam nur schleppend voran. Überall formierten sich Widerstände und Besitzstandswahrer.
Das dicke Ende der Vierjahresreise kam dann ganz zum Schluss. Mit der Wirtschaftskrise rückten Natur- und Umweltschutz weiter in den Hintergrund. Nichts schien den Koalitionären noch eine Einigung wert. Nach monatelangem Streit scheiterte mit dem Umweltgesetzbuch das große Reformvorhaben der Koalition im März 2009 letztlich an der CSU. Und nur auf den allerletzten Drücker passierte das aus dem Umweltgesetzbuch-Entwurf rasch ausgekoppelte Bundesnaturschutzgesetz den Bundestag.
Auf der Strecke blieben auch wichtige Gesetzesvorhaben zur Waldbewirtschaftung und zum Klimaschutz. Folgerichtig wurde in den beiden milliardenschweren Konjunkturpaketen vorrangig auf altbewährte Rezepte zurückgegriffen. Statt effizienter Technologien wird Infrastruktur gefördert, und statt Bahn und Schiff der Autoverkehr. Werden die fehlinvestierten Autoabwrackmilliarden mit eingerechnet, so liegt der Umweltanteil der Konjunkturpakete bei bescheidenen elf Prozent.
Zum Schluss auf der Bremse
Mittelprächtig verlief dann insbesondere die Umsetzung der eigenen Ziele in Klimaschutz, Energiepolitik und im Naturschutz. Die Regierung orientierte sich nach und nach immer mehr um, vom Notwendigen zum angeblich Machbaren. In der Endphase der Legislaturperiode verhinderten insbesondere Politiker aus CDU und CSU immer wieder die Umsetzung ambitionierter Umweltziele. In vielen Fällen war dabei nicht nur das Endergebnis der Debatten, sondern auch die Qualität der Diskussion wirklich ärgerlich.
Im September haben wir alle als Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass in den nächsten vier Jahren die notwendigen Entscheidungen zum Klima- und Naturschutz getroffen werden. Nutzen wir sie!
Kurz gefasst: plus und minus
Pluspunkte
- Die Koalition beschließt die kostenlose Übertragung von 100.000 Hektar wertvoller Naturschutzflächen aus dem Bundesbesitz an die Bundesländer, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und an andere Naturschutzstiftungen.
- In rund 330 Zielen und 430 Maßnahmen beschreibt die Bundesregierung in der „Nationalen Strategie über die biologische Vielfalt“, wie die biologische Vielfalt in Deutschland wirkungsvoll geschützt werden soll. Weitgehend ungeklärt bleibt allerdings, wer die Strategie umsetzt und wer dafür zahlt.
- Der globale Klimaschutz und eine zukunftsfähige Energiepolitik sind die Inhalte des „Integrierten Klima- und Energieprogramms“ (IEKP), das die Bundesregierung im Sommer 2007 auf den Weg bringt. Ziel ist es, den deutschen Kohlendioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken.
- Die Nachrüstung von Diesel-Pkw mit Rußfiltern wird steuerlich gefördert.
- Erste Zertifikate für den Ausstoß von CO2 werden an Industriebetriebe versteigert. Beschlossen wird, die Einnahmen zum Teil zweckgebunden für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel einzusetzen.
- Der Zeitplan zum Ausstieg aus der Atomkraft bleibt bestehen und der Ausbau erneuerbarer Energien wird weiter gefördert. Ziel ist es, ihren Anteil bis 2020 auf 30 Prozent zu erhöhen.
- Aus dem gescheiterten Umweltgesetzbuch wird die Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes ausgekoppelt und im Juni 2009 beschlossen. Das Gesetz regelt künftig auch die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, von denen einzelne Bundesländer nicht abweichen können.
Minuspunkte
- Mit der Föderalismusreform erhalten die Bundesländer weitgehende Abweichungsrechte vom bundeseinheitlichen Naturschutz-, Wasser-, und Jagdrecht. Ab 2010 droht eine Zersplitterung in 16 unterschiedliche Landesgesetzgebungen.
- Bei einer Überarbeitung des Bundesnaturschutzgesetzes verlieren mehr als 2000 Tier- und Pflanzenarten ihren besonderen rechtlichen Schutz.
- Das Umweltgesetzbuch, in dem alle umweltrelevanten Vorschriften gebündelt werden sollten, scheitert endgültig.
- In der Europäischen Union betätigt sich Deutschland als Bremser: ob beim Bodenschutz, der Ausweitung des Verbraucherschutzes oder der Reduzierung von Emissionen aus dem Straßenverkehr.
- Die Umsetzung der europäischen Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie erfolgt unvollständig, so dass den Bürgern der Zugang zur Beteiligung an Planfeststellungsverfahren verwehrt wird.
- Die Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung läuft aus dem Ruder. National führt der geförderte Boom bei Biogasanlagen zu großflächigem Grünlandumbruch und zu mehr Maismonokulturen. International bleiben die Kriterien für nachhaltig produzierte Agro-Kraftstoffe undefiniert, Biosprit in deutschen Tanks ist weiter eng mit Naturzerstörung in anderen Ländern verbunden.
- Stillstand und Ideenlosigkeit kennzeichnen die Landwirtschaftspolitik. Die Förderung des ökologischen Landbaus wird eingestellt und ökologisch wertvolle Stilllegungsflächen drastisch reduziert.
- In einem Staatsvertrag mit Dänemark wird dem Bau der Fehmarnbeltbrücke zwischen Fehmarn und Lolland zugestimmt. Der NABU hat vehement vor den ökologischen und ökonomischen Risiken der Brücke gewarnt und wird alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, das Bauwerk noch zu verhindern.