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Jetzt NABU-Mitglied werden!Milliarden-Invasion im Flatterflug
Deutschlandweite Massen-Einwanderung der Distelfalter
19. Mai 2009 - Ob Millionen-Verluste oder Milliarden-Subventionen: In Zeiten der Banken- und Wirtschaftskrise sind große Zahlen stets mit einem dicken Minus versehen. In der Natur gibt es die Milliarden aber auch mit positivem Vorzeichen. Ein beeindruckendes Beispiel liefert der Distelfalter, der momentan in riesigen Mengen Deutschland und weite Teile Europas durchwandert.
Zwar sind Distelfalter für ihre weiten Wanderungen bekannt, doch in diesem Frühjahr kommen selbst erfahrene Naturbeobachter aus dem Staunen nicht mehr heraus. Als Ende April die ersten der schwarz-weiß-rotorangen Schmetterlinge in Baden auftauchten, schien alles noch im normalen Rahmen. Doch ab dem 10 Mai wurden die von Süden herein flatternden Trupps immer größer.
Kurzporträt Distelfalter
Distelfalter erreichen eine Spannweite von 50 bis 65 Millimetern und sind an der Oberseite hauptsächlich orange bis bräunlich gefärbt, mit schwarzen Flügelenden und weißen Flecken. Die Unterseite weist vier oder fünf auffällige Augenflecken auf.
Bauern und Förster brauchen den Distelfalter nicht zu fürchten. Futterpflanzen der Raupen sind vor allem Brennnesseln, Disteln und Kletten. Ein etwas „unaufgeräumter“ Garten ist deshalb ideal für den Distelfalter. Die Falter selbst sind wenig wählerisch, es werden alle Nektarquellen besucht, die sich anbieten. In Gärten wird im Sommer gerne der Schmetterlingsflieder (Buddleia) angeflogen.
„Tausende von Faltern flogen in einem unaufhörlichen lockeren Band in einer Höhe zwischen einem und zehn Metern durch unseren Ort Unterschwarzach“, berichtet Winfried Rieboldt auf www.lepiforum.de von Mittwoch (13.) aus Oberschwaben. Am Sonntag (17.) schließlich überzogen Wellen mit jeweils Hunderttausenden bis Millionen von Tieren den Süden und die Mitte Deutschlands. Insgesamt, schätzt Schmetterlingsexperte Jürgen Hensle, sind derzeit Milliarden Tiere unterwegs.
Ausgangspunkt für die Wanderungen der Distelfalter ist Nordafrika. Von dort fliegen sie im Spätwinter nach Süd- und Westeuropa ein und legen ihre Eier ab, so dass dort ab April eine neue Faltergeneration entsteht. Diese fliegen dann weiter nach Mitteleuropa. Manche Falter kommen auch direkt von Nordafrika oder von den Kanarischen Inseln bis zu uns „Das sind dann die restlos abgeflogenen Langstrecken-Einwanderer“, erklärt Hensle. „Die haben 3000 bis 4000 Kilometer drauf, was man ihnen deutlich ansieht.“
Längst nicht alle Distelfalter überleben die große Reise. Viele sterben unterwegs an Erschöpfung, kommen in Unwettern um oder fallen dem Autoverkehr zum Opfer. In Bayern etwa kommt der Insektenkundler Helmut Kolbeck nach Abschnitt-Zählungen am Fahrbahnrand zum Schluss, dass am Sonntag bei Wörth an der Isar je Autobahn-Kilometer „mindestens 50.000 Distelfalter“ den Tod gefunden haben.
Mit Rückenwind über Berg und Tal
Starke Winde unterstützen die Wanderung der Schmetterlinge. Sie tragen die federleichten Tiere mit sich und helfen ihnen, unter anderem Mittelmeer und Alpen zu überwinden oder zu umfliegen. „Ich war am Sonntag bei Bischofsgrün auf dem Seehaus“, berichtet Julian Bittermann im Lepiforum, „und habe mir das Schauspiel auf der sonnigen Terrasse bei einem Bier betrachtet. Auf einer Schneise mit Blick zum Ochsenkopf jagten die Distelfalter endlos in nordöstlicher Richtung über den rund 850 Meter hoch gelegenen Mittelgebirgskamm ins Becken des inneren Fichtelgebirges.“ Bittermann zählte durchschnittlich sechs Tiere pro Sekunde, was 21.600 Tiere in der Stunde bedeutet.
Noch stärker war der „Verkehr“ im Tal. An der B 303 konnte man „schon von weitem im Gegenlicht der tief stehenden Sonne Massen von Faltern vor dem dunklen Fichtenwaldrand in schnellem Flug vorbeiziehen sehen. Die B 303 diente als warme Wanderschneise mit Rückenwind durch den dichten Hochwald des Fichtelgebirges.“ Bittermann errechnete hier 180.000 Tiere pro Stunde. „Besonders durch den Schwerlastverkehr bot sich auch hier das Bild eines Faltergemetzels – was nicht zuletzt unschwer an dem Zustand der Autoscheiben zu erkennen war.“
Inzwischen haben die ersten Distelfalter bereits Norddeutschland und Dänemark erreicht. Manche Tiere werden weiter bis Finnland und im Westen über die Britischen Inseln sogar bis nach Island fliegen. Ein endgültiges Ziel haben die Distelfalter nicht. Mit mehreren Generationen pro Jahr sind sie ständig unterwegs, immer auf der Suche nach den besten Lebensbedingungen. Schon im Hochsommer werden sich viele Distelfalter zurück auf den Weg nach Süden machen. Und im nächsten Frühjahr besuchen uns ihre Enkel und Urenkel erneut – allerdings kaum in den Mengen wie in diesem Ausnahmejahr 2009.
Mit dem Klimawandel und einer hitzebedingten Flucht nach Norden hat die Distelfalter-Invasion übrigens nichts zu tun. Eher im Gegenteil. Die Falter und ihre Raupen benötigen „saftige Weidegründe“, sie vermehren sich also dann besonders gut, wenn reichlich frischer Pflanzenwuchs vorhanden ist. Und diese Mal waren die Wintermonate und das zeitige Frühjahr rund um das Mittelmeer vergleichsweise regenreich. (elg)
- Distelfalter-Beobachtungen des NABU Zollernalb
- Bericht über die Distelfalter-Wanderungen in Frankreich (PDF)
- Reich bebildertes Distelfalter-Porträt im Lepiforum
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