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Jetzt NABU-Mitglied werden!„Im Zweifel für die Umwelt“
Interview mit Cem Özdemir, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen
Das bekannte Berliner Restaurant „Kanzlereck“ führt die Lieblingsspeisen sämtlicher bisheriger Bundeskanzler. Welches Gericht kommt denn neu auf die Speisekarte, wenn Cem Özdemir mal Kanzler ist? Bisher stellen die kleinen Parteien bei uns nicht den Kanzler. Insofern ist die Frage hypothetisch.
Wie wäre es mit Angela Merkels Lieblingsgericht: Rinderroulade mit Schmorgemüse? Weder die Merkelsche Rinderroulade, noch der Kohlsche Saumagen, für einen Vegetarier ist das nichts. Es sollte etwas aus der Vollwertküche sein, regional angebaut und mit mediterranem Einschlag. Sagen wir mal: ein vegetarisches Pasta-Gericht.
War Ihnen die Liebe zum vegetarischen Essen schon in die Wiege gelegt? Ganz im Gegenteil: Meine Eltern waren alles andere als erfreut, als ich mich entschlossen habe, Vegetarier zu werden.
Wie kam es also? Es hat zunächst einmal mit Kindheitserlebnissen zu tun. Meine Eltern stammen beide aus der Türkei. Und als ich noch klein war, wurde bei einem Besuch im Heimatdorf meines Vaters zum muslimischen Opferfest auch für mich ein Schaf geschlachtet. Am Morgen hatte ich mit dem Schaf noch gespielt, das war für den Schwabenjungen aus Bad Urach ein großer Schock: Das Messer geht an den Hals den Schafes, Blut fließt, eine Hand nimmt etwas warmes Blut und streicht es an meine Stirn. Das war ein bleibender Eindruck und von da an konnte ich nie Schafe oder Ähnliches essen. Später dann, im Rahmen der Politisierung, kam noch dazu, dass mir klar wurde, wie viele Menschen man ernähren kann über den direkten Weg des Getreides und wie viel weniger Menschen über den Umweg Fleisch. Das hat sein Übriges beigetragen.
Mit Ihrer Antrittsrede als Parteivorsitzender haben Sie deutlich gemacht, dass die Grünen im Superwahljahr 2009 vor allem ihr umweltpolitisches Profil schärfen wollen. Natürlich. Es muss klar sein, dass wir das Original sind. Im Zweifel stehen wir immer auf der Seite der Umwelt. Das ist bei den anderen Parteien genau umgekehrt: Wenn die in der direkten Konfrontation stehen, wenn sie sich entscheiden müssen zwischen den Interessen der Automobillobby oder der Atomlobby einerseits und den Interessen der Umwelt andererseits, dann entscheiden sie sich immer gegen Natur- und Umweltschutz.
Der Bundesumweltminister würde Ihnen da widersprechen. Ich begrüße es zwar, dass Sigmar Gabriel am Atomausstieg festhält, aber in zwei Punkten ist er meines Erachtens nach dramatisch schief gewickelt: bei den Kohlekraftwerken und beim Autoverkehr. Mit dem Neubau von zusätzlichen Kohlekraftwerken gefährdet die Bundesregierung ihre selbst ausgegebenen Klimaschutzziele. Den Kohlendioxid-Ausstoß um 40 Prozent zu verringern, wird mit jedem weiteren Kohlekraftwerk unwahrscheinlicher. Und im Bereich des Individualverkehrs sehe ich überhaupt nicht, womit sich Gabriel den Titel Umweltminister verdient hätte. An das notwendige Tempolimit traut er sich nicht heran und die bei den EU-Klimaverhandlungen beschlossenen Ausnahmeregelungen für die deutsche Industrie gefährden nicht nur die Klimaziele, sondern auch Arbeitsplätze. Das ist innovationsfeindlich und nicht zukunftsfähig.
Mit wem wollen Sie den Vorrang der Ökologie denn künftig durchsetzen, gibt es einen Wunschpartner? Es gibt ein Wunschergebnis, das sind starke Grüne. Alles andere entscheidet sich auf Grundlage der Inhalte.
Die Mehrheiten müssen aber auch da sein. Sicher, aber wir müssen erst mal unseren Teil erfüllen und dann müssen die anderen ihren erfüllen. Und wenn ich mir den potenziellen Koalitionspartner SPD anschaue, hat der noch einiges zu tun bis zum Wahlabend.
Rot-grün soll es also sein? Zumindest lassen sich grüne Inhalte nach allen bisherigen Erfahrungen auf Bundesebene eher mit der SPD verwirklichen, als mit der Union. Auf Landesebene kann das auch mal anders sein, siehe Hamburg. Die Hamburger CDU unterscheidet sich zum Beispiel ganz radikal von der CDU in Hessen. In Hessen hätten wir auch noch einen anderen Versuch gewagt, doch der ist bekanntlich nicht an uns gescheitert. Wir sind pragmatisch aufgestellt. Wir gehen nicht ideologisch ran, aber werteorientiert.
Die Grünen werden zwar als Umweltpartei wahrgenommen. Der Naturschutz scheint aber nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Jeder, der in der Spitze der Partei tätig ist, sieht seine Rolle nicht nur im Umweltschutz, sondern auch im Naturschutz. Für 2009 haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, die beiden Themen Biosphärenreservate und Schutz der Buchenwälder stärker in den Vordergrund zu stellen. Also ist es nicht so, dass der Naturschutz nicht auf dem Bildschirm wäre – aber ich betrachte die Frage als Anregung, da noch stärker präsent zu sein.
Was hat denn Cem Özdemir selbst für ein Verhältnis zur Natur. Von Kindesbeinen an ein ganz enges. Vom Elternhaus war der Weg zum Wald nur fünf Minuten, man wächst ganz anders auf als ein Großstadtkind. Das bedauere ich jetzt bei meiner kleinen Tochter, die mitten in Berlin aufwächst. Umso wichtiger ist es, dass man sich überlegt, wie man schon im Kindergartenalter gezielt Naturerfahrungen ermöglicht.
Ein bisschen hilft der NABU mit. Genau, ich wollte unbedingt einen Nistkasten für zuhause haben, damit die Kleine vom Fenster aus Vögel beobachten kann. NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller hat mich da genauestens beraten. Jetzt haben wir einen Höhlenbrüterkasten, Nisthilfen für Schwalben und noch dazu ein Futterhäuschen. Es kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Mit Cem Özdemir sprachen Helge May und Kathrin Klinkusch.
Aus „Naturschutz heute“, Ausgabe 1/09 vom 30. Januar 2009