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Zur Umweltsituation in Peking vor dem Beginn der Sommerolympiade
von Torsten Haselbauer (Text) und Matthias Kluckert (Fotos)
Haile Gebrsellassie ist schon so gut wie überall auf dieser Welt gelaufen. Der Äthiopier gilt als einer der erfolgreichsten Langstreckenläufer aller Zeiten. Dennoch, zwei Wünsche hatte er bis zum vergangenen Jahr noch offen: den Weltrekord und den Olympiasieg im Marathonlauf. Den Weltrekord hat sich Gebrsellassie mittlerweile geholt, im vergangenen Jahr in Berlin. Der Olympiasieg sollte in diesem Jahr folgen, so sah jedenfalls der Plan des Afrikaners aus. Doch seit dem Frühjahr denkt der 34-jährige Ausnahmeläufer ernsthaft darüber nach, auf diesen sportlichen Höhepunkt zu verzichten. "Die Luftverschmutzung macht mir Angst. In Peking werde ich im Marathonlauf wohl nicht starten. Der Gesundheit wegen", erklärte der Spitzenathlet.
Peking wird vom 8. bis zum 24. August die Olympischen Sommerspiele ausrichten - und die ganze Stadt schnappt nach Luft. Ein gelb-grauer Schleier liegt über der Elf-Millionen-Einwohner-Metropole, ein übel riechender Mix aus Kohlerauch, Feinstaub und Ozon. Peking gilt als eine der dreckigsten Städte dieser Welt. Vor allem wenn der Regen und der Wind ausbleiben, herrscht dicke Luft. Ozon und Feinstaub reichern sich dann regelmäßig an - bis zu dreimal höher, als es die Maximalwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorsehen. Die Sonne scheint nur selten. Besser, sie ist nur selten zu sehen. Immerhin sollen die Tage mit blauem Himmel ("Blue Sky Days") von 64 Prozent (245 Tage) im Jahr 2007 nun auf 70 Prozent (256 Tage) in diesem Jahr gesteigert werden. "Das Ziel werden wir durch zahlreiche Maßnahmen erreichen", erklärt immer wieder Zhon Liangxi von der Pekinger Umweltbehörde.
Allgegenwärtige Staus
Wird also alles gut? Wohl kaum. Nicht nur die meisten der gut 10.000 Athleten, die in diesem August nach Peking reisen, glauben den offiziellen Umwelt-Beteuerungen aus dem Reich der Mitte schon lange nicht mehr. Sie reisen lieber selber nach Peking und messen "verstörend hohe Werte in der Luft", wie beispielsweise der Sportpsychologe Randy Wilber vom US-Amerikanischen Olympischen Komitee.
Als Hauptverursacher für die gesundheitsschädlichen Ozon- und Feinstaubwerte gelten die Kohlekraftwerke und andere Fabriken, sowie der kontinuierlich ansteigende Straßenverkehr. Staus sind auf Pekings Straßen allgegenwärtig. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist inzwischen auf zwölf Stundenkilometer gesunken, was die Hauptstädter nicht daran hindert, täglich tausend Autos neu anzumelden. Als Folge der Luftverschmutzung leidet ein Großteil der Stadtbevölkerung an Asthma und Allergien. Appelle an die Bevölkerung, auf das Auto freiwillig zu verzichten und die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu benutzen, zeigen kaum Erfolg. Eigentlich kein Wunder, im klimatisierten Auto ist die Luft doch bedeutend gesünder als draußen.
Blei und Arsen im Wasser
Doch nicht nur der Dreck aus den Kohlekraftwerken ist ein in naher Zukunft kaum lösbares Problem. China deckt zwei Drittel seines Energiebedarfs aus Kohle. Neben Kohlenmonoxid und Stickoxiden sind auch erhöhte Konzentrationen von Blei und Arsen nachweisbar. Es gibt Bleivergiftungen, die Bewohner Pekings und China trinken arsenhaltiges Wasser.
Nach Schätzungen der Weltbank trinken 700 Millionen der gut 1,3 Milliarden Chinesen kontaminiertes Wasser. Bis zu 450.000 Menschen sterben in China Jahr für Jahr an den direkten oder indirekten Folgen der Luftverschmutzung oder des verdreckten Wassers. Die Zahlen könnten nach Schätzungen westlicher Umweltexperten deutlich höher liegen. Doch offizielle chinesische Stellen behindern nicht selten die Messungen unabhängiger Institute oder entfernen unliebsame Zahlen aus Berichten.
Der Anspruch von chinesischer Seite, eine "grüne Olympiade" auszurichten, ist kaum mehr einzulösen. "Wenn sie Sport treiben wollen, dann machen sie es in den eigenen vier Wänden", erklärte kürzlich Ibrahim Salahat vom International Medical Center in Peking. Als gefährdet gelten neben den klassischen Risikogruppen wie Kinder, Kranke und Alte vor allem die Ausdauersportler, wie etwa die Radfahrer oder die Marathonläufer. Die nämlich verbringen oft Stunden unter dem "freien" Himmel in Höchstleistung und atmen dabei bis zu zehnmal mehr Luft ein als ein Angestellter im Büro.
Pekinger Grünflächen wachsen
Der Vizechef des Pekinger Organisationskomitees (Bocog) ist mit der Entwicklung seiner Stadt in Sachen Umweltschutz dennoch zufrieden. "Es verbessert sich täglich etwas", erklärt Jiang Xiayou stolz. Rund 2,5 Milliarden Euro hat China für das Projekt "Green Olympics" investiert. Und manches davon ist wirklich sichtbar. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua sind bereits 85 Prozent der für die Spiele neu geplanten Grünanlagen realisiert. Ende des vergangenen Jahres betrug der Anteil der Wald- und Grünanlagen auf dem bebauten Stadtgebiet Pekings 43 Prozent, das sind 12,6 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner.
Durch die staatlich verordnete Idee der "ökologischen Zivilisation", wie die Regierung ihr nachhaltiges Umwelt-Programm offiziell tituliert, ist das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung des Riesenreiches gestiegen. "Umweltschutz" oder "Umweltschutzorganisationen" sind vor allem für die aufgeklärten Stadtbewohner geläufige Vokabeln. Die Medien berichten bemerkenswert offen - im Gegensatz beispielsweise zur Debatte über die Menschenrechte - über die Umweltproblematik. Und, die Menschen machen etwas. Sinnbildlich pflanzen sie Bäume oder benutzen im Supermarkt die neu eingeführte Recyclingtüte. Immerhin.