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Jetzt NABU-Mitglied werden!Die letzten Giganten
Schutz der Bergwisente im Kaukasus
Ruhig verharrt eine Herde dunkelbrauner, zottiger Tieren im Schnee unterhalb des vereisten Bergmassivs, nur ein Schnauben oder Stampfen ist hin und wieder zu hören. Was sind das für Kolosse, die verschwommene Erinnerungen an amerikanische Wildnis-Abenteuer wachrufen? Es sind Europäische Wisente, nahe Verwandte des amerikanischen Bisons, das uns traurig-bekannt durch seine fast vollständige, blutige Ausrottung ist.
Erwachsene Wisente können erstaunliche drei Meter Körperlänge erreichen und rund eine Tonne wiegen. Die Tiere leben in kleineren Herden aus Kühen und Kälbern; erst im Sommer schließen sich die sonst einzelgängerischen Bullen ihnen an.
Heftige Kämpfe der Bullen
In dieser Zeit kommt es zu heftigen Kämpfen zwischen den Männchen um die Rangordnung. Mit Droh- und Imponiergebärden, Brüllen und Schnauben, aber auch heftigen Direktkämpfen wird das Vorrecht zur Paarung geklärt. Bei diesen Auseinandersetzungen kann es auch zu schweren Verletzungen bis hin zum Tod der Tiere kommen. Nur der kräftigste Bulle geht schließlich als Sieger und Leitbulle hervor.
Dies ist aber auch die einzige Zeit, in der die sonst friedlich weidenden Tiere laut werden. Ruhig äsend und wiederkäuend ziehen die Gruppen den Rest des Jahres durch Wälder und Wiesen und ernähren sich von Blättern, Trieben, Rinden und Flechten sowie Gräsern und Kräutern. Um die lange Frostperiode im Winter besser zu überstehen, werden für den Aufbau von Fettreserven auch Pilze, Früchte und Eicheln gefressen.
Unruhe kommt nur auf, wenn natürliche Feinde wie Bären oder ein Rudel Wölfe versuchen, ein Jungtier der Gruppe zu erjagen. Die Herde flieht geschlossen mit donnernden Hufen, die bedrohten Kälber werden beschützend in die Mitte genommen. Gelingt es den Angreifern dennoch, ein Kalb zu separieren und niederzuwerfen, stellen sich erwachsene Tiere diesem entgegen und es folgt ein erbitterter Kampf um das Leben des Jungen.
Einst in ganz Europa zuhause
Die stillen Giganten waren einst als die größten Landsäugetiere in Europas Wäldern zu Hause. Von Großbritannien bis nach Sibirien, von Spanien bis nach Schweden erstreckte sich der Lebensraum des Wisent. Dabei muss zwischen dem Flachlandwisent sowie dem Kaukasus-Bergwisent unterschieden werden. Letzteres wurde erst 1835 als eigene Unterart entdeckt und beschrieben. Nach Jahrzehnten der Verfolgung und Zerstörung seines Lebensraumes galt das Flachlandwisent Ende der 1920er Jahre als in der Wildnis ausgerottet: das letzte Kaukasus-Wisent wurde 1927 erlegt.
Dem Einsatz der 1923 gegründeten Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents und dem staatlichen Wiedereinführungs-Programm der damaligen sowjetischen Regierung ist es zu verdanken, dass Wisente heute wieder in der Wildbahn anzutreffen sind. Bei ihren Bemühungen um Rückzucht sahen sich die Fachleute allerdings mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass lediglich 54 Wisente in europäischen Zoologischen Gärten und Tierparks überlebt hatten. Schließlich konnte ein reinblütiger Kaukasus-Bulle die Rückzucht der Rasse sichern. Mitte der 1950er Jahre wurden erstmals Tiere in Polen ausgewildert, 30 Jahre später waren auch im Kaukasus wieder Wisentpopulationen heimisch. Die letzten vorliegenden Zahlen von 2001 belegen, dass es inzwischen weltweit wieder knapp 3.000 Tiere gibt, von denen etwa 60 Prozent in freien Herden leben.
Kampf gegen Wilderei
Dennoch ist das Wisent bis heute eine bedrohte Tierart, besonders in den Bergweiten der Kaukasus-Republik Adygea. Diese zählt zu den kleinsten Republiken innerhalb der Russischen Föderation und stellt das Hauptverbreitungsgebiet des Kaukasus-Bergwisent. Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion brach der wieder aufgebaute Bestand von 1.400 Tieren dramatisch auf 240 Tiere ein. Jagd, Wilderei, Freizeitaktivitäten und die Zerstörung des Lebensraumes außerhalb der sicheren Grenzen von Schutzgebieten setzten der sensiblen Tierart zu. Experten befürchteten, dass auf diese Weise das Kaukasische Bergwisent zum zweiten Mal ausgerottet würde.
Daher setzt sich der NABU seit 2001 im Kavkazsky-Totalreservat in der Republik Adygea gemeinsam mit der Schutzgebietsverwaltung für das Überleben des Kaukasus-Wisents ein. Mit Unterstützung der Ursula-Merz-Stiftung werden die dortigen Herden von Wissenschaftlern auf Größe und Veränderung des Bestandes, Wanderverhalten, Nahrungsaufnahme und in naher Zukunft auch auf genetische Merkmale untersucht. So können auf lange Sicht Ursachen von Bestandsschwankungen und Populationsrückgängen erfasst und erklärt werden.
2008 ist Jahr des Wisents
Noch ist beispielsweise unklar, warum die Herden im Winter nicht mehr in tiefere Lagen wandern und wie sich dies auf die Tiere auswirkt. Um Wilderei zurückzudrängen, die als eine mögliche Ursache für die Verhaltensänderungen in Frage kommt, wird die Verwaltung des Schutzgebietes bei Maßnahmen gegen die Wilderer unterstützt. Momentan wächst die Population um sieben bis zehn Prozent pro Jahr. Etwa 370 Tiere in Einzelherden leben derzeit innerhalb des Schutzgebiets mit den berühmten Nordmanntannen-Urwäldern. Damit dies so bleibt und der Bestand weiter zunimmt, sollen Öffentlichkeitsarbeit, Ökotourismus und Umweltbildungsprogramme zusätzlich helfen, das Tier und seine Historie in das Bewusstsein der Menschen bringen und sie für die Giganten zu sensibilisieren.
2008 ist das Wisent von der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild zum "Wildtier des Jahres" gewählt worden - ein gutes Omen für die Zukunft der sanften Riesen.