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Jetzt NABU-Mitglied werden!Fitis und Milan auf dem Rückzug
Klima-Prognose: Unsere Vogelwelt im Jahr 2100
In einer Aufsehen erregenden Studie versuchen Wissenschaftler vorherzusagen, wie die Vogelwelt Europas am Ende dieses Jahrhunderts aussehen wird. Bei aller Vorsicht, die naturgemäß bei einer derartigen Studie angebracht ist, scheint festzustehen: Unsere Vogelwelt wird sich durch den Klimawandel verändern, und der Naturschutz sollte sich schon jetzt darauf einstellen.
Meist stehen bei der Diskussion um den Klimawandel die unmittelbaren Folgen für den Menschen, wie Überschwemmungen oder Meeresspiegelanstieg, im Mittelpunkt. Weniger Beachtung finden die Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenarten, obwohl bedingt durch den Klimawandel bis zum Jahr 2050 weltweit etwa 20 bis 30 Prozent aller Arten aussterben könnten.
550 Kilometer nach Norden
Wissenschaftler der Durham University, der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), von BirdLife International und der Universität Cambridge haben jetzt in einer Studie versucht, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Verbreitung von Vogelarten in Europa vorherzusagen. Zunächst entwickelten die Wissenschaftler ein Modell, das die heutige Verbreitung aller 520 Brutvogelarten Europas durch Klimafaktoren erklärt. Für viele der Arten ist das sehr gut machbar und damit lässt sich auch ihre mögliche geographische Verbreitung am Ende des 21. Jahrhunderts vorhersagen.
Demnach ist zu erwarten, dass sich das Areal europäischer Brutvogelarten im Durchschnitt um etwa 20 Prozent verkleinert und sich das Verbreitungszentrum etwa 550 Kilometer nach Norden und auch etwas nach Osten verschiebt. Die Überschneidung zwischen dem derzeitigen und dem zukünftigen Verbreitungsgebiet beträgt im Durchschnitt 40 Prozent. Für einige Vogelarten auf der Iberischen Halbinsel oder in der Subarktis und Arktis sind die erwarteten Verluste am größten. In Deutschland werden vermehrt wärmeliebende Vogelarten aus dem Mittelmeergebiet einwandern, Feuchtgebietsarten und Vogelarten bestimmter Waldtypen dagegen deutlich abnehmen oder sogar ganz verschwinden.
Rückzugsraum Alpen
Blaumerle und Seidensänger etwa kommen momentan vor allem im Mittelmeerraum vor und werden voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahrhunderts in Teile Deutschlands einwandern. Bienenfresser, Wiedehopf und Zwergohreule werden zum Ende des Jahrhunderts fast flächendeckend in Deutschland vorkommen.
Dagegen steht zu befürchten, dass sich der Fitis weitgehend aus Deutschland zurückzieht und sein Verbreitungsgebiet in Zukunft auf die Alpen und Teile Norddeutschlands beschränkt sein wird. Schlechtere Aussichten bestehen auch für Schwarz- und Weißstörche, die ihre Brutgebiete in Nord- und Ostdeutschland verlassen könnten. Trauerschnäpper und Bekassine drohen sogar ganz aus Deutschland zu verschwinden. Ihr Vorkommen würde sich den Berechnungen zufolge auf nur noch kleinere Bereiche in den Nordalpen beschränken.
Grenzen der Vorhersage
Die Schwierigkeiten bei der Vorhersage der zukünftigen Verbreitung illustriert die Situation des Rotmilans. Da sein aktuelles Vorkommen weniger durch Klimadaten als vielmehr durch die Landnutzung bestimmt wird, sind alle Vorhersagen anhand von Klimadaten mit Vorsicht zu genießen. Doch bei aller Unsicherheit wird erwartet, dass sich der Rotmilan aus weiten Teilen Deutschlands sowie von der Iberischen Halbinsel zurückzieht und sein Verbreitungsschwerpunkt in Zukunft im Süden Skandinaviens liegt.
Entscheidend ist, ob die neuen Klimazonen von den Vögeln erreicht werden können und ob der Standort, die Vegetation und die Landnutzung in den neuen potenziellen Verbreitungsgebieten eine Ansiedlung ermöglichen. So wird beispielsweise angenommen, dass der heutige Lebensraum des Schottischen Kreuzschnabels ganz verschwindet, die klimatischen Bedingungen für diesen ausschließlich in Schottland vorkommenden Vogel in Zukunft aber auf Island günstig sein werden. Nicht vorhersagbar ist jedoch, ob der Schottische Kreuzschnabel Island überhaupt erreicht und ob dort dann Kiefernwälder wachsen oder das Land stattdessen flächendeckend von Schafen beweidet wird.
Robuste Schutzgebiete schaffen
Wie aber sollen Naturschützer auf die geänderten Bedingungen reagieren? Zunächst muss natürlich alles getan werden, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Gleichzeitig ist es erforderlich, unsere Schutzgebiete mit ihrer Tier- und Pflanzenwelt "robuster" zu machen. Hierdurch steigen die Chancen der dort lebenden Arten, den im Einzelnen schwer vorhersagbaren, neuen Klimabedingungen gewachsen zu sein. Mehr und größere Schutzgebiete mit einer besseren räumlichen Verteilung sind hierfür unabdingbar. Das EU-System Natura 2000 - weltweit vielleicht das beste Schutzgebietsnetz überhaupt - ist eine hervorragende Grundlage hierzu. Es gilt, dieses Netzwerk zu erhalten und zu verbessern, gleichzeitig aber die Landschaft zwischen den Schutzgebieten naturnäher und damit für Tier- und Pflanzenarten durchlässiger zu gestalten.
Norbert Schäffer, Markus Nipkow