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Jetzt NABU-Mitglied werden!Hilfe für hungernde Gänsegeier
Sichtungen unter anderem in NRW, Hessen, Niedersachsen und Sachsen
26. Juni 2007 - Wie schon 2006 tauchen auch dieses Jahr wieder vermehrt Geier im Himmel über Deutschland auf. Naturfreunde und Vogelbeobachter freuen sich über die Rückkehr der bei uns seit 150 Jahren ausgestorbenen Vögel, doch eigentlich ist es kein gutes Zeichen. Den großen Aasfressern geht in ihren südeuropäischen Brutgebieten nämlich immer mehr die Nahrung aus, der Hunger führt sie dann über mehr als tausend Kilometer nach Norden. Schuld daran ist eine Hygieneverordnung der EU zur Vorsorge gegen BSE, die vor allem in Spanien zur Schließung tausender traditioneller Tierkadaver-Sammelstellen führte.
Einzelne Geier wurden 2007 bereits im April nahe Mainz in Rheinland-Pfalz, im Nordschwarzwald, in Bayern, Schleswig-Holstein und bei Celle in Niedersachsen beobachtet. Mitte Mai tauchten dann 22 Gänsegeier und zwei Mönchsgeier in Haigerloch-Stetten auf der Schwäbischen Alb auftauchten. Ziel der Geier war ein totes Schaf. Krähen hatten das Tier zuerst entdeckt, was mehrere Rotmilane auf den Plan rief und das wiederum lockte die Geier an. Als der Schäfer den Kadaver bald darauf "ordnungsgemäß" abtransportierte und entsorgte, zogen die hungrigen Geier bereits nach einem Tag weiter. Da einer der beiden Mönchsgeier beringt war, konnte inzwischen dessen Herkunft festgestellt werden. Geier "CHX" stammt vom Gorges de la Jonte in den französischen Cevennen, wo seit einigen Jahren ein erfolgreiches Wiederansiedlungsprojekt läuft.
Einen Monat nach dem kurzen Besuch auf der Schwäbischen Alb gelangten große Trupps von insgesamt über 100 Geiern noch weiter in den Norden bis nach Belgien und die Niederlande. Einige dieser Geier folgen dann auch nach Deutschland ein. So wurde am 19. Juni ein einzelner Gänsegeier mitten im Ruhrgebiet über Bochum fliegend beobachtet, über Mönchengladbach am Niederrhein waren es sogar 22 Geier. An den Baggerteichen bei Niederweimar (Mittelhessen) sichtete eine Beobachtergruppe um den Ornithologen Martin Kraft von der Uni Marburg am gleichen Tag 13 kreisende Gänsegeier, "die später in großer Höhe nach Süden weiterzogen".
In der Folge kam es zu Geier-Beobachtungen auch in Schleswig-Holstein nahe Hamburg und am Köterberg nördlich von Höxter. Vier Gänsegeier hielten sich mehrere Tage bei Lüneburg auf, am 23. Juni tauchte ein Trupp von rund 20 Tieren in Grünhainichen im sächsischen Erzgebirge auf, gleichzeitig wurden "zwei sehr tief fliegende Gänsegeier" bei Seckach (Neckar-Odenwald-Kreis) im nördlichen Baden-Württemberg gemeldet. Die bisher letzte Sichtung meldete Herbert Odenthal im "German Birdnet" für den 25. Juni aus Köln. Hier zog ein einzelner Gänsegeier in südwestlicher Richtung über die Innenstadt.
Gänsegeier in Not - die Großvögel verhungern
Mehr Flexibilität bei europäischer Hygieneverordnung nötig
Das erneute Eintreffen größerer Trupps nahrungssuchender Geier ist aus Sicht des NABU ein Alarmsignal, das der Artenschutz nicht ignorieren darf. Den eindrucksvollen Großvögeln droht akute Gefahr - sie sind am Verhungern. Denn die im Zuge von BSE in Kraft getretene EU-Hygieneverordnung 1774/2002 schreibt nun auch in den südeuropäischen Brutgebieten die vollständige Beseitigung toter Weidetiere vor. Damit sind Tausende der traditionellen "Muladares" in Spanien geschlossen worden. Dies sind dezentrale Sammelstellen, an denen bislang die Geier für eine hygienische Beseitigung der Tierkadaver gesorgt hatten.
"Die auf Druck südeuropäischer Vogelschützer bereits 2003 erlassene Ausnahmeverordnung 322/2003 reicht bei weitem nicht aus, um den Nahrungsmangel der europaweit geschützten Vögel auszugleichen", sagte NABU-Vogelschutzexperte Markus Nipkow. Der NABU verweist auf eine Studie seines Dachverbandes BirdLife International, wonach spanische Geier in den letzten Jahren immer weniger Jungvögel großziehen. Gleichzeitig hat sich die Anzahl geschwächt eingelieferter Tiere in Vogelpflegestationen dramatisch erhöht.
"Der Konflikt zwischen der europäischen Hygieneverordnung und den Schutzzielen, wie sie unter anderem die EU-Vogelschutzrichtlinie vorschreibt, muss und kann gelöst werden. Niemand möchte dazu aufrufen, notwendige Hygienevorschriften zu verwässern. Mit einer Lockerung der Verordnung kann aber gezielt gegengesteuert werden, bevor es für die Geier zu spät ist", so Nipkow.
Der NABU setzt sich gemeinsam mit BirdLife International für eine Flexibilisierung der bestehenden Vorschriften ein, die auch den Geiern eine Überlebenschance lässt. Jetzt komme es darauf an, dass sich alle Betroffenen auf zweckmäßige Verbesserungen der Gesetzgebung verständigen - und das möglichst rasch.
Auf der Iberischen Halbinsel leben mehr als die Hälfte der europäischen Geier, vom sehr seltenen Mönchsgeier sogar über 90 Prozent. Im oberen Donautal bei Sigmaringen haben Gänsegeier bis ins 19. Jahrhundert gebrütet. Das erneute Auftreten der Geier in Mitteleuropa könnte auch eine Chance eröffnen, die Vögel wieder bei uns heimisch zu machen. Der NABU schlägt vor, an geeigneten Orten großflächige Weidegebiete einzurichten und geierfreundlich zu entwickeln.
Beitrag erstellt am 20. Juni 2007.