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"Schwarzenegger wird die Wende bringen"
Ein Porträt des neuen EU-Umweltkommissars Stavros Dimas
Kennen Sie die? Wer sonst in Brüssel noch mitspricht in Umweltdingen
Der Gastgeber der "Grünen Woche" in Brüssel ist ein freundlicher älterer Herr mit Stahlbrille und kurz geschorenem schlohweißen Haarkranz. "Leutselig" - dieses altmodische Adjektiv drängt sich auf, wenn man den altgedienten Parlamentarier Stavros Dimas, der nach zehn Legislaturperioden im Athener Parlament nach Brüssel gewechselt ist, zwischen den Informationsständen der Umweltgruppen entlang schlendern sieht. Geduldig schüttelt der 64jährige Grieche Hände, neigt den Kopf aufmerksam jedem zu, der eine alte Bekanntschaft erneuern oder ein neues Anliegen vortragen möchte.
Gegenseitiges Schulterklopfen
Jedes Jahr werden auf Einladung der EU-Kommission unter einem bestimmten Leitthema eine Woche lang Seminare und Vorträge in Brüssel veranstaltet, die Fachleute, Schüler und interessierte Laien auf den neuesten Sachstand bringen sollen. Dieses Jahr geht es um Klimaschutz.
Und wie so oft bei derartigen Veranstaltungen fragt man sich, wer hier eigentlich noch überzeugt werden soll. Im Publikum sitzen Umweltschützer, Klimaforscher und Mitarbeiter von Dimas" Generaldirektion Umwelt. Natürlich erntet der Umweltkommissar bei diesem Publikum großen Beifall, als er mahnt, dass ein "Weiter so" in der Klimapolitik unverantwortlich wäre. Dimas erinnert an den Sommer 2003, wo in Frankreich zahlreiche alte Menschen an den Folgen der Hitze starben und für die Bauern Ernteschäden von zehn Milliarden Euro entstanden.
Hoffen auf den Gouvernator
Dimas weiß, dass er vor allem jenseits des Atlantik Verbündete braucht, wenn er Erfolge erzielen will. Im April hat er in Washington mit Beamten, Politikern und Vertretern von Umweltorganisationen über das Thema gesprochen. Er kennt die Stadt gut aus den frühen siebziger Jahren, als er als Jurist in der Weltbank arbeitete. Zuvor lebte er einige Zeit als Anwalt in New York und ist wahrscheinlich das einzige Mitglied der Barroso-Kommission, das am legendären Woodstock-Festival teilgenommen hat.
"Ohne Mitarbeit der USA wird es keine wirksame Lösung geben, sie erzeugen zwanzig Prozent der weltweiten Treibhausgase, pro Kopf doppelt so viel wie die Europäer, zehn mal mehr als China - das ist für alle anderen eine gute Ausrede, gar nichts zu tun", sagt er. Offiziell habe sich die Position der Regierung Bush nicht geändert: Sie setze ausschließlich darauf, dass technologische Fortschritte den Schadstoffausstoß verringern und lehne eine Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls kategorisch ab. Doch in der Öffentlichkeit werde das Thema kritisch diskutiert, sogar konservative Kongressmitglieder setzten sich für eine klimafreundliche Energiepolitik ein. Auch in einigen Bundesstaaten gebe es Fortschritte. "Der kalifornische Gouverneur Schwarzenegger, der Terminator", sagt Dimas und lacht laut, "wird die Wendung bringen."
Gespaltene Ansichten
Nicht überall in der Brüsseler Umweltszene wird Dimas" Sinn für Humor geschätzt. Er sei ein Mann der flotten Sprüche, kein Aktenstudierer, will ein Mitarbeiter aus dem Europaparlament wissen. Seine schwedische Vorgängerin Margot Wallström sei eine Kämpferin für die gute Sache gewesen, der Neue dagegen lasse bislang nicht erkennen, wo er inhaltlich hin wolle. Das Thema Kyoto und Klimawechsel habe er inzwischen durchgearbeitet, doch ehrgeizige Ziele jenseits der bis 2012 festgelegten Kohlendioxid-Einsparung fordere er nicht. "Bei den Fachministerräten vertritt Dimas eine Position, die hinter die der europäischen Staatschefs zurückfällt", kritisiert der Parlamentsmitarbeiter.
Andere aus der Umweltlobby sind deutlich vorsichtiger in ihrem Urteil. Auch die jetzt so hoch geschätzte Wallström habe damals bei ihrer Anhörung im EU-Parlament einen sehr unsicheren Eindruck gemacht und sich die Antworten von ihren Mitarbeitern auf Spickzettel schreiben lassen. Man müsse Dimas mehr Zeit geben. Im Vergleich zu seiner Parlamentsanhörung im November, wo er die Inhalte seines Fachgebietes offensichtlich nicht kannte, sei er inzwischen deutlich sattelfester.
Umweltschutz schafft Arbeitsplätze
Dass Dimas die bei allen Kommissaranwärtern gefürchtete peinliche Befragung durch die Fachausschüsse des EU-Parlaments als Scharte in Erinnerung hat, die er auswetzen möchte, ist dem griechischen Politiker in Interviews deutlich anzumerken. Interviewfragen lässt er sich mindestens eine Woche im Voraus vorlegen, so hat er Zahlen und Fakten dann wie aus der Pistole geschossen parat.
"Bei der letzten Umfrage von Eurobarometer nannten 72 Prozent der Befragten die Umwelt als wichtiges Element ihrer Lebensqualität", sagt Dimas auf die Frage, ob Umweltschutz angesichts hoher Arbeitslosenzahlen und ehrgeiziger Wachstumsziele in der Barroso-Kommission überhaupt eine Chance habe. "Umwelttechnologie ist mit jährlich fünf Prozent Zuwachs der Sektor in der Union, der am schnellsten wächst. Die Ökoindustrie ist inzwischen so wichtig wie die Pharmaindustrie oder die europäische Raumfahrttechnik. Wir können das miteinander vereinbaren: Schutz der Umwelt, Sozialstandards und die Lissabon-Ziele Wachstum und Beschäftigung."
Den Schwerpunkt seiner Amtszeit sieht der gelernte Jurist aber nicht darin, neue Gesetze einzubringen, sondern dafür zu sorgen, dass die bestehenden EU-Richtlinien überall in nationales Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Der letzte Durchführungsbericht vom August 2004 kommt zu einer ernüchternden Bilanz: 88 Umweltgesetze waren bis Ende 2003 nicht in nationales Recht überführt, 118 Gesetze waren fehlerhaft. "Es ist sinnlos, immer neue Gesetze zu verabschieden, wenn sie nicht umgesetzt werden", betont Dimas.
Wer hilft dem Bartgeier?
In Dimas" Vorzimmer liegt eine bunte Broschüre des NABU-Dachverbands Birdlife International. Darin werden zahlreiche Vogelarten vorgestellt, denen es schwer fällt, im modernen Europa zu überleben. Der prächtige Bartgeier zum Beispiel ist auf dem griechischen Festland fast ausgestorben. Auf Kreta nisten noch einige Brutpaare. Der Vogel beansprucht ein riesiges Revier und ernährt sich fast ausschließlich von Knochen. Abgenagte Kadaver, die andere Tiere übrig gelassen haben, liegen auch in Griechenland nicht mehr oft in der Landschaft. Wie also lassen sich die Bedürfnisse des Bartgeiers mit denen einer modernen Industrie- und Agrarkultur vereinbaren?
Dimas wirft einen kurzen Blick auf das Porträt des großen Aasvogels. Dann sagt er in bestem Eurokratisch: "Der veränderte Lebensstil in Europa hat zu enormen Verlusten in der biologischen Vielfalt geführt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, diesen Verlust an Artenvielfalt bis 2010 zu stoppen. Ende des Jahres wird die Kommission einen Bericht zum Stand der Dinge veröffentlichen und dann entscheiden, welche zusätzlichen Maßnahmen nötig sind."
"Parteiisch für die Umwelt"
Sieht er, der ehemalige Anwalt, sich eher als Advokat für die bedrohte Umwelt oder als Mittler zwischen den Anforderungen der modernen Zeit und den Bedürfnissen der bedrohten Natur? Die Antwort kommt laut und rasch, als wolle er jeden Zweifel ausräumen: "Ich bin Umweltkommissar, also ein Advokat für die Umwelt, kein Vermittler zwischen den Interessen."
Gilt das auch für das wichtigste Projekt seiner Amtszeit, die Richtlinie REACH, nach der mittelfristig alle in Umlauf befindlichen chemischen Stoffe auf ihre Gefährlichkeit getestet werden müssen? Die Industrie warnt, die so entstehenden Kosten würden tausende Arbeitsplätze kosten. "Es wird nicht so teuer, wie die chemische Industrie zunächst befürchtet hat. Außerdem bekommen die europäischen Anbieter einen enormen Standortvorteil, wenn sie als erste neue, weniger belastende Stoffe anbieten."
Also denkt er sehr wohl wie ein Mittler zwischen den Bedürfnissen der Umwelt und den Interessen der Industrie? "Fragen Sie mich das nicht noch einmal", sagt Dimas und droht lachend mit dem Zeigefinger. "Ich bin Anwalt, Anwalt für die Umwelt und sonst gar nichts."
Daniela Weingärtner