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Jetzt NABU-Mitglied werden!Auf den zweiten Blick
Aus dem Naturschutz-Alltag in Sachsen-Anhalt
Dieter Meyer gibt es unumwunden zu: "Auf den ersten Blick ist der Kreis Weißenfels nicht gerade ein Naturparadies". Und tatsächlich: Im kleinsten Landkreis Sachsen-Anhalts gibt es keine nennenswerten Waldgebiete, die Landschaft ist geprägt von Landwirtschaft und vom Braunkohletagebau.
Aber was so unansehnlich klingt, ist genau der Schatz, den Meyer und seine Mitstreiter hegen und pflegen: "Man findet in der Braunkohle-Folgelandschaft viele unterschiedliche kleine Biotopstrukturen. In Zukunft wird hier eine komplette Seenlandschaft entstehen. In den alten Tagebauhalden hat die Erosion alle paar Meter einen Mini-Grand-Canyon geschaffen. Die Biotope wechseln auf engstem Raum. Es gibt trockene, nährstoffarme Offenstandorte und gleich daneben ein Feuchtbiotop. Und es gibt erstaunliche Massenvorkommen von Orchideen: Zum Beispiel haben wir zwei Millionen Exemplare der Sumpfsitter gezählt. Das ist wohl einmalig in Deutschland", freut sich der 57-jährige NABU-Vorsitzende des NABU-Kreisverbands Weißenfels-Hohenmölsen.
Sympathische Orchideen
Über die Orchideen erzählt Meyer besonders gern. "Das sind Sympathieträger. Man kann den Leuten viel erzählen, wie wichtig es ist, die Saatkrähen-Kolonien im Stadtgebiet von Weißenfels zu schützen. Die Leute mögen keine Krähen! Aber in unserer Orchideen-Ausstellung können wir die Menschen für den Naturschutz begeistern. Orchideen sind was fürs Auge und wir nutzen sie als Botschafter für den Naturschutz."
So hat der NABU Weißenfels-Hohenmölsen inzwischen 450 Mitglieder. Bei seiner Gründung im Dezember 1990 war er der erste in Sachsen-Anhalt. Damals gab es nur 24 Mitglieder. Mit der Wende begann aber nicht nur die Geschichte des NABU in Sachsen-Anhalt; auch die groß angelegte Sanierung der alten Braunkohletagebaue begann. In der DDR waren sie Sinnbild für Natur- und Landschaftszerstörung und für Umweltverschmutzung. Doch was dann als so genannte Renaturierung begann, war in Wahrheit oft ein Kaputtsanieren wertvoller Biotope.
Nur scheinbar öde
Für die Naturschützer um Dieter Meyer begann ein Kampf mit den Tagebau-Sanierern. "Es hat lange gedauert, aber inzwischen gibt es Verständnis für unser Anliegen", sagt Meyer stolz. Er berichtet, wie er erklären musste, dass es der Natur keineswegs hilft, wenn die wertvollen Offenstandorte aufgeforstet werden, wenn Erosionsflächen glattplaniert und nährstoffarme Sandböden mit Muttererde überdeckt werden. Inzwischen wurden unter Beratung des NABU viele Tagebaubereiche naturgerecht saniert und gesichert und wertvolle Flächen wurden unter Schutz gestellt.
"In den ehemaligen Tagebauen geht es um natürliche Sukzession", erklärt Dieter Meyer. Das heißt, wo heute noch Sandboden ist, wird es bald erste Pflanzen geben, dann Büsche und irgendwann vielleicht Wald. "Gerade diese langsame natürliche Entwicklung ist das Wertvolle", sagt Meyer und beginnt sie aufzulisten, die unzähligen Vogel- und Insektenarten, die von diesen Lebensräumen profitieren.
Naturschutzstationen vor Schließung
Erhalten könne man die einzelnen Sukzessions-Stadien leider nicht, erklärt Dieter Meyer. "Eine Fläche von 400 Hektar kann man nicht Entbuschen oder Mähen." Dennoch versuchen es die Naturschützer an bestimmten Stellen. Zum Beispiel haben sie bisher zusammen mit ABM-Kräften einer Naturschutzstation des Landes Orchideenstandorte gepflegt. "Aber jetzt schließt Sachsen-Anhalt seine Naturschutzstationen und neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird es auch nicht geben." Gerne würde Meyer die Pflege in Eigenregie übernehmen, besonders wertvolle Flächen auch kaufen, aber dafür fehlt dem NABU-Kreisverband das Geld. "Leider gehen so immer mehr für den Naturschutz wertvolle ehemalige Tagebauflächen an Privatbesitzer", bedauert Meyer. "Die neuen Besitzer wollen die Flächen natürlich gewinnbringend nutzen - meist für Forstwirtschaft oder für Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen."
Aus für städtischen Umwelttag
Aufs Geld schauen nicht nur die privaten Flächeneigentümer. Auch die Stadt Weißenfels hat den Geldhahn zugedreht. "2003 gab es erstmals keinen Umwelttag mehr", erzählt Dieter Meyer. "Dabei war das fast schon ein Volksfest." Es gab jedes Jahr eine Ausstellung, Energiesparberatung, Umwelttheater, für Kinder eine Öko-Rallye, der jeweilige Baum des Jahres wurde gepflanzt und es kamen meist mehrere hundert Leute. Organisiert wurde die Veranstaltung zusammen mit der Volkshochschule, mit Firmen und der Bundeswehr. 2000 gab es dafür einen Umweltpreis des Landes Sachsen-Anhalt. Doch inzwischen ist die Stadt nicht mehr bereit, den Umwelttag zu unterstützen.
Doch offenbar geht es nicht Allen nur ums Geld und nicht Jeder macht Dienst nach Vorschrift. Der NABU hat auch positive Erfahrungen gemacht. So erreichte die Ornithologen-Gruppe um den 44-jährigen Eckhardt Köhler, dass die Sanierung alter Gemäuer auch der Vogelwelt zugute kommt. Leicht hätte es passieren können, dass etwa im renovierten Schloss Weißenfels kein Platz mehr wäre für Dohlen, Mauersegler oder Schleiereulen. Doch durch viel Überzeugungsarbeit ist es den Vogelfreunden gelungen, dass es nun in den sanierten Schlössern und Burgen im Kreis jede Menge Nisthilfen gibt. "Eine Burg ohne Dohlen ist keine Burg." Das sei sein Hauptargument gewesen, berichtet Ornithologe Köhler schmunzelnd.
Türme für Vögel
"Es ist ein Leichtes für Bauherren, Nisthilfen unterzubringen", meint Köhler. "Leider denken Architekten nicht von selbst an solche Dinge." Doch die privaten Bauherren zu überzeugen, sei heute oft leichter, als mit den staatlichen Stellen klarzukommen, ergänzt Dieter Meyer: Sofort kann er etliche Bauprojekte des Kreises aufzählen, bei denen der Naturschutz weit weniger berücksichtigt werde als etwa beim Schloss Weißenfels.
Besonders stolz aber ist Ornithologe Eckhardt Köhler auf seine eigenen "Bauprojekte". Der NABU hat die alten Trafohäuschen entdeckt, die überall im Kreis herumstehen und verfallen. Zusammen mit den Gemeinden und dem Energieversorger "enviaM" werden einige dieser Trafohäuschen renoviert und mit Nisthilfen ausgerüstet. Auch hier sollen sich Schleiereulen, Mauersegler und Höhlenbrüter ansiedeln. "Sie bekommen ihren eigenen Naturschutzturm, habe ich den Bürgermeistern gesagt", berichtet NABU-Aktivist Köhler. Die Gemeinden seien inzwischen Feuer und Flamme für die Idee, denn sie würden in den 70 Jahre alten Trafohäuschen auch ein kulturelles Erbe sehen, das nun sinnvoll weitergenutzt wird.
Mit dem Energieversorgungsunternehmen gibt es zudem ein erfolgreiches Turmfalken-Projekt. Auf alten, stillgelegten Hochspannungs-Gittermasten wurden 40 Nisthilfen angebracht. Laut Köhler werden sie von den Falken gern angenommen: "Je nach Nahrungsangebot sind mal mehr, mal weniger besetzt. Entscheidend ist, dass stets genug Nistmöglichkeiten vorhanden sind."
Also doch: blühende Landschaften
Also nicht üppige Wälder oder prächtige Felslandschaften, sondern vermeintlich öde Tagebaue und alte Gemäuer - derartige Nischen der Natur gilt es in der ausgeräumten Landschaft im Kreis Weißenfels zu hegen. Hier offenbart sich die schützenswerte Natur vielleicht erst auf den zweiten Blick und droht nicht selten beim Streben nach den "blühenden Landschaften" auf der Strecke zu bleiben. Aber wenn NABU-Aktivisten wie Meyer und Köhler die Zuständigen darauf hinweisen, entdecken vielleicht auch die Politiker, wo die Landschaft tatsächlich blüht.
René Sievert
Kontakt: NABU-Kreisverband Weißenfels-Hohenmölsen, z.Hd. Dieter Meyer, Moritz-Hill-Straße 30, 06667 Weißenfels, meyer-regioplan@t-online.de.