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Jetzt NABU-Mitglied werden!„Umsetzen, was ich früher nur fordern konnte“
Ein NABU-Abschieds-Interview mit Jochen Flasbarth
Zuerst die Basisinformation für die trauernde Gemeinde: Was genau macht der ehemalige NABU-Präsident heute eigentlich?
Ich leite die Abteilung für Naturschutz und nachhaltige Landnutzung im Bundesumweltministerium.
Was gibt es dort zu tun?
Zunächst einmal eine Bemerkung vorneweg: Der Bund hat im Naturschutz nur eine eingeschränkte Zuständigkeit. Die Hauptverantwortung liegt bei den Ländern, während der Bund vor allem für die Rahmensetzung, für den internationalen Naturschutz und für Integration des Naturschutzes in andere Politikbereiche sorgt.
Ein Beispiel bitte.
Der gesamte Veränderungsprozess in der Agrarpolitik ist von außerordentlicher Bedeutung für den Natur- und Umweltschutz. Im Bundesumweltministerium achten wir deshalb sehr darauf, dass die anstehenden Veränderungen in der Agrarpolitik nicht nur ein Mehr an Verbraucherschutz bringen, sondern eben auch einen Beitrag zur Lösung von Natur- und Umweltschutzproblemen leisten.
Wo liegen – neben der Agrarpolitik – weitere Baustellen?
Ein wichtiger Bereich des klassischen Naturschutzes ist es, negative Eingriffe in Natur und Landschaft zu verhindern, oder wo dies nicht möglich ist, sie zu minimieren. Hier befassen wir uns derzeit besonders intensiv mit dem Bundesverkehrswegeplan.
Ein ziemliches Minenfeld...
Ich freue mich, dass ich hier ganz aktuell an der Gestaltung einer der zentralen naturschutz- und natürlich auch umweltpolitischen Weichenstellungen mitwirken kann. Denn die Infrastrukturentscheidungen heute haben ja nicht nur ein Mehr oder Weniger an Naturzerstörungen zum Inhalt, sondern sie werden auch die Umweltauswirkungen der Mobilität für mehrere Jahrzehnte prägen.
Jochen Flasbarth wurde am 4. April 1962 in Duisburg-Rheinhausen geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Nach dem Studium der Volkswirtschaft, Politikwissenschaft und Philosophie in Münster und Bonn arbeitete er zunächst als Lektoratsleiter in einem Bonner Verlag, bevor er 1994 hauptamtlicher NABU-Präsident wurde.
In den damaligen Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) und heutigen NABU kam Jochen Flasbarth als Jugendlicher mit 16 Jahren. In einer Zeit des großen innerverbandlichen Generationenkonflikts wählt ihn dann 1983 die DBV-Jugend zu ihrem Bundessprecher. Als „Rädelsführer“ der aufmüpfigen Jugend droht ihm kurz sogar der Verbandsausschluss. Doch die Fehde zwischen konservativen und progressiven Kräften wird beigelegt und 1989 wird Flasbarth NABU-Vizepräsident, 1992 sogar Präsident – zunächst noch ehrenamtlich.
Besondere „Steckenpferde“ Flasbarths während seiner NABU-Präsidentschaft waren die Verkehrs- und Steuerpolitik sowie das Thema Nachhaltigkeit. Er vertrat den NABU unter anderem im ZDF-Fernsehrat, im Deutschen Naturschutzring sowie im Rat für Nachhaltige Entwicklung und war Vorsitzender des Kuratoriums Naturschutzgeschichte. In den gut zehn Jahren seiner Präsidentschaft stand Jochen Flasbarth vor allem für die Politisierung und Professionalisierung des Verbandes. Die Aufgabenbereiche des NABU – und das Ansehen in der Öffentlichkeit – wachsen enorm, die Zahl der Mitglieder nahm von 153.000 auf 385.000 zu. Heute (2009) hat der NABU mehr als 420.000 Mitglieder und rund 40.000 Förderer. (elg)
Das waren bislang Politikbereiche, die in eigenen Ministerien angesiedelt sind.
Das nennt man Politikintegration. Etwas, was der Naturschutz in der Vergangenheit viel zu wenig betrieben hat. Aber natürlich kümmern wir uns auch besonders intensiv um den klassischen Naturschutz - Artenschutz, Biotopschutz, Großschutzgebiete. Aktuell ist die Übertragung der BVVG-Flächen ein wichtiges Thema. Und natürlich die Natura-2000-Gebiete...
Noch ein kompliziertes Thema.
In der Tat, kompliziert durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Europäischer Union. Der Bund ist unmittelbar nur für die so genannte Ausschließliche Wirtschaftszone auf dem Meer zuständig. Die liegt zwischen der Küstenzone und der offenen See.
Da gibt es doch kaum Streit.
Von wegen. Es gibt jede Menge Konflikte, etwa mit der Errichtung von Windparks, dem Abbau von Bodenschätzen oder der Fischerei. Aber es geht mir auch darum, dort, wo die Bundesländer für die Meldung von Natura-2000-Gebieten verantwortlich sind, das Thema endlich aus einer zähen und miesepetrigen Streiterei herauszuholen. Die Länder müssen erkennen, dass sie künftig viel weniger Probleme haben, wenn sie endlich die Schutzgebiete nach den Vorschriften der EU und das heißt nach den fachlichen Anforderungen des Naturschutzes melden. Der NABU und andere haben da übrigens ausgezeichnete Vorarbeit geleistet.
Danke...
Aber die Verbände müssen auch erkennen, dass es wichtig ist, das Europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 nun tatsächlich Realität werden zu lassen. Das Aufzeigen von Defiziten war und ist wichtig. Absolutheitsansprüche können aber irgendwann auch einmal ins Gegenteil umschlagen.
In der Abteilung Naturschutz ist auch die so genannte Grüne Gentechnik angesiedelt. Ist der Einstieg in die Gentech-Landwirtschaft überhaupt noch zu verhindern?
Ich habe insgesamt den Verdacht, dass bislang weder die Mehrzahl der Naturschutzbehörden noch die Naturschutzverbände ausreichend erkannt haben, welche Gefahren und welche große Herausforderung da auf den Naturschutz zukommen.
Was heißt das?
Bislang steht überwiegend die rote Gentechnik – also in der Medizin – mit ihren ethischen Gesichtspunkten im Zentrum der öffentlichen Debatte. Das ist wichtig, beantwortet aber nicht die Frage nach dem potenziellen Nutzen und den Gefahren der Grünen Gentechnik. Es geht hier einerseits um die Sicherstellung eines sicheren Nebeneinanders von gentechnischer Landwirtschaft einerseits und konventioneller oder ökologischer Landwirtschaft andererseits. Wenn es nicht gelingt, Ökobauern vor gentechnischen Verunreinigungen zu schützen, können wir alle Bemühungen um die Ausweitung des Ökolandbaus vergessen.
Wird es eine Lösung geben?
Es muss sie geben. Aber wir brauchen noch mehr. Wir wollen ja nicht nur verträgliche Landwirtschaftsformen vor der Gentechniklandwirtschaft in Schutz nehmen, sondern es muss auch sicher gestellt sein, dass es keine Beeinträchtigungen der Natur gibt. Und wer zum Beispiel mit einer übergroßen Gentomate operiert, vermag zwar Ängste bei der Bevölkerung auszulösen nach dem Motto „Irgendwie ist das ungesund für mich“. Dabei läuft man aber Gefahr, andere Aspekte des Themas unterzupflügen. Und in dem Moment, in dem es den Lobbyisten der Gentechnik gelingt, die Gesundheitssorgen in der Bevölkerung zu entkräften, wird der Naturschutz ziemlich einsam da stehen. Insofern sehe ich es als wichtige Aufgabe an, sowohl die künftige Gesetzgebung in einem umfassend ökologischen Sinne zu beeinflussen aber auch das politische Bewusstsein für die gesamte Dimension des Themas zu schärfen.
Nun wird es persönlich. Du warst Präsident, bist jetzt Abteilungsleiter – warum macht der das, fragen sich nicht nur unsere Leserinnen und Leser.
Ich finde diese Frage ziemlich spießig. Es ist für viele offenbar schwer verständlich, wenn jemand nach Jahren an exponierter Stelle wieder „in die Linie“ zurückkehrt. Wenn Hierarchien für mich ein Maßstab wären, hätte ich in der Tat nur noch wenige Möglichkeiten gehabt. Mir war auch immer klar, dass ich irgendwann einmal etwas anderes machen werde. Du kannst nicht mit 29 Jahren NABU-Präsident werden und erwarten, auf dieser Position mit 65 in den Ruhestand zu gehen. Das wäre weder für mich gut, noch für den NABU.
In der Tat.
Und in meiner jetzigen Position übernehme ich keine kleine Verantwortung. Ich kann umsetzen – mit allen schmerzhaften Kompromissen – was ich früher „nur“ von außen fordern konnte. Und wenn ich mir etwa den Bereich der biologischen Vielfalt im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik ansehe, dann hat mein neuer Job schon interessante Dimensionen. Es geht hier letztlich um nichts weniger als um die künftigen ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Globalisierung.
Wer in der Internet-Suchmaschine Google den Namen Jochen Flasbarth eingibt, findet 1520 Eintragungen. Du hast das Licht der Öffentlichkeit bisher nie gescheut – wie passt der neue Job zu diesem Wesenszug?
Öffentliche Auftritte sind mir sicher nicht wesensfremd, allerdings habe ich sie nie als Selbstzweck betrachtet. Was ich mir nicht vorstellen kann, ist ein Job, bei dem ich den ganzen Tag alleine im Zimmer sitze, keine soziale Funktion wahrnehme.
Um einen Rückblick auf Deine NABU-Jahre kommst Du nicht herum...
Die außerordentlich positive Entwicklung der letzten 15 Jahre ist durch eine ganze Generation geprägt worden. Viele Vertreter der damaligen DBV-Jugend sind sehr früh in Verantwortung genommen worden – Christian Unselt, Stefan Mörsdorf, oder auch ich. Sie – wir – haben daran gearbeitet, den NABU als gesellschaftspolitische Kraft zu entwickeln, ohne dabei die alten Wurzeln der praktischen Naturschutzarbeit zu kappen. Der Verband versteht sich heute als Akteur, der auf Augenhöhe mit anderen gesellschaftlichen Kräften agiert.
Wird das auch die Nach-Flasbarth-Ära prägen?
Ich hoffe doch sehr. Es wäre ein großer Fehler, wenn im NABU der Wunsch nach den zugegeben etwas übersichtlicheren Themenfeld eines Arten- und Biotopschutzverbandes an Boden gewinnen würde. Wirksamer Naturschutz braucht die Aufmerksamkeit der wichtigen politischen Entscheidungsträger - das ist heute schwerer denn je. Man konsumiert Natur, aber definiert sie nicht wie in den 80er Jahren als eigenes „Überlebensthema“. Dafür hat die Politik ganz feine Sensoren, und sie wird den Naturschutz alleine nicht mit der Aufmerksamkeit verfolgen, die notwendig ist. Der NABU muss sich deshalb auch künftig zur ökologischen Steuerreform, zur Atompolitik oder zur Grünen Gentechnik kompetent äußern. Nur wenn es gelingt, die Naturschutzanliegen so mit der Umweltpolitik zu verknüpfen, dass sie auch in der großen Politik Relevanz bekommen, nur dann hat der NABU eine Chance, im klassischen Naturschutz Erfolge einzufahren.
Wird es dazu kommen?
Einer meiner Vorgänger, Hans Scholten, hat mir einmal gesagt, dass ein so großer Verband wie der NABU eine eigene Klugheit hat. Nach seiner Meinung ist die Gefahr, dass demokratisch organisierte große Verbände wie der NABU dauerhaft schwere Fehlentscheidungen treffen, sehr gering. Ein Stück weit glaube ich daran.
Welche drei Eigenschaften sollte Dein Nachfolger/Deine Nachfolgerin haben?
Spaß am öffentlichen Rampenlicht, eine große Integrationsfähigkeit innerhalb des Verbandes sowie eine ordentliche Portion Langmut.
Wird Dir etwas fehlen?
Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr mit dem Verband aufs engste verbunden. Der NABU hat seither nahezu jeden Tag meines Lebens geprägt. Die vielen positiven Erfahrungen, die menschliche Nähe zu vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern – was ich da erlebt habe, wird nicht zu ersetzen sein.
Bitte beachten Sie, dass diese Archivseite aus dem Jahr 2003 stammt.
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