8 Hektar junger Eichenwald stehen am Tollensesee zum Verkauf. Genau jetzt zum Fest. Wenn wir sie gemeinsam erwerben, kann er sich zum für alle Zeit ungestörten, artenreichen Urwald entwickeln.
Jetzt spenden!Ein Urwald macht Schule
Naturschutz und Naturerleben vor den Toren von Saarbrücken
von Frank Griesel
Mit einem leisen Zischen öffnet sich die Schulbustür, aus der sich mit einem lauten Johlen 27 Drittklässler einer Saarbrücker Grundschule herauswälzen. Sie freuen sich heute ganz besonders auf ihren Unterricht, den der findet ausnahmsweise nicht im Klassenzimmer, sondern im Urwald statt.
Urwald? Gibt es so etwas überhaupt noch in Deutschland? Schon nach wenigen Minuten hat die Wildnispädagogin Annemarie Schmidt die Schüler am Waldrand um sich geschart und blickt in neugierige Kinderaugen: "Wer von Euch weiß denn, was ein Urwald ist?" Die achtjährige Mareike meldet sich: "Na, da ist alles so wie es früher mal war. Da hat auch alles immer so wild rumgelegen".
Dass ausgerechnet mitten im Saarland, in einem Ballungsraum mit 400.000 Menschen, ein Urwald existiert, hat nicht die Natur entschieden, sondern ist einem Handel am grünen Tisch zu verdanken: Mitte der 90er Jahre startete der NABU die bundesweite Kampagne "Lebendiger Wald". Der NABU Saar drängte die Landesregierung, ein großflächiges Wald-Schutzgebiet einzurichten. Zeitgleich wollten Politiker ein größeres Autobahnprojekt durchsetzen und suchten nach einer Ausgleichsmaßnahme. Heute wird das 1003 Hektar große Schutzgebiet "Urwald vor den Toren der Stadt" gemeinsam vom saarländischen Umweltministerium, der Forstverwaltung und dem NABU betreut.
Mitten durchs Dickicht
Annemarie Schmidt verlässt den kleinen Trampelpfad und führt ihre Rasselbande mitten ins unwegsame Dickicht: Sie kraxeln über umgestürzte Bäume, kämpfen sich durch mannshohen Adlerfarn und quälen sich ungeschickt über einen rutschigen Hang. Sie schlagen zugewachsene Wege frei, folgen verschlungenen Wasserläufen und patschen durch aufgestaute Bäche. Wer den Urwald betritt merkt schnell, dass dieser Wald bereits ein wenig anders ist, als andere Wälder. Dabei waren die Voraussetzungen, dass aus dem ehemaligen Wirtschaftswald mal ein anständiger Urwald werden könnte, denkbar schlecht.
Noch heute sind zahlreiche Narben erkennbar, die die Zivilisation dem Wald im Laufe der Jahrhunderte geschlagen hat. Das Schutzgebiet wird von kilometerlangen Schlackenhalden durchzogen. Im Norden des Waldes legten die Nazis zwei Linien des Westwalls gespickt mit Bunkern und Panzersperren an und zum Kriegsende machten alliierte Bomber glücklicherweise nicht die Stadt Saarbrücken, dafür aber den kompletten Südteil des Waldes dem Erdboden gleich. Das Gebiet wird auch heute noch von Landstraßen, Gastrassen und Wasserleitungen durchzogen, es grenzt an eine Autobahn und unter dem Areal wird weiterhin Steinkohle gefördert. Kann aus diesem Wald wirklich unberührte Wildnis werden?
Eine Zumutung für Ordnungsliebende
"Wir haben das Urwald-Projekt auf 200 Jahre angelegt", erklärt NABU-Mitarbeiter und Urwaldförster Peter Schneider. Der Urwaldförster ist jedoch überzeugt, dass der Wald schneller verwildert, als in den Ökologie-Lehrbüchern steht. Damit das passiert, hilft er überall ein wenig nach. Viele Forstwege werden nur auf halber Breite freigehalten, einige Wanderwege lässt man komplett zuwachsen, umgestürzte Bäume werden nicht weggeräumt. Die Motorsäge hat ausgedient. Ein Weggebot gibt es nicht, im Gegenteil. Die Besucher werden ermutigt, quer durch den Wald zu laufen und die Natur zu entdecken.
Ein Konzept, dass begeistern müsste - könnte man meinen. Doch weit gefehlt. Nicht alle Waldbesucher freuen sich über den Anblick einer wilden Natur. Mittlerweile hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die auch ein Wald-Schutzgebiet befürwortet, aber nur ein wenig anders. Eben eines, in dem Ordnung herrscht und umgefallene Bäume weggeräumt werden, damit man bequem mit dem Fahrrad durch den Wald fahren kann. Die ersten Bürger schleichen bereits nachts heimlich in den Wald, um die Wege von umgefallenen Bäumen zu befreien. Urwaldförster Peter Schneider sieht seine Tätigkeit weniger als Naturschützer, sondern mehr als Sozialarbeiter, dessen Aufgabe es ist den Menschen Wildnis positiv zu vermitteln.
Nach der Arbeit in den Wald...
Damit ihm das gelingt, sperrt Urwaldförster Schneider die Menschen nicht aus, sondern holt sie in das Schutzgebiet. Rund 200 Veranstaltungen pro Jahr finden unter dem breiten Laubdächern der Buchen und Eichen statt. Von A wie After-Work-Entspannung bis W wie Wildkochkurse; Musikabende, Lesungen und Ferienprogramme. Klang-Workshops und Wildnis-Foren, Mal-, Foto- und Videokurse und naturkundliche Führungen, Seminare und Vorträge. Und immer lautet der kulturelle Auftrag: Entdeckt die Wildnis, erlebt die Natur. "Wir können einen Wald nicht 200 Jahre lang mit Hilfe von Gesetzen schützen", erklärt Schneider. "Der Wald wird nur Urwald werden, wenn die Menschen ringsum den Wald zu ihrem Schutzprojekt machen."
Im Tal der Stille zieht Wildnispädagogin Annemarie plötzlich ihre Schuhe aus und läuft barfuß über den weichen Waldboden. Erstaunte Blicke: Die achtjährige Sarah freut sich: "Eh, barfuß durch den Wald laufen, dass habe ich ja noch nie gemacht. Das ist ja cool." Die Kinder jedenfalls finden den Urwald jetzt schon klasse - auch wenn er vielleicht erst in 200 Jahren wirklich einer sein wird.
Kurzinfo Saar-Urwald
Schutzstatus: Naturschutzgebiet, Schutzgebiet nach FFH und EU-Vogelschutzgebiet, Important Bird Area (IBA). Komplett im Besitz des Landes. Lebensraumtypen: Nährstoffreicher Hainsimsen-Buchenwald, Erlenbrüche. Seltene Arten: Zwerg-Hirschkäfer, Hirschkäfer, Hohltaube, Grau-, Mittel-, Klein- und Schwarzspecht, Wespenbussard, Wanderfalke, Eisvogel, Waldkauz, Sumpfmeise, Kahlrückige Waldameise, Rote Waldameise, Gelbbauchunken, Feuersalamander, Biber.
Besonderheiten
- umfangreiches Jahresprogramm
- NABU-Wildniscamp unter freiem Himmel
- After-Work-Veranstaltungen; Workshops zu Wildnis und Kunst
ÖPNV
mit der Saarbahn bis Rieselberg Süd, von da weiter zu Fuß/ mit dem Fahrrad auf der Landstraße Richtung Fischbach/Holz bis Einfahrt Forsthaus Neuhaus
Kontakt Urwaldbüro
Forsthaus Wolfsgarten
66115 Saarbrücken
Tel. 0 68 06-102-427
Kontakt Scheunenbüro
Forsthaus Neuhaus
Melanie Lang und Nina Lambert
66115 Saarbrücken
Tel. 0 68 06-102-419
scheune.neuhaus@sfl.saarland.de
Öffnungszeiten Scheunenbüro: Mo. bis Do. 9 - 15 Uhr, Fr. 9 - 13 Uhr
Der Urwald ist ganzjährig auf eigene Gefahr begehbar: www.saar-urwald.de.