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Rückkehr von Auerochse und Wildpferd
Groß-Weidetiere im Naturschutzeinsatz in der Emsaue
von Thorsten Wiegers
"Vierreihiger Stacheldraht ist Bullenstandard", sagt Kristian Mantel. Der Projektbetreuer der NABU-Naturschutzstation Münsterland erklärt einer 15köpfigen Besuchergruppe, warum vor dem "Naturerlebnis an der Ems" zunächst ein gut gesicherter Zaun passiert werden muss. Vor den Besuchern liegt die rund 25 Hektar große Weidelandschaft "Pöhlen". Seit einigen Jahren ist das Gebiet der ganzjährige Lebensraum von Auerochsen und Wildpferden - deshalb der Zaun. Mit einiger Erfahrung schaffen die NABU-Aktiven im Münsterland einen Spagat: Sie setzen Wildpferde und imposante Auerochsen als Landschaftspfleger in der Emsaue ein, ohne den Menschen das einmalige Naturerlebnis vorzuenthalten.
Schon nach wenigen Schritten ist die Besuchergruppe mitten im Geschehen. Kristian Mantel schart die Besucher deshalb noch einmal kurz für ein paar Verhaltensregeln um sich: "Wichtig ist, dass wir in der Nähe der Herden als Gruppe zusammenbleiben."
Neues Lebensraum-Mosaik
Die Flächen nahe Telgte gehören zu einem von insgesamt drei Weidegebieten, die die NABU-Naturschutzstation betreut. Geprägt wird sie von einem vor mehreren tausend Jahren entstandenen Altarm. Verlandete Flussschlingen, Feuchtwiesen, Bruchwälder, Trockenhänge, Sandkuppen und Gehölzgruppen sind Bestandteile dieser vielseitigen Landschaft.
An diesem Augusttag scheint sich die Natur in der Emsaue schon deutlich auf einen ruhigen Spätsommer eingerichtet zu haben. Die Herde Heckrinder, wie diese Auerochsen-Rückzüchtung auch genannt wird, hat sich ein grünes, saftiges Weidefleckchen in sicherer Entfernung gesucht.
Wenn die Emsaue bei Telgte anfangs den Eindruck erweckt, als sei die Zeit inmitten von Wildpferden und Urrindern stehen geblieben, werden die eigentliche Dynamik und auch die enormen Anstrengungen dahinter spätestens bei dieser Führung deutlich. Frisch angelegte Feuchtbiotope zeugen davon, dass hier noch einiges im Wandel ist. Bereits nach wenigen Jahren haben die robusten Weidetiere dafür gesorgt, dass sich das für Weidelandschaften so charakteristische Mosaik aus kurzrasigen Weideflächen, Staudenfluren, Säumen und Gebüschen bildet. "Die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten von Auerochsen und Wildpferden sind der Schlüssel zur großen biologischen Vielfalt", erklärt Schutzgebietsbetreuer Mantel.
Nachweise aus der Steinzeit
"Was ist denn nun der Vorteil dieser wilden Rassen gegenüber den heute üblichen Rindern und Pferden?", will ein Besucher wissen. Eine Steilvorlage für Mantel. Die Emsaue ist eine traditionelle Weidelandschaft. Skelettreste von Auerochsen und Wildpferde aus der Steinzeit zeigen, dass an der Ems schon damals Weidetierherden durch das Münsterland zogen. Große Pflanzenfresser sind Teil des Ökosystem und besonders wichtig, weil sie anderen Tieren dieser halboffenen Parklandschaft die Lebensräume erhalten.
Die robusten Heckrinder und Wildpferde - es handelt sich bei letzteren genau genommen um den Tarpanen verwandte Koniks - können im Gegensatz zu den Hochleistungsrassen das ganze Jahr als Familienverbände auf den Flächen bleiben. Durch ihre Vorlieben und ihr Verhalten gestalten die Weidetiere die Landschaft: Die Wahl bestimmter Futterpflanzen aus dem jahreszeitlich wechselnden Angebot, spezielle Orte zum Suhlen oder ein Netz aus Pfaden zwischen den Weideplätzen - das sind die Faktoren, die für die Artenvielfalt entscheidend sind in einem Gebiet, wo die natürlichen Prozesse weitgehend ohne menschlichen Eingriff ablaufen
Blumen und Wildbienen profitieren
Derzeit tummeln sich 31 Urrinder und elf Koniks auf den drei Weidegebieten an der Ems. Die imposanten Tiere sind zu einem Publikumsmagneten für die Region geworden. Vor allem hat aber die Natur profitiert "Unser Einsatz wurde schon nach kürzester Zeit belohnt", freut sich Kristian Mantel.
Besonders die wärme- und lichtliebenden Pflanzenarten wie Heidenelke, Flockenblume oder Thymian sorgen für eine Blütenpracht, die man sonst eher aus mediterranen Gebieten kennt. Diese wiederum ist die Lebensgrundlage für viele Insekten. Mit weit über 300 Bienen- und Wespenarten ist die Emsaue für diese Gruppe nach derzeitiger Kenntnis das artenreichste Gebiet im atlantischen Teil Nordwesteuropas.
Doch so ganz ohne menschlichen Einsatz waren die Erfolge nicht zu erzielen. Bei den Schutzmaßnahmen kann die NABU-Naturschutzstation auf ein Netz von rund 120 ehrenamtlichen Helfern zurückgreifen. Sie stauen Gräben an, räumen Müll, beseitigen mühsam ganze Uferbefestigungen, entfernen alte Stacheldrahtreste oder ziehen wie zuletzt bei einem großen Arbeitseinsatz Zäune um neu erworbene Flächen.
Auf einem von den Herden ausgetretenen Pfad überqueren die Besucher verlandete Altarme und gelangen an ein noch als Flussschlinge erkennbares Flachgewässer. Struktur- und artenreiche Stillgewässer sind ein zentrales Element in dieser Landschaft. Vogelarten wie Flussregenpfeifer, Kiebitz und Austernfischer finden sich hier ein und mit ihnen sind viele Tiere zurückgekehrt, die schon vor dem Ems-Ausbau in den typischen Flutrinnen und Sümpfen am Emstalrand ihren Lebensraum hatten.
Rebhühner in der Pferdesuhle
Im "Pöhlen" hat sich an diesem Vormittag die Pferdeherde in eine entlegene Ecke des Areals zurückgezogen. Auf dem Weg dorthin fallen große Flächen brauner, nackter Erde auf. Hier entsteht nicht etwa eine neue Baustelle. Hier wurde lediglich die oberste Schicht Mutterboden abgeschoben. Nur wenige Zentimeter unter dem zuvor landwirtschaftlich intensiv genutzten Oberboden tritt der für die Emslandschaft typisch sandige Boden zu Tage. Und genau dort schlummerte das Potenzial einer vergangenen, blühenden Vielfalt. Nach all den Jahren keimen auf diesen freigelegten Flächen nämlich die Samen der hier früher heimischen Pflanzenarten wieder aus.
Einige Sandstellen, die sich an den abgeschobenen Flächen wieder zeigen, werden von den sich suhlenden Pferden frei gehalten. Regelmäßig tummeln sich dort Rebhühner und Wildbienen finden geeignete Stellen für ihre Erdnester.
Auf dem Rückweg zum Ausgangspunkt begegnen die Besucher noch einmal der friedlich weidenden Konik-Herde. Ob sich jemand aus der Gruppe insgeheim nicht doch einen ganz nahen Kontakt mit den Auerochsen inklusive Nervenkitzel und neuem kollegialen Zusammengehörigkeitsgefühl gewünscht hat, ist nicht bekannt. Einigkeit herrscht in der Runde aber darüber, dass Naturschutz und Landschaftspflege mit großen Vierbeinern nicht nur für die Projektbetreuer eine Herausforderung ist, sondern auch für die Besucher einen besonderen Reiz bereit hält.
Besonderheiten
- Karte mit Auerochsenweiden bestellbar in NABU-Naturschutzstation
- Eisvogel, Uferschwalbe, Pirol, Löffelente, Laubfrosch
- liegt auf der NaturGenussRoute, Infos unter www.naturgenussroute.de
ÖPNV
Infos unter www.NABU-Station.de
Von Münster aus gibt es eine schöne Strecke für Radtouren. Man kann auch von Telgte aus dem Emsauen-Radweg folgen.
Sprechzeiten
Büro im Umwelthaus
Zumsandestr. 15
48145 Münster
Tel.: 0251. 987 99 53
Mo. bis Do. 9 - 13 Uhr
Naturschutzstation
Di., Mi. und Fr. 10 - 13 Uhr
Kontakt
NABU-Naturschutzstation Münsterland
Haus Heidhorn
Westfalenstraße 490
48165 Münster-Hiltrup
Tel.: 0251. 971 94 53