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Der Halberg im Fuldatal beherbergt mehr als 1600 Tier- und Pflanzenarten
von Werner Girgert
Sie heißen Mordwanze und Blutzikade, Kriechender Günsel, Betäubender Kälberkropf und Gemeiner Natterkopf. Und dennoch sind die Akteure, von denen hier die Rede ist, nicht dem Drehbuch eines Fantasy-Streifens aus den Traumfabriken Hollywoods entsprungen. Die Insekten und Blütenpflanzen bieten ihr Schauspiel quasi vor der heimischen Haustür dar. Dem jedenfalls, der es sehen will.
Das war nicht immer so. Lange Zeit lag der Halberg im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis in einem Dornröschenschlaf. Seit Generationen wurden die ehemaligen Streuobstwiesen an den Hängen des im Mittel nur 210 Meter hohen Bergrückens nicht mehr genutzt. Für die schillernde Vielfalt der Arten, die sich auf dem stark verbuschten Magerrasen tummeln, interessierte sich selbst im angrenzenden Dörfchen Neumorschen niemand.
Neue Fliegenart entdeckt
Das änderte sich erst mit den Aktivitäten des NABU Schwalm-Eder. Seit 1998 untersuchten die beiden Biologen Hans-Joachim Flügel und Torsten Cloos gemeinsam mit Forstwirt Rolf Angersbach und einem Dutzend weiterer ehrenamtlicher Helfer den Halberg auf seine Biodiversität. Was als Kartierung der Magerrasen begann, entwickelte sich rasch zu einem ambitionierten Forschungsprojekt. Im Verlauf ihrer Untersuchungen entdeckten die Experten auf der nur vier Hektar großen Fläche mehr als 1600 verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Zahlreiche Spezialisten aus ganz Deutschland halfen ihnen dabei, wenn es darum ging, einzelne Arten zu bestimmen.
Dass die Naturkundler am Halberg nicht nur viele bekannte Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten nachweisen, sondern auch mit handfesten wissenschaftlichen Entdeckungen aufwarten konnten, hat ihren Forscherdrang kräftig angespornt. Denn schon im ersten Jahr ihrer Arbeit stießen Flügel, Cloos und Angersbach auf eine bis dahin in der Wissenschaft noch völlig unbekannte Fliegenart, die inzwischen den lateinischen Namen Fannia conspecta trägt. "Da hat uns der Ehrgeiz natürlich erst recht gepackt", gesteht NABU-Kreisgeschäftsführer Torsten Cloos. Und so haben Cloos und seine Kollegen es nicht bei der Suche nach den üblichen Artengruppen wie Vögel, Fledermäuse, Reptilien, Heuschrecken, Tagfalter, Laufkäfer und Gefäßpflanzen belassen. Ihr Arteninventar umfasst inzwischen alle übrigen Käferfamilien, die Nachtfalter, Stechimmen, Zikaden, Wanzen, Schweb-, Dickkopf- und verschiedene andere Fliegengruppen, Köcherfliegen sowie Spinnen, Asseln, Schnecken, Moose, Flechten und Pilze.
Ameisengrille und Gallertkoralle
Der Einsatz hat sich gelohnt. Am Halberg haben die Forscher erstmals in Hessen die Ameisengrille nachgewiesen. Das nur fünf Millimeter große Insekt zählt zwar nicht zu den ganz seltenen Arten, lässt sich aber nur schwer einmal beobachten, wie Hans-Joachim Flügel erläutert. Auch bei den Pilzen gelang ihnen mit der Gallertkoralle ein Erstnachweis für Hessen. Der in Deutschland äußerst seltene Pilz steht wie viele andere Pflanzen- und Tierarten, die am Halberg entdeckt wurden, längst auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Im "Lebendigen Bienenmuseum" in Niederbeisheim, das auch als Zentrum der NABU-Landesarbeitsgruppe Entomologie (Insektenkunde) dient und von Hans-Joachim Flügel geleitet wird, sind die gesammelten Käfer, Fliegen und anderen Insekten in zahlreichen Schaukästen aufgespießt und akribisch genau dokumentiert. So können auch andere Wissenschaftler jederzeit darauf zurückgreifen.
Interessierte Laien hatten zudem unter anderem in den Jahren 2000 und 2006 bei den GEO-Tagen der Artenvielfalt Gelegenheit, unter kundiger Anleitung den Halberg als Schatzkammer der Biodiversität kennen zu lernen. Und dass der nordhessische Bergrücken inzwischen auch weit über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit findet, wurde im vergangenen Jahr wieder einmal deutlich, als der Arbeitskreis der mitteleuropäischen Fliegenkundler dem Halberg einen Besuch abstattete. Prompt stießen die Wissenschaftler während ihrer Exkursion zwischen Gräsern und Büschen auf eine in Deutschland bislang noch nicht beobachtete Augenfliegenart.
Hinweise auf den Klimawandel
Die winzige Fliege, die unter dem Mikroskop betrachtet nur aus Augen zu bestehen scheint, ist ursprünglich in Spanien und anderen Mittelmeerländern beheimatet. Der nördlichste Punkt, an dem sie bisher beobachtet wurde, war Südtirol. Dass sie jetzt auch in Nordhessen anzutreffen ist, führt Hans-Joachim Flügel auf den Klimawandel und den damit verbundenen Temperaturanstieg zurück. Doch die Auswirkungen der globalen Klimaveränderung machen sich am Halberg nicht erst jetzt bemerkbar. Seit rund 30 Jahren fühlt sich die Streifenwanze hier zu Hause. Einst rund ums Mittelmeer und besonders in Italien beheimatet, ist sie inzwischen bis nach Südschweden vorgedrungen.
Der intensiven Erkundung der Artenvielfalt am Halberg ist es aus Sicht von Rolf Angersbach auch zu verdanken, dass der Kalkhügel in die Liste der FFH-Gebiete, also der europäisch bedeutsamen Schutzgebiete, aufgenommen worden ist. "Ohne unsere Arbeit wäre der Berg ebenso wie der Rest des Schwalm-Eder-Kreises naturkundlich gesehen noch immer ein weißer Fleck", ist sich Angersbach sicher. Künftig wollen sich die NABU-Aktiven verstärkt auf die Pflege des Kalkmagerrasens konzentrieren, der als bester seiner Art im Schwalm-Eder-Kreis gilt.
Weitere systematische Erkundungen der Artenvielfalt auf dem Halberg sind aus Zeitgründen vorerst nicht mehr geplant. Dabei haben die Forscher bei ihrer Natur-Inventur auf dem Bergrücken noch längst nicht alle Artengruppen erfasst. Noch fehlen die Kleinsäuger ebenso wie die Würmer und andere Kleinstlebewesen im Erdreich. Für die Fahndung nach ihnen müssen aber die entsprechenden Fachleute erst noch gefunden werden.
Schafe als Landschaftspfleger
Da die Verbuschung bereits stark fortgeschritten ist, sehen die Naturschützer dringenden Handlungsbedarf am Halberg. Um die Magerrasen-Lebensgemeinschaften zu erhalten, hat der NABU zusammen mit den Besitzern der Flächen ein Pflegekonzept erarbeitet. Dazu gehört neben dem Roden der Sträucher die Beweidung mit Ziegen und Schafen. Nur so lassen sich möglichst struktur- und blütenreiche Magerrasenflächen schaffen, die vielen Insekten ein dauerhaftes Nahrungsangebot sichern. Weil sich jedoch nicht genügend ortsansässige Schaf- und Ziegenhalter finden, die bereit wären, ihre Herden auf den kargen Flächen weiden zu lassen, haben die NABU-Aktivisten selbst die Initiative ergriffen und sich eine achtköpfige Schafherde zugelegt. Die darf künftig ganz im Dienste des Naturschutzes den wertvollen Magerrasen von störenden Büschen befreien.
Weitere Informationen gibt es unter www.NABU-Schwalm-Eder.de.