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Im Paradies der Spechte
Der Rainer Wald soll wieder zum Naturwald werden
Endlich steht der Wald wieder unter Wasser. Träge quillt die Flut über das Grabenufer; gemächlich überschwemmt das Wasser den Boden, auf dem Sumpfgras, dichtes Gestrüpp und das Wurzelwerk der Bäume wuchern. Es ist früh am Morgen und die Sonne hat noch wenig Kraft an diesem Juli-Tag. Christian Stierstorfer, Biologe beim Landesbund für Vogelschutz (LBV), bahnt sich seinen Weg das Ufer entlang. "Aha, auf frischer Tat ertappt", entfährt es ihm, als er auf den Grund für die Überschwemmung stößt: Ein dichtes Geflecht aus Ästen, Zweigen und Laubwerk, das von Birken- und Erlenstämmen zusammengehalten wird, verstopft den Graben und verhindert das Ablaufen des Wassers. Ein Biberdamm. "Biberdämme heben den Wasserspiegel", sagt Stierstorfer, der sichtlich erfreut ist über seine Entdeckung. "Das hilft uns."
Totholz für die nächste Generation
Der LBV hat Großes vor mit diesem 100-Hektar-Waldstück, das wenige Kilometer südöstlich von Regensburg liegt; dort, wo die Große Laaber in die Donau mündet. Die Parzelle, die der bayrische NABU-Partner im September des vergangenen Jahres gekauft hat, ist das ökologische Filetstück des rund 300 Hektar großen Rainer Waldes, der mit seinen Beständen an Erlen, Eschen und Stieleichen zu den letzten verbliebenen Auwald- und Bruchwaldresten in diesem Gebiet zählt. Doch selbst diese Relikte sind bedroht: Obwohl der Rainer Wald zum europäischen Naturschutz-Netz Natura 2000 gehört, wurden immer wieder Nasswiesen aufgefüllt und Alteichen gefällt. Auf der LBV-Parzelle soll damit nun Schluss sein: Jegliche forst- und landwirtschaftliche Nutzung ist untersagt; der Wald soll die Chance bekommen, sich zum Urwald zu entwickeln.
Der Prozess ist bereits in Gang gekommen: Ein paar Schritte vom Biberdamm entfernt, hat sich eine niedergebrochene Eiche in den Kronen der umstehenden Bäume verfangen; ihr Stamm ist dicht über dem Erdboden geborsten, die rissige Borke von Moos überwuchert, das Holz darunter morsch. Niemand wird den gestürzten Baumriesen entsorgen; im Gegenteil: Totes Holz ernährt Pilze und Flechten; Bienen und Wespen nisten darin; Käfer, Ameisen und Regenwürmer zersetzen es weiter, bis nurmehr Humus übrig bleibt, aus dem die nächste Pflanzengeneration erwächst. "Totholz ist der erste Schritt zum Naturwald", sagt Christian Stierstorfer. Allerdings sei es im Rainer Wald nicht damit getan, die Natur einfach nur Natur sein zu lassen: "Zuerst müssen wir dem Wald wieder auf die Beine helfen."
Überschwemmung als Normalfall
Der LBV plant einen schonenden Waldumbau; weg von gebietsfremden Baumarten, die aus forstwirtschaftlichen Erwägungen gepflanzt wurden, hin zu standortgerechten Bäumen, die dem natürlichen Potenzial des Rainer Waldes gerecht werden. "Kanadapappeln werden wir beispielsweise gegen heimische Schwarzpappeln austauschen", erläutert Stierstorfer das Konzept. Dann deutet der drahtige Biologe mit einem langen, eisenbewehrten Ast, der ihm als Wanderstab, Zeigegerät und Fotostativ dient, auf ein paar vereinzelte, von Fichten umzingelte Eichen. "Drückende Fichten werden gefällt, damit die Eichen mehr Platz bekommen." Auf diese Weise sollen nach und nach auch wieder Eichen-Hainbuchen-Wäldchen entstehen; eine Waldart, die früher das Gebiet zum Teil geprägt hat.
Gehölzumbau allein ist allerdings zu wenig, um dem Rainer Wald seinen einstigen Charme zurückzugeben. Große Teile des Waldes standen früher regelmäßig unter Wasser; das vereinzelte Vorkommen von Sumpfsegge und Gelber Schwertlilie und die Stelzwurzeln vieler Altbäume zeugen noch heute vom damaligen hohen Grundwasserspiegel. Im Zuge der Laaber-Kanalisierung in den 30er Jahren begann man jedoch, den Rainer Wald zu entwässern. Ein Netz knietiefer Gräben durchzieht bis heute den gesamten Wald; in manchen von ihnen steht eine trübe Brühe, andere sind ausgetrocknet und auf dem Grund von dichtem Laub bedeckt. Das mag heute zwar malerisch aussehen, hat dem Wald jedoch gar nicht gutgetan: Erlenbruchwälder trockneten nach und nach aus; zuvor extensiv genutzte Niedermoorbereiche verwandelten sich in intensiv bewirtschaftete Äcker und feuchte Waldgebiete wurden zu nutzholzdominierten Forstflächen. Zumindest auf der LBV-Parzelle wird jetzt allerdings die Biber-Familie dafür sorgen, dass regelmäßige Überschwemmungen wieder zum Normalfall werden.
Alteichen in den Heiligen Hallen
Die Sonne hat an Kraft gewonnen; in ihren Strahlen glitzern hell die Pappelsamen, die als weißer Flaum in der Luft schweben und sich wie große Schneeflocken im Unterholz verfangen oder auf dem Gras absetzen. Christian Stierstorfer inspiziert eine Alteiche. Vorsichtig tastet der 37-jährige Biologe einen tiefen Riss ab, der sich den Baum hinaufzieht. Dahinter hat sich ein Hohlraum gebildet - ideal für Fledermäuse. In den bemoosten Stamm des Baum-Veteranen haben Spechte ihre Bruthöhlen gehämmert.
Die Spechte fühlen sich besonders wohl im Rainer Wald: In den lichten Erlen-Ulmen-Auwäldern nisten Bunt-, Grün- und Kleinspechte; die Höhlungen alter Eschen und Pappeln bewohnen Grauspechte und auch ein Schwarzspechtpärchen nistet hier - imposant anzuschauen sind diese Vögel mit ihrem mattschwarz schimmernden Gefieder und dem roten Scheitel oder Nackenfleck. Mit seinem eisenbewehrten Ast deutet Stiersdorfer auf eine Gruppe mächtiger Alteichen: "Das sind unsere Heiligen Hallen", sagt er stolz. "Die Bäume sind an die 200 Jahre alt." Baum-Persönlichkeiten mit unverkennbarem Charakter sind sie alle, und für den Mittelspecht, der hier ebenfalls nistet, sind sie das Paradies auf Erden.
von Hartmut Netz (Naturschutz heute 2008)