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Grünes Wende-Wunder DDR-Nationalparkprogramm
Glück haben nur die Tüchtigen. Tüchtig sind die Naturschützer um Michael Succow in den Wendemonaten 1989/90 zweifellos. Und Glück haben sie auch, mehr als einmal. Zum Schluss hängt es ausgerechnet an der Müllabfuhr, deren Streik lässt die letzte Sitzung des DDR-Ministerrats fast platzen. Aber nur fast, und so wird am 12. September 1990 das Nationalparkprogramm doch noch endgültig verabschiedet. Nach weniger als einem Jahr Vorarbeit sind 5.000 Quadratkilometer unter Schutz gestellt.
Als im Herbst 1989 in der DDR erst Tausende und bald Hunderttausende auf die Straße gehen, meint die geforderte Reisefreiheit nicht nur den Weg nach Westen. Zum demokratischen Wandel soll auch die Aufhebung der Grenzsicherungsgebiete und der Staatsjagden gehören. Gerade in diesen Gebieten Nationalparke oder Biosphärenreservate zu schaffen, heißt die Privilegien der Herrschenden zu brechen. „Darüber bestand ein breiter gesellschaftlicher Konsens“, betont Ulrich Meßner, 1989 Mitgründer der Bürgerinitiative Müritz-Nationalpark und heute Nationalparkleiter: „Die Euphorie war echt.“
Vergebliche Anläufe
Anläufe hat es immer wieder gegeben. Schon 1953 versucht Kurt Kretschmann – Vater der Naturschutzeule und inzwischen verstorbener NABU-Ehrenpräsident – Nationalparke im DDR-Naturschutzgesetz zu verankern. Der Versuch scheitert ebenso wie spätere, etwa im Elbsandsteingebirge oder auf dem Darß ein solches Reservat einzurichten. So hat am Ende der Westen die Nase vorne, wo 1970 der Bayerische Wald zum ersten deutschen Nationalpark erklärt wird.
Das Nationalparkprogramm
Das „Nationalparkprogramm der DDR als Baustein für ein europäisches Haus“ entstand 1989/90 in mehreren Stufen. Es enthielt zunächst fünf Nationalparke – Vorpommersche Boddenlandschaft, Jasmund auf Rügen, Müritz, Hochharz und Sächsische Schweiz –, sechs Biosphärenreservate – Südost-Rügen, Schorfheide-Chorin, Spreewald, Mittlere Elbe, Rhön und Vessertal – sowie 16 Naturparke. Von den Naturparken wurden zunächst aber nur drei beschlossen, nämlich Schaalsee, Drömling und Märkische Schweiz. Damit waren rund 500.000 Hektar oder 4,5 Prozent des DDR-Territoriums gesichert und via Einheitsvertrag in das vereinte Deutschland übernommen. Fast alle übrigen einstweilig gesicherten Naturparke wurden in den Folgejahren noch ausgewiesen, das gleiche gilt für den bereits zu DDR-Zeiten konzipierten Nationalpark Unteres Odertal. Andere Gebiete wurden erweitert oder umgewandelt. So ist die Schaalseeregion heute Biosphärenreservat und unweit des Vessertals entstand neu der Nationalpark Hainich.
Für einen Müritz-Nationalpark „gab es sogar eine recht umfassende Analyse durch die staatliche Territorialplanung“, erinnert sich Michael Succow. Die Oberen bedanken sich auf ihre Art für die interessanten Hinweise auf unberührte Naturschätze: „Mit Etablierung Erich Honeckers und dessen Jagdgelüsten werden alle Vorschläge letztlich zu Staatsjagdgebieten ernannt.“
Dessen ungeachtet entsteht 1978 bei einem Treffen der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) in kleinem Kreis eine Liste wertvoller Landschaften „die es verdient hätten“. Das Nationalparkprogramm „war also kein Husarenstreich“, betont Succow. „Es war über lange Jahre in den Köpfen von führenden Naturschützern. Und es gab bereits die Zweiteilung in Naturentwicklungsgebiete und in Resten erhaltene harmonische Kulturlandschaften.“
Ohnmacht und Zerfall
Ohne die friedliche Revolution 1989 jedoch wäre es wohl beim Konzept in den Köpfen geblieben. Michael Succow ist zu dieser Zeit Volkkammer-Abgeordneter der LDPD. „Ich fand mich mitten im politischen Geschehen dieser sich auflösenden DDR und habe all das live erlebt, den Abtritt von Honecker, Mielkes groteskes ‚Ich liebe Euch doch alle‘. Ich erlebte die ganze Ohnmacht, den Zerfall des Staates.“
Zu den „möglichst unbelasteten Menschen“, die der neue Regierungschef Hans Modrow versammelt, gehört auch Michael Succow. Anfang 1990 wird er stellvertretender Umweltminister, zuständig für Naturschutz und die Ökologiesierung der Landnutzung. So werden rund 50 riesige, industriemäßige Tierproduktionsanlagen geschlossen, meist Schweinekombinate. „Wir haben damals bis auf eine Rindermastanlage alles anderen schließen können – vom Volk gewollt und durch den Ministerrat abgesegnet. Diese unglaubliche Güllebelastung wollte niemand mehr ertragen. Das ist heute fast vergessen.“
Alle Freiheiten
Doch Succows Haupt-Augenmerk gilt dem Nationalparkprogramm. Der „erste Aufschlag“ kommt von der Bürger-Initiative Müritz-Nationalpark. Der noch aus dem alten Regime stammende Umweltminister Hans Reichelt gibt Succow grünes Licht: „Sie haben bei mir alle Freiheit, ich rede nicht dazwischen. Was Sie meinen, was gemacht werden muss, machen Sie.“
Succow lässt sich das nicht zwei Mal sagen: „Wir Naturschützer wussten ja, was wir wollten, und uns war klar, wir mussten jetzt schnell handeln.“ Zuerst einmal wird Personal benötigt. Staatliche Naturschützer gibt es nur wenige, fast alle sind Teil der Forst- und Jagdpartie. Während der wuchernde DDR-Staatsapparat überall zurückgebaut wird, stimmt der Ministerrat zu, den Naturschutz als einen „unterentwickelten Bereich“ zu stärken. Rekrutiert werden vor allem ehrenamtliche Naturkundler aus der Gesellschaft für Natur und Umwelt.
„In der Wendezeit haben diese Leute mit Herzblut und Sachverstand im wortwörtlichen Sinne Tag und Nacht gearbeitet“, betont Michael Succow. Das gilt erst recht für den kleineren Kreis im Ministerium. In der „Viererbande“ ist Leberecht Jeschke für die innerdeutsche Grenze zuständig, Hannes Knapp kümmert sich um die künftigen Nationalparke und Lutz Reichhoff um die Biosphärenreservate.
Einstweilige Sicherung
Auch als Minister Reichelt von Peter Diederich abgelöst wird, hat Succow weiter freie Hand. Unmittelbar vor der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März steht das Programm. Mit Unterstützung von Matthias Platzeck als Minister ohne Geschäftsbereich werden 10,8 Prozent der DDR-Fläche als „Schutzgebiete gesamtstaatlicher Repräsentanz“ einstweilig gesichert.
Wenige Tage später beginnt die neue Regierung unter Lothar de Maiziere, die Beschlüsse der Modrow-Regierung reihenweise zu kippen – die Schutzgebiete jedoch werden nicht angetastet. Dafür verliert Michael Succow seine Stellung. Als ihn Karl-Heinz Steinberg – der dritte Umweltminister in wenigen Monaten – zum Unterabteilungsleiter herabstufen will, nimmt Succow seinen Abschied. Doch von außen gehen die Arbeiten weiter. Auch Steinberg ist durchaus für das Nationalparkprogramm und beauftragt Succow mit einem Gutachten für den Oder-Nationalpark.
Bürokratische Mühlen
Inzwischen drängt die Zeit immer mehr. Der Zug zur deutschen Einheit nimmt täglich Fahrt auf. Mit der Währungsunion tritt am 1. Juli 1990 auch die Umweltunion in Kraft. Und damit „3.000 Seiten BRD-Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften“, so Arnulf Müller-Helmbrecht, der kurz zuvor als juristischer Berater aus dem West-Umweltministerium Klaus Töpfer an das Ost-Ministerium abgeordnet wird.
Müller-Helmbrecht soll „sich um das Nationalparkprogramm kümmern“ und erweist sich dabei als erneuter Glücksfall. Nur zwei Monate Zeit sind für die Zonierung der Reservate und Übertragung in West-Recht. An der Müritz entwirft der Aufbaustab des Nationalparks eine eigene Schutzgebietsverordnung, um notfalls wenigstens dieses eine Reservat durchzusetzen. Damit ist eine Blaupause auch für die übrigen Gebiete entstanden, das Programm geht in letzter Minute in den Ministerrat. Drei Wochen später werden die Reservate als „fortgeltendes DDR-Recht“ in den Einigungsvertrag aufgenommen.
Helge May
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