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Der Harz ist Deutschlands einziger Ost-West-Nationalpark
In der Reisegruppe kommt Unruhe auf. Während sich die Dampflok der Brockenbahn auf dem schmalen Schienenweg hinauf zur Bergkuppe schnaufend ins Zeug legt, nehmen die beiden rüstigen Rentnerpaare von ihren Fensterplätzen aus den vorbeirauschenden Fichtenwald unter die Lupe. Ein wenig aufgeräumter dürfte es schon sein, sind sich die Harz-Urlauber einig. Dass so viel totes Holz zwischen den stolz aufragenden Fichten liegen bleibt, passt nicht in ihr Bild vom deutschen Wald.
Doch die Unordnung hat System. Die abgestorbenen Bäume nicht mehr abzutransportieren, ist Teil des Nationalparkkonzepts, das Parkdirektor Andreas Pusch nicht müde wird zu erläutern: „Wenn man uns sagt, ihr lasst die Flächen verwildern, ist das eher ein Kompliment.“ Denn wie in anderen deutschen Nationalparks lautet auch im Harz das Motto, die Natur sich selbst zu überlassen.
Naturraum wiedervereint
Pusch trägt die Verantwortung für Deutschlands größten Waldnationalpark, der sich auf 24.700 Hektar von Herzberg in Niedersachsen bis Ilsenburg in Sachsen-Anhalt erstreckt. Der erste länderübergreifende Nationalpark ist ein verspätetes Kind der deutschen Wiedervereinigung, mit der auch die künstliche Trennung dieses einzigartigen Naturraumes ihr Ende fand. 2006 ist der Nationalpark Harz aus der Fusion des 16 Jahre zuvor noch von der letzten DDR-Regierung gegründeten Nationalparks „Hochharz“ mit dem 1994 eingerichteten niedersächsischen Nationalpark „Harz“ hervorgegangen.
Spätestens im Jahr 2022 soll auf 75 Prozent der Nationalparkfläche allein die Natur das Sagen haben über Aussehen und Zusammensetzung der Wälder. Zurzeit bringt es die unberührte „Naturdynamikzone“ auf einen Flächenanteil von 41 Prozent. Die Bergfichtenwälder in den Hochlagen des Brockens, der Hohne, des Ackers und des Bruchberges zählen dazu ebenso wie die Buchenwälder der Randlagen. Weitere 58 Prozent der Parkfläche sind als „Naturentwicklungszone“ deklariert. Dort sieht das Nationalparkkonzept lediglich kleinere Eingriffe zur Unterstützung der natürlichen Waldentwicklung vor, etwa wenn es darum geht, den Laubwaldanteil zu erhöhen.
Schwarzstorch und Sperlingskauz
Auf den ausgedehnten Höhenlagen des nördlichsten deutschen Mittelgebirges finden heute schon zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten einen weitgehend ungestörten Lebensraum. Schwarzstorch und Sperlingskauz leben hier ebenso wie Auerhahn und Raufußkauz. Durch die dichten Wälder streifen Wildkatze und Luchs. Die Wiederansiedlung des Luchses ist erfolgreich abgeschlossen. Mehr als 40 Jungtiere wurden gezählt.
Lernen in wilder Natur
Einen spannenden Einblick in die Geschichte des Harzes bietet der NABU Niedersachsen in seinem Nationalparkhaus Sankt Andreasberg. Eine abwechslungsreich gestaltete Ausstellung entführt die Besucher in die Tier- und Pflanzenwelt sowie in die Geologie von Deutschlands nördlichstem Mittelgebirge. Die Epoche des intensiven Bergbaus, dem der einst üppige Laubwald des Harzes zum Opfer fiel, wird in einer detailreichen Modelllandschaft wieder lebendig. Computeranimationen und ein Erlebniskino informieren über den Kreislauf des Naturwald-Ökosystems und die Rückkehr der Wildnis im Nationalpark.
Im Lesecafé bietet eine kleine Bibliothek Gelegenheit zum ausgiebigen Schmökern. Das Nationalparkhausteam bietet fachkundige Führungen durch die Ausstellung sowie zahlreiche Themen-Exkursionen und Wildnis-Wanderungen durch den Nationalpark an.
Öffnungszeiten: April bis Oktober von Montag bis Freitag 10-18 Uhr, Samstag und Sonntag sowie an Feiertagen 10-17 Uhr; November bis März von Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr, montags (außer feiertags) sowie am 1. Januar und 24. Dezember geschlossen. Kontakt: Tel. 0558-923074, www.nationalparkhaus-sanktandreasberg.de.
In mehr als 1.100 Metern Höhe tummeln sich auf der kargen Brockenkuppe Ringdrossel, Hausrotschwanz, Baum- und Wiesenpieper zwischen Zwergsträuchern und Bergheide. Im rauen Harzklima hat sich neben der Brocken-Anemone eine für skandinavische Breiten typische Vegetation erhalten. Und der bereits 1890 angelegte Brockengarten versammelt heute wieder rund 1.600 Hochgebirgspflanzen aus allen Teilen der Welt.
Problembaum Fichte
Wald soweit das Auge reicht bietet sich auch den jährlich rund vier Millionen Besuchern des Nationalparks. Mit einem Anteil von 80 Prozent dominieren die Fichtenbestände – ein Überbleibsel aus jener Zeit, als Bergbau und Hüttenwesen den Menschen im Harz reichlich Arbeit gaben, mit ihrem unersättlichen Holzbedarf jedoch die vorhandenen Laubwälder drastisch dezimierten. An die Stelle von Buchen und Eschen trat der „Brotbaum“ der Harzer Forstwirtschaft, die schnell wachsende Fichte. Die großflächigen Monokulturen prägen heute besonders das Bild in den mittleren Lagen.
Gerade diese standortfremden Bestände bereiten Nationalparkchef Pusch und seinen Mitarbeitern Kopfschmerzen. Die älteren Fichten sind nicht nur anfällig gegen Sturm. Geschwächt von den Auswirkungen des Klimawandels, bieten sie auch dem Borkenkäfer eine ideale Angriffsfläche. Zunehmend trockenen und heißen Sommern wie in den Jahren 2003 und 2006 haben sie nichts entgegenzusetzen. So hatte der Orkan „Kyrill“ 2007 ein leichtes Spiel. In den verwüsteten Fichtenkulturen, die er hinterließ, erledigten Borkenkäferschwärme den Rest.
Invasion des Borkenkäfers
Besonders im nördlichen Teil des Nationalparks um Bad Harzburg, Ilsenburg und Scharfenstein sind kahle Bergkuppen zu sehen. Die Nationalparkverwaltung bemüht sich, die Borkenkäfer-Invasion aufzuhalten, indem sie die befallenen Fichtenbestände beseitigt. Eine 500 Meter breite Sicherheitszone entlang der gesamten Parkgrenze soll die benachbarten Wälder vor dem Überschwappen der „Borkenkäferwelle“ schützen.
Bei der örtlichen Bevölkerung, bei der Tourismusbranche und bei den Kommunalpolitikern hat der großflächige Waldeinschlag für Verstimmungen gesorgt und die ohnehin vorhandene Skepsis gegenüber dem Nationalpark verschärft. Sie alle eint die Angst, angesichts der gerodeten Hänge könnten auch im Ostharz künftig die Touristen ausbleiben. Schließlich verzeichnen die Nachbarn im Westen schon seit geraumer Zeit Rückgänge bei den Übernachtungen von bis zu fünf Prozent pro Jahr.
Gerodete Hänge
Einig sind sich die Kritiker auch darin, dass die Parkverwaltung die Verantwortung für das Desaster trägt. „Man hätte die befallenen Fichtenbestände gleich rausnehmen müssen“, sagt Frank Glitsch, Geschäftsführer der Tourismus GmbH Ilsenburg, mit Blick auf den Meineberg, Ilsenburgs Hausberg. Dass seine Stadt in diesem Jahr dennoch mit einem zweistelligen Plus bei den Übernachtungszahlen rechnen kann, führt der Tourismus-Manager auf die unberührten Laubwälder gleich nebenan im Ilsetal und im Eckertal zurück.
Trotz harscher Kritik hält Andreas Pusch an seiner Doppelstrategie fest. In der „Naturdynamikzone“ im Innern des Parks wird es auch künftig keine Aktionen gegen den Borkenkäfer geben. Auf den übrigen Flächen sollen befallene Fichtenbestände wenn nötig beseitigt werden. Dort erhält eine neue Laubwaldgeneration ihre Chance.
Unterstützung bekommt Pusch von Walter Wimmer, NABU-Geschäftsführer Südostniedersachsen/Harz. Wimmer warnt vor übertriebener Panik: „Die Bergkuppen werden auch künftig nicht kahl sein.“ Er ist sich sicher, dass die Fichten die abgeholzten Flächen rasch zurückerobern werden, wenn man sie lässt. Das wird jedoch nicht überall der Fall sein. Wimmer sieht wie Pusch die Chance, im Schutz der noch intakten Fichtenbestände den Laubwaldanteil deutlich zu erhöhen. Mit dem „Borkenkäferpfad“ bei Ilsenburg und dem „WaldWandelWeg“ bei Torfhaus wirbt die Parkverwaltung neuerdings bei Besuchern und Einheimischen verstärkt um Verständnis für ihr Konzept.
Schneekanonen und Mountainbikes
Für Konfliktstoff sorgt nicht nur der Borkenkäfer. Auch Tourismus und Naturschutz lassen sich mitunter nur schwer vereinbaren. Projekten wie der vom NABU scharf kritisierten Einrichtung von Schneekanonen für das Biathlonzentrum Sonnenberg durch den niedersächsischen Skiverband oder dem Ausbau des Streckennetzes für Mountainbiker stimmt Parkchef Pusch oft nur zähneknirschend zu.
Kritik hat er auch für den Ausbau des Goethe-Pfades hoch zum Brocken geerntet. Manchem Naturschützer ist der Ansturm von jährlich 1,3 Millionen Besuchern auf dem „Zauberberg der Deutschen“ samt gastronomischer Auswüchse ein Dorn im Auge. Pusch spricht von einem „vernünftigen Miteinander“ von Naturschutz und Tourismus auf dem Brocken. Die Besucherlenkung funktioniere, und letztlich überwiege der „Renaturierungsfortschritt“. Bis zur Wende waren im damaligen militärischen Sperrgebiet auf der Brockenkuppe fünf Hektar Bodenfläche versiegelt, heute ist es nur noch ein Hektar.
Konfliktfrei ist die Vereinigung von Naturschutz Ost und West nicht über die Bühne gegangen. Nicht nur Mitarbeiter des ehemaligen Nationalparks Hochharz, auch Naturschützer in Sachsen-Anhalt wähnten sich bei der Fusion vom Westen überrollt. Eilte den Niedersachsen doch der Ruf voraus, es gehe ihnen angesichts rückläufiger Touristenzahlen in erster Linie um die Werbewirksamkeit des Brockens, mit dem bis dahin allein der Osten punkten konnte.
Streit um Waldentwicklung
Experten warnten, die Qualitätsstandards im Naturschutz Ost könnten sich auf Westniveau senken und der Wald intensiver bewirtschaftet werden. Im Unterschied zum niedersächsischen Nationalpark erfüllte der Hochharz die Kriterien der Weltnaturschutzunion bereits, die auf 75 Prozent der Fläche eine unbeeinflusste Entwicklung fordern.
2007, ein Jahr nach der Fusion, eskalierte der Streit um den Wald: Mitarbeiter aus Sachsen-Anhalt fühlten sich bei Entscheidungen der Parkverwaltung übergangen, als es darum ging, die bis dahin geteilte Zuständigkeit in niedersächsische Hoheit zu überführen.
Im Osten hielt man den großflächigen Waldeinschlag zur Käferbekämpfung nicht für vereinbar mit dem Nationalparkkonzept. Beobachter befürchten, dass Puschs Doppelstrategie, die Borkenkäfer in den Kernzonen gewähren zu lassen und in den Entwicklungszonen zu bekämpfen, nur schwer zu vermitteln ist und die Akzeptanzprobleme des Nationalparks in der Öffentlichkeit vergrößern wird.
Werner Girgert
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