Honigfelsen. - Foto: BR Pfälzerwald/Yvon Meyer
Waldmeer zwischen roten Felsen
Die Häuser der historischen Altstadt, das Pflaster des zentralen Meßplatzes, sogar das Flussbett der Queich – in Annweiler am Trifels ist alles wie von einem rötlichen Schimmer überzogen. Das 7.000-Einwohner-Städtchen in Rheinland-Pfalz wurde im Mittelalter auf den roten Buntsandsteinböden des Pfälzerwaldes errichtet und ist Ausgangspunkt für die Erkundung des Südostens dieses rauen Mittelgebirges.
Folgt man dem Lauf der Queich flussaufwärts, vorbei an den Fachwerkhäusern des alten Gerberviertels, lässt man schon bald die Stadtgrenze hinter sich und wandert durch tiefsten Wald.
Deutsch-französisches Reservat. Der Pfälzerwald, ein dünn besiedelter Landstrich zwischen Kaiserslautern im Norden, der Rheinebene im Osten, der französischen Grenze im Süden und dem Saarland im Westen, ist Deutschlands größtes zusammenhängendes Waldgebiet. Auf knapp 1.800 Quadratkilometern erstreckt sich eine vielfältige Mittelgebirgslandschaft mit tief eingeschnittenen Tälern, von Wind und Wetter dramatisch modellierten Felsformationen und der vermutlich höchsten Burgendichte Deutschlands. Fast drei Viertel des Gebiets sind bewaldet; menschliche Ansiedlungen haben dagegen nur einen Anteil von fünf Prozent.
Mit den Nordvogesen, seinen südlichen Ausläufern auf französischem Boden, bildet der Pfälzerwald das über 3.000 Quadratkilometer große Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen. Biosphärenreservate sind von der Unesco initiierte Modellregionen für nachhaltige Entwicklung, in denen es neben klassischem Naturschutz um das harmonische Miteinander von Mensch und Natur geht. Damit das klappt, sind sie in Kern-, Pflege- und Entwicklungszonen gegliedert.
Buchen auf dem Vormarsch. Vom Luitpoldturm auf dem Weißenberg, einem knapp 35 Meter hohen Sandsteinbauwerk, hat man einen weiten Blick über die größte Kernzone des Reservats, wo die Natur weitgehend sich selbst überlassen bleibt. Das Waldmeer zu Füßen des Turms ist das Quellgebiet der Wieslauter, aber auch Streifgebiet für Luchs und Wildkatze und Keimzelle für den Urwald der Zukunft.
Es dominieren Buche, Eiche und Kiefer mit Einsprengseln von Tanne und Esskastanie. Doch auf lange Sicht werde sich die Vielfalt der Baumarten zugunsten der Buche verringern, berichtet Christina Kramer, die an der Brüstung der Aussichtsplattform lehnt. Die drahtige junge Frau ist im Reservat für Landschaftspflege zuständig: „Jungbuchen warten im Schatten alter Baumkronen ab, bis sich eine Lücke auftut“, erläutert sie. „Dann wachsen sie schnell in die Höhe und lassen keine anderen Bäume mehr hochkommen.“
Modellprojekte in der Entwicklungszone. Kernzonen werden von Pflegezonen abgeschirmt, in denen nur naturnahes Wirtschaften zulässig ist. Daran schließt sich die Entwicklungszone mit Siedlungen und wirtschaftlicher Infrastruktur an. Sie ist in der Regel die größte Zone und nimmt im Pfälzerwald gut zwei Drittel der Fläche ein. In der Entwicklungszone fördert die Reservatsverwaltung mit Modellprojekten die nachhaltige Bewirtschaftung der Landschaft.
Zum Beispiel in Gräfenhausen, einem 600-Seelen-Dorf mit langer Weinbautradition. Das Dorf liegt nahe Annweiler in einem Seitental der Queich, an dessen Hängen Wald, Wein und Esskastanien gedeihen. An einem davon, dem Wingertsberg, folgt Winzerin Andrea Schneider sicheren Tritts einem schmalen Pfad.
Lichte Inseln dank Beweidung. Rechts und links des Pfades wechseln sich offene Wiesen, dichtes Brombeergestrüpp und knorrige Obstbäume ab. Obst- und Weinbau seien hier schon Ende der 70er Jahre aufgegeben worden, berichtet Schneider. Die verlassenen Parzellen seien nach und nach verbuscht: „Noch vor wenigen Jahren war der gesamte Hang bis auf drei Meter Höhe zugewuchert.“
Warum das heute anders ist, wird an der nächsten Biegung klar. Dort erwartet eine Herde Ziegen die Wanderer, beschnuppert sie von oben bis unten und will partout den Weg nicht freigeben. Seit 2015 weiden etwa 30 der weißbraunen Tiere auf dem Wingertsberg. Gemeinsam mit einer Herde Heckrinder und zwei Eseln halten sie das 13 Hektar große Gelände offen. Entstanden ist eine halboffene, extensive Weidelandschaft mit hoher Artenvielfalt. Die Zahl der Brutvogelarten, darunter der seltene Wendehals, habe sich mehr als verdoppelt, berichtet Andrea Schneider.
Unzerschnittene Lebensräume. Aufgegebene Landwirtschaft ist der Grund, warum die bewaldete Fläche des Pfälzerwaldes seit Jahren wächst. Wenig zwar, aber stetig. Hinzu kommt der geringe Erschließungsgrad, einzigartig in Deutschland, wo Naturräume von Siedlungen, Industrie und einem dichten Verkehrsnetz stark fragmentiert sind. Das hat diese Region zum Refugium seltener Tier- und Pflanzenarten gemacht. Im Wald und an seinen Rändern fühlen sich Hirschkäfer und Schlingnatter wohl; in den roten Felsen brüten Uhu, Kolkrabe und Wanderfalke.
Doch das Bild vom Naturidyll ist nicht ungetrübt. Der autobahnähnliche Ausbau der B10, die den Pfälzerwald auf etwa 50 Kilometern zwischen Landau und Pirmasens durchschneidet, erhitzt die Gemüter. Umweltschützer fürchten Naturzerstörung im großen Stil. Klar ist, dass der Ausbau erhebliche Eingriffe erfordert; Eingriffe, die sogar den Status als Biosphärenreservat gefährden könnten. In dieser Sache spricht die Unesco das letzte Wort über den tiefen Wald zwischen roten Felsen.
Hartmut Netz (Artikel aus „Naturschutz heute“ 3/21)
Das Biosphärenreservat online: www.pfaelzerwald.de.
Wanderwald
Den Pfälzerwald durchzieht ein gut ausgeschildertes, 7.000 Kilometer langes Wanderwegenetz. Von der gemütlichen Halbtagestour bis zur mehrtägigen Walddurchquerung ist alles drin. Kost und Logis gibt es in den über 100 bewirtschafteten Hütten. Zudem ist der Pfälzerwald ein Kletterparadies, das mit 80 Gipfeln und 200 Felsmassiven für Klettertechniken jeglicher Art etwas Passendes bietet. Weitere Informationen unter www.pwv.de und www.pfaelzer-kletterer.de.