Schlangestehen bei der Orchideen-Exkursion, Elisabeth Hoffmann (ganz rechts) erläutert die einzelnen Exemplare.
Stadt, Land, Fluss
Ein Besuch im Biosphärenreservat Bliesgau
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Die sanfte Hügellandschaft mit ausgedehnten Obstwiesen ist charakteristisch für den Bliesgau.
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Auf gut ausgebauten Radwegen lässt sich der Bliesgau umweldfreundlich erschließen.
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Die Salbei-Glatthafer-Wiesen zeichnen sich durch ihren besonderen Artenreichtum aus
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Das milde Klima im Bliesgau erlaubt auch den Anbau von Wein.
Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich Elisabeth Hoffmann nicht beklagen. Rund 40 Naturfreunde heften sich an diesem heißen Juni-Nachmittag an die Fersen der Orchideen-Expertin, um unter fachkundiger Führung die sanften Hügel am Rand der Gemeinde Gersheim zu erkunden. Schlange stehen, heißt es da mitunter auf den schmalen Pfaden, will man einen Blick auf eine der seltenen Orchideen erhaschen, mit denen der Bliesgau so reich gesegnet ist. Rund die Hälfte der mehr als 60 in Deutschland beheimateten Orchideen-Arten gedeiht hier im Südosten des Saarlandes auf den mageren Muschelkalkböden.
Der schmale Landstrich zu beiden Seiten des Flüsschens Blies hat sich nicht nur als Orchideen-Paradies einen Namen gemacht. Im Mai 2009 hat die Unesco den Bliesgau in ihr Netz der Biosphärenreservate aufgenommen und damit als Modellregion von Weltrang geadelt. Eine Auszeichnung, die in Deutschland bislang nur 15 mal verliehen wurde. Unter den weltweit 564 Regionen, die diesen Titel tragen dürfen, befinden sich klangvolle Namen wie die Everglades oder der Yellowstone-Nationalpark.
Dicht besiedelte Kulturlandschaft
Seinen einzigartigen Charakter verdankt der Bliesgau der Schönheit seiner Landschaft und der Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten ebenso sehr wie dem dichten Nebeneinander von städtischem und ländlichem Raum. 311 Menschen leben im Schnitt auf jedem der 361 Quadratkilometer des Biosphären-Areals. Kein anderes Biosphärenreservat in Deutschland erreicht eine vergleichbare Bevölkerungsdichte. Aus diesem engen Miteinander von Mensch und Natur erwächst für Walter Kemkes, Geschäftsführer des Biosphärenzweckverbandes Bliesgau, die besondere Herausforderung für die Zukunft der Region. „Naturschutz und Regionalentwicklung lassen sich nicht trennen“, betont Kemkes. Naturverträgliche Landwirtschaft und regionale Vermarktung der Produkte gehören für ihn deshalb genauso zum Biosphärenkonzept wie sanfter Tourismus, die Nutzung erneuerbarer Energien und nachhaltige Siedlungsentwicklung.
Der „Erhalt der extensiv genutzten Landschaft“ liegt auch Peter Hellenthal, Vorsitzender des NABU Saarpfalz, am Herzen. Jahrhunderte menschlicher Bewirtschaftung haben die klimatisch begünstigte Region zu einer kleinteilig parzellierten Kulturlandschaft mit artenreichen Wiesen und wertvollen Streuobstbeständen geformt. Das seit Jahrzehnten anhaltende Höfesterben und die Aufgabe unwirtschaftlicher Flächen bedrohen diese besondere landschaftliche Vielfalt. Rund die Hälfte der Obstbäume ist verschwunden. Nur wenn es gelingt, die extensive landwirtschaftliche Nutzung zu sichern, besteht eine gute Chance, den Artenreichtum des Bliesgaus zu erhalten.
Bliesgau-Saft von Streuobstwiesen
Erste Pflöcke haben Biosphärenzweckverband und regionale Erzeuger bereits eingeschlagen: Die Regionalvermarktungsinitiative „Bliesgau-Genuss“ setzt sich für die umweltschonende Erzeugung und Vermarktung regionaler Lebensmittel ein. Von der Bio-Milch über Pflanzenöle bis zum Apfelsaft reicht die Palette. Die Pflege der Streuobstwiesen hat sich der Verein „Bliesgau-Obst“ zur Aufgabe gemacht. Kräftige Unterstützung gibt es von den örtlichen NABU-Gruppen und vom NABU Saarland, der sich schon seit den 1980ern für den Erhalt der saarländischen Streuobstbestände engagiert.
Vom ehemaligen NABU-Landesvorsitzenden und späteren Landesumweltminister Stefan Mörsdorf ging auch die Initiative zur Einrichtung eines Biosphärenreservates aus. Naturschutz und nachhaltige Entwicklung stießen im Bliesgau zunächst jedoch keineswegs auf ungeteilte Zustimmung. Konventionell wirtschaftende Bauern, aber auch viele Jäger, befürchteten Einschränkungen und lehnten das Vorhaben ab. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, bestätigt Walter Kemkes. Denn 77 Prozent der Reservatsfläche wurden vom Umweltministerium als „Entwicklungszone“ ausgewiesen, in der es keine zusätzlichen Nutzungsbeschränkungen gibt. Von Eingriffen des Menschen weitgehend unberührt kann sich die Natur dagegen in der Kernzone entwickeln, die drei Prozent der Biosphärenfläche umfasst. Weitere 20 Prozent sind als Pflegezone deklariert. Sie dient dem Schutz und der Weiterentwicklung der wertvollen Kulturlandschaft. In der Pflegezone ist eine naturverträgliche Nutzung durch den Menschen gefragt. Extensiver Landbau, Weidewirtschaft und naturnahe Forstwirtschaft sollen sicherstellen, dass neben den Streuobstbeständen auch die Orchideen- und Salbei-Glatthafer-Wiesen, die Auenlandschaft der Blies und die Kalkbuchenwälder erhalten bleiben.
Diskussion um Biomasse
Als Nagelprobe für das Biosphärenkonzept erweisen sich aus Sicht des NABU Saarpfalz zurzeit die Pläne der Stadtwerke Blieskastel zum Bau einer Biogasanlage im benachbarten Erfweiler-Ehlingen. Der NABU warnt vor großflächigen Monokulturen zur Erzeugung von Energiemais oder Grassilage, die zur Verarmung der biologischen Vielfalt führen. Stattdessen fordern Peter Hellenthal und seine Mitstreiter den Einsatz einer Technik, die regionale Stoffkreisläufe nutzt und kommunale Bioabfälle wie Grünschnitt oder Substrate aus der Landschaftspflege verwendet.
Zu den Pionieren in Sachen nachhaltiger Ernergieerzeugung im Bliesgau zählen dagegen Ralf Wiedenmann und seine Ehefrau Rosa. In der umgebauten Mimbach-Mühle, einer der ältesten in Deutschland, nutzen die beiden Bayern aus Neu-Ulm die Fluten der Blies zur Stromgewinnung. 460.000 Kilowattstunden speisen sie jährlich ins örtliche Stromnetz ein und setzen damit eine Familientradition fort. Schon 1984 haben Ralf Wiedenmanns Eltern die alte Getreidemühle erworben und mit der alternativen Stromproduktion begonnen. Inzwischen hat die Nutzung erneuerbarer Energien im Bliesgau zahlreiche Anhänger gefunden. Allein die installierte Photovoltaik-Leistung in den Gemeinden der Region stieg von 2006 bis 2008 von rund 8.400 auf 13.500 Kilowatt.
von Werner Girgert
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